Pro Asyl Cheikh

„Ohne Papiere existiert man nicht. Man ist ein Niemand.“

Eine Generation bleibt so lange unpolitisch, bis die Politik die Straßen pflastert. Plötzlich sind sie real, die Veränderungen, von denen Nachrichtensprecher und große Blätter immerzu sprechen. Werden spür-, greif-, und sichtbar. Es sind einzelne Menschen, die das Stadtbild zeichnen – Menschen, die in unseren Köpfen bisher weit weg waren. Gebeugte Silhouetten mit schmerzverzerrten Gesichtern und verängstigten Blicken erreichten uns bisher nur durch Live-Schaltungen aus Krisengebieten. Nun sind sie hier. Weil sie in den Krisengebieten nicht mehr leben können. Statt ihnen die Hände zu reichen, sperrt man sie teils in Unterkünfte, in die der Bruttonormal-Deutsche nicht mal seine Mastsau stecken würde. Dort harren sie lethargisch aus, weil ihnen die Arbeit verwehrt wird. Es ist Zeit, politisch zu werden. Der erste Schritt ist ein Mausklick: Der Bayrische Flüchtlingsrat hat nun eine Petition gegen Desintegration und für Arbeitsrechte gestartet.

 

Menschen begegnen Menschen

 

Etwa 70 Millionen Flüchtlinge aus weltweiten Krisengebieten sind momentan auf dem Weg nach Europa. Mit der Flüchtlingswelle ist auch Cheikh vor 11 Monaten nach Deutschland, genauer gesagt ins bayerische Babenhausen, gekommen. Dort empfängt man den 30-jährigen Senegalesen mit offenen Armen – Adi Hoesle, Künstler und Weltverbesserer, gründete vor eineinhalb Jahren die Initiative „Menschen begegnen Menschen“ und integriert Flüchtlinge damit nicht nur ins soziale Leben, sondern begleitet sie mit dem Projekt auch nachhaltig auf ihrem Weg in die deutsche Arbeitswelt. „Integration entsteht durch das Erlernen der deutschen Sprache, Arbeit in jeglicher Form und dem gegenseitigen Austausch von Kultur“, erklärt Adi. Das Integrationsprojekt bietet den Flüchtlingen die Chance auf Praktika und Ausbildungsplätze in umliegenden Unternehmen und ist damit bayernweit traurigerweise das erste und einzige Modell dieser Art