Anfänge wagen

Generation Y: Traut euch, anzufangen

Vor dem Ende kommt der Anfang. Gut, nicht wirklich, vor dem Ende kommt zunächst der Zwischenteil, bis man ganz zurück gespult hat und dort landet, wo alles begann: bei der Stunde Null, dem Ausgangspunkt, der Startlinie.

Selbstverstrickt in alle möglichen wichtigen Unwichtigkeiten (von Facebookposts über in 140 Zeichen verpackte, lyrische Meisterwerke bis hin zu unserer völlig von Stress gezeichneten Freizeit-Verplanung) geht er uns oftmals verloren: Der Anfangspunkt, an dem alles wunderbar frisch und schön und unbelastet war. Und dabei würde es oft helfen, uns mitten in der Geschichte daran zu erinnern, wie wir in die aktuelle Situation geraten sind – um weiterzumachen und den Mut nicht zu verlieren.

 

Die Motivation der ersten Wochen

 

Oft ist es so, dass nachdem der erste Schritt getan wurde, zunächst alles ganz leicht geht. Anfängerglück – wie Tribes of Jizu und der Keno es so schön berappen – nennt sich das. Es ist aber schnell durch die Berührung mit der Realität wieder aufgebraucht. Es ist die Grundsatzbegabung, die uns zum Beispiel gleich beim ersten Training den Ball über das Netz bringen lässt und uns dadurch einen riesigen Motivationsschub verpasst. Der Anfang kann aber auch ein Bruch mit der Routine sein. Wenn sogar der Semesterbeginn eine willkommene Abwechslung darstellt, weil es endlich wieder was zu tun gibt. Und in den ersten paar Wochen sind die Kurse spannend und leicht, so wie das erste Training der neuen Sportart easy ist – und erst nach einiger Zeit geraten wir an unsere sportlichen Grenzen oder der Lern-Überdruss schleicht sich ein und wir sehnen uns nach den nächsten Semesterferien.

 

 

Oder in der Liebe. Wenn auf die erste versoffene Begegnung die ersten nüchternen WhatsApp-Nachrichten folgen und alle zehn Sekunden auf das Smartphone geschielt wird, um ja nicht eine neue Herzchen-Botschaft zu verpassen. Wenn alles noch spannend und neu ist und die Spielerei unbelastet und unschuldig daherkommt. Erst später, nach wochenlanger Anbandelei oder monatelanger Beziehung, keimen die ersten Schwierigkeiten auf. Und zack – verpufft das rosarote Glücksgefühl und wir schwanken mitten in der Geschichte, ob es das überhaupt noch wert ist, was wir hier gerade betreiben. Vielleicht, weil wir schon einmal gescheitert sind, und uns nun daran erinnern, was noch alles schief laufen könnte. Und die wunderbare Leichtigkeit des Beginns ist auf einmal vergessen, die Gründe, warum wir uns auf diese Person eingelassen haben, was uns an ihr anfangs fasziniert und eingefangen hat, sind schlichtweg verblasst.

 

Das Gehirn, ein Pessimist

 

Unser Gehirn ist so konzipiert, dass es schlechte Erinnerungen besser abspeichert als gute. Das haben wir unseren Vorfahren zu verdanken, die sich noch in der unkultivierten Natur herumtrieben und täglich ums Überleben kämpfen mussten. Da war es wichtig, sich bei dem Anblick eines Löwen daran zu erinnern, dass der nicht zum Streicheln, sondern zum Weglaufen da war.

„Wir wiederholen das Problem innerlich immer wieder und es wird in unserer Erinnerung größer, als es in der Realität je war“, beschreibt Psychologin Ilona Bürgel den Vorgang der Einbettung und Auswirkung schief gelaufener Ereignisse in unser Gedächtnis. Furcht, erklärt die Psychologin, löse den Impuls zur Flucht aus, Zorn dagegen verleite zum Angriff. Und eben weil in unserem Gehirn nach wie vor der Überlebens-Button gedrückt ist, lautet das Grundprinzip: gefährliche – negative – Gefühle vermeiden und positive – sichere – Gefühle anstreben. Also: Bei aufkeimender Gefahr erst mal weglaufen und sich in Sicherheit bringen. Bei nervigen Technik-Übungen, die einfach nicht klappen wollen, sich so lange drücken, bis der Nächste dran ist. Bei Hausarbeiten die Analysemethode meiden, die man sowieso nie verstanden und schon immer für völlig überflüssig befunden hat. Und in der Beziehung: Streit aus dem Weg gehen, weil wir damit keine guten Erfahrungen, vielleicht sogar immer das Ende einer Liebe, assoziieren.

