27 bequeme und unbequeme Wahrheiten über das Kellnern auf der Wiesn

„O’zapft is'“ hieß es am Samstag um 12 Uhr wieder, wenn der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter mit – hoffentlich nur – zwei Schlägen das erste Fass Bier anzapft. Von Samstag, 21. September, bis zum Sonntag, 6. Oktober, werden auf der Münchner Theresienwiese um die 7,9 Millionen Liter Bier (2018) fließen. Wie in Bayern halt so üblich, kommt das flüssige Gold in Maßkrügen daher – mit (knapp) einem Liter drin.

Gebracht werden den Besuchern die Maßen (an alle Ignoranten, Unwissenden oder Sprach-Laien: Kurzes „a“ bitte, wie in „Kassen“ oder „lassen“) von feschen Jungs und Madln, gestandenen Frauen und Männern in Dirndl und Lederhosen. Und kaum wuchten sie die zehn Krüge auf einmal auf den Biertisch, wachsen der Fantasie der Leute Flügel. „Die verdienen doch über 10.000 Euro in den zwei Wochen“ oder „Der kann bestimmt mal einen Tag ausschlafen“ sind zum Beispiel solche Hirngespinste. Und die werden dann fleißig weitererzählt, bis sie jeder glaubt. Hat man doch schon so oft gehört, nicht wahr. Muss ja stimmen.

 

„Stundenlohn? Haben wir nicht“

 

Stimmt aber nicht. In den meisten Fällen ist das, was die Leute erzählen oder „so hören“ Bullshit. Nur weil es der Kumpel gesagt hat und von jemandem erfahren haben will, den er angeblich kennt, muss das Gequake noch lange nicht wahr sein. Deswegen haben wir mal eine Bedienung gefragt. Stephi* (27) arbeitet seit vier Jahren auf dem Oktoberfest, zwei davon als Kellnerin in einem der großen Festzelte, und hat ZEITjUNG verraten, was eigentlich wirklich Sache ist in den Bierzelten dieser Stadt. Und sie ist uns Rede und 27 Antworten gestanden…#

Analogfotografie, Rotlichtmilieu, Interviews: Hier findest du noch mehr zum Oktoberfest auf ZEITjUNG.

1

Ja, wir ziehen das durch. 2 Wochen lang.

Es gibt nur ein Gas – Vollgas!

2

Psst, es sind gar nicht 14 Tage. Sondern 16, manchmal 17. Am Stück.

Und wir sind da. Jeden. Einzelnen Tag. Wenn der 3. Oktober, Tag der deutschen Einheit, auf den Montag danach fällt, sogar einen Tag länger.

3

Wir sind schonmal bis zu 15 Stunden im Zelt

15 Stunden. Plus Hin- und Rückfahrt, Anziehen, Ausziehen, Frühstück,.. Merkste was?

4

Privatleben?

Familie, Freunde, wo seid ihr?

5

Essen?

Ist dieses Stück Breze wirklich für mich? Für mich ganz alleine?

6

Ausschlafen? Wenigstens am Sonntag?

Man muss ja noch Träume haben!

7

Überhaupt ausreichend Schlaf?

Mehr als eine handvoll Stunden pro Nacht sind leider nicht drin.

8

Wir verzichten darauf. Freiwillig.

Eigentlich möchte man ja meinen, dass wir nach einem 12- oder 15-Stunden-Tag im Zelt total erledigt ins Bett fallen. Aber viele von uns sind so aufgepeitscht und vollgepumpt mit Adrenalin, dass sie selbst noch feiern gehen. Nach 3 oder 4 Stunden Schlaf stehen sie dann wieder da – mehr oder weniger aufrecht…

9

Auch wenn unser Job eine Dienstleistung ist, wir sind NICHT eure Bediensteten und müssen nicht alles leisten, was ihr von uns verlangt.

Uns wegen einem Zahnstocher nochmal durchs halbe Zelt laufen zu lassen, ist echt eine Zumutung.

10

An Extrawünschen verdienen wir nämlich nichts

Unser Verdienst ergibt sich aus der Differenz zwischen Einkauf und Verkauf. An einer verkauften Maß Bier zum Beispiel verdienen wir unter einem Euro.

11

Kein Witz – wir haben keinen Stundenlohn.

Nee, echt nicht. Wir sind sozusagen Unternehmer und unser eigener Chef im Zelt: Wir kaufen Speisen und Getränke ein, von unserem eigenen Geld, und verkaufen sie dann an euch weiter.

12

Deshalb bestehlt ihr auch nicht den Wiesn-Wirt, wenn ihr uns das Hendl vom Tablett klaut

Sondern uns, die Person, die da vor euch steht, bewusst und mit Augenkontakt.

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Eine goldene Nase? Verdienen wir uns leider nicht!