 

Paradies oder Hölle?

 

Dass wir die miesen Erlebnisse so besonders gern dann hervorkramen, wenn wieder etwas nicht so läuft, wie wir uns das erhofft hatten, liegt an unserem Speichersystem. Wir speichern nämlich die Ereignisse, die mit negativen oder positiven Emotionen verknüpft sind, in unserem autobiografischen Gedächtnis ab. Diese Erinnerungen sind viel stärker in unserem Denken und Handeln eingebunden als etwa unser Weltwissen, das im semantischen Gedächtnis abgelegt wird. „Alles, was uns ausmacht – Sprache, Denken, Kultur oder Erkenntnis -, beruht auf der Fähigkeit, Erinnerungen abzuspeichern und abzurufen“, weiß der Gedächtnisforscher Daniel Schacter von der Harvard-Universität in Boston über die Auswirkungen von Erlebtem auf unser Handeln im Speziellen zu berichten. Mit Angst, Stress oder Wut behaftete Ereignisse holen wir deshalb besonders schnell hervor. Und diese können sich letztendlich soweit auf uns auswirken, dass wir insgesamt pessimistischer eingestellt sind – und das nicht nur uns selbst sondern auch anderen gegenüber.

Jean Paul war es, der darüber philosophierte, dass die Erinnerung das einzige Paradies sei, aus dem man nicht vertrieben werden könne. Blöd nur, wenn diese Erinnerungen übermäßig negativ sind und mehr Himmel als Hölle darstellen. Aber sich vermehrt an Schlechtes zu klammern, nur weil die Entwicklung nicht so verläuft, wie zunächst ausgemalt, ist unfair. Alte, schlechte Erfahrungen müssen sich nicht wiederholen – sie können durch neue, gute ausgetauscht werden, wenn wir nur Menschen eine Chance geben. Und selbst dafür sorgen, dass sich die miese Erfahrung nicht wiederholt, indem wir aufkeimende, schlechte Gefühlen stoppen. Diese nämlich verengen unseren Blickwinkel. Gestresst schalten wir auf Routine um und verfallen in unlogisches Verhalten. Lösungen, die vielleicht schon um die nächste Ecke liegen, sehen wir so gar nicht. Positive Gefühle hingegen regen die Kreativität an, wir behalten den Überblick und können so Schwierigkeiten leichter meistern.

 

Scheitern – und wieder anfangen

 

William Faulkner gab einmal den Tipp: „Schreiben Sie den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt den zweiten lesen will – und dann immer so weiter.“ Umgemünzt auf den Anfang würde dies bedeuten: Ein guter Beginn ist es, was uns vorantreibt, der uns den Weg gehen lässt, bis wir am Ziel sind. Wenn wir nur der Schwung ausnutzen und ihn nicht abreißen lassen. Und Herman Hesse hat geschrieben: „Man muss seinen Traum finden, dann wird der Weg leicht. Aber es gibt keinen immerwährenden Traum, jeden löst einen neuer ab, und keinen darf man festhalten wollen.“ Er impliziert mit diesem Gedanken das erlaubte Scheitern. Dass wir durchaus mal etwas wagen, unser Ziel aber nie erreichen werden. Und trotzdem ist das nicht schlimm, denn: Ein zerplatzter Traum heißt nicht, dass wir von jetzt an diesen Fehler auf jeden weiteren Traum umschreiben müssen. Und uns dadurch von vornherein entmutigen lassen.

Oft ist der Anfang positiv, mitten drin sammeln sich die ersten Hindernisse – und genau dann ist es Zeit, innezuhalten und sich wieder bewusst zu machen, wieso wir das Ganze überhaupt machen. Und das Ende, das kann gut oder schlecht sein. Je nachdem, wie man sich auf dem Weg dorthin entschieden hat. Dass wir schlechte Erfahrungen abspeichern und ab und zu hervorholen, ist okay. Schließlich bewahrt es uns davor, ähnliche Fehler erneut zu begehen. Dennoch sollten wir bei neuen Abenteuern nicht den Mut verlieren. Wir müssen weiter Anfänge wagen. Denn, wie Hesse auch so treffend formulierte, wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Und für diesen Zauber, für das Kribbeln im Bauch und für die Spannung, die Anfänge in unser Leben bringen, lohnt es sich, den Sprung ins Unbekannte immer wieder zu wagen.

 

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Bildquelle: rubixcom unter CC BY 2.0