Aber eine silberne auf jeden Fall! Klar, es lohnt sich. Sonst würde das keine(r) von uns durchziehen. Aber 10.000 oder gar 15.000 Euro? Bleiben auch für uns ein Traum.

14

Wir sind nicht nur Bier-Engel, sondern auch Putz-Feen

Ihr glaubt, die Tische und Bänke putzen sich von alleine oder werden von einem Putzteam versorgt? Falsch – denn bevor ihr ins Zelt gesprungen kommt und nachdem ihr hinausgetorkelt seid, schwingen wir, eure Bedienungen, den Wischmopp.

15

Sägespäne sind uns heilig

Wenn einer von euch wieder in den unzugänglichsten Winkel gekotzt hat, hilft manchmal nur noch eins: Späne auf die Spucke.

16

Genau wie unser Team und unsere gute Laune. Und eure.

Laune – und eure.

Denn ohne beides, vor allem Letzteres, wird so ein Wiesntag schon mal zur Folter. Nicht nur für uns, sondern auch für euch. Ihr handelt also im eigenen Interesse, wenn ihr uns bei Laune haltet. Stichwort Trinkgeld uuuund….

17

Manieren!

Wer bitte sagt, bekommt sein Bier schneller. Isso. Dazu ein nettes Lächeln und ein Danke, wenn die Maß eiskalt und frisch gezapft vor euch steht – und ihr müsst nie wieder lange warten.

18

Wir sind nicht der/die einzige, der für eueren Tisch zuständig ist!

Meistens arbeitet man im Team, also sind es immer 2 oder 3 Kellner/innen, denen euer Tisch gehört. Ihr könnt also nicht nur bei der Melli bestellen, sondern auch beim Andi oder der Karin. Aber es gibt 1 Regel…

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…bestellt nie, nie, niemals etwas doppelt.

Sonst könnte es sein, dass wir euch den Kopf abreißen. Denn wenn ihr etwas bestellt habt und es ein bisschen dauert, dann nicht, weil wir es vergessen haben, sondern weil in den Zelten zwischen 2.000 und 10.000 Leute auf einmal Hunger und Durst haben.

20

Denn wenn ihr euer Hendl nochmal bestellt, bleiben wir darauf sitzen.

Wie ihr nämlich oben gelernt habt, kaufen und verkaufen wir euer Essen und Getränke. Und selbst, wenn wir bonieren: Der Küchenchef reißt uns den Kopf ab, wenn wir es zurückbringen. (und dann habt ihr keinen mehr, der euch Bier bringt, also überlegt euch das gut!)

21

Ohne Moos, nix los.

Um überhaupt in die Wiesn starten zu können, müssen schon mal ein paar hundert bis tausend Euro als Startkapital her. Dirndl, Blusen, Hemden, Schuhe, Sohlen, Pflaster, Bandagen, Vitamintabletten… und nicht zu vergessen: ein Grundvorrat an Bier- und Hendlmarken.

22

Wir flirten für unser Leben gern.

Ob Buam oder Madl – ein nettes Lächeln und einen frechen Spruch haben wir immer auf Lager. Macht aber auch a sakrische Gaudi mit euch!

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Unsere Blusen und Hemden können stehen!

Und damit sind sie mindestens so standhaft wie wir, denn wenn man den ganzen Tag bis zu zehn volle Maßkrüge an sich hinpresst, geht schon mal was verschütt’ – und landet dann gern mal im Dekolleté. Die Blusen der Damen sind dann nicht mehr weiß, sondern gelb, und stehen von selbst.

24

Irgendwann bekommt jede/r von uns den Wiesnkoller!

Lieben muss man die Wiesn, wenn man auf ihr arbeitet. Aber irgendwann, so ab Tag 10, wird jede/r von uns wahnsinnig. Das legt sich dann aber auch wieder und schlägt ab Tag 12 in Endspurt-Freude um. Dann läuft der Countdown.

25

Und eine Grippe.

Wer nicht krank geworden ist, wird beinahe schon schief angeschaut. Und neugierig. Was nimmt der für Zeug und wie komme ich dran?

26

Songtexte.com? Fragt lieber uns!

Denn ein Bierzelt ist besser als jede Karaoke-Bar. Spätestens am 3. Tag sitzen die Texte von vorne bis hinten – und wenn nicht, hört’s ja keiner, wenn wir falsch singen.

27

Ba-da-da-daaa, wir lieben es!

Trotz allem, trotz Wiesn-Koller, Erkältung, Blasen an den Füßen – es gibt halt nix Schöneres, als zweieinhalb Wochen mit euch diese fette Party zu feiern! Diese verdammt gut bezahlte Party.

*Name von der Redaktion geändert

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Titelbild: Christian Benseler unter CC BY 2.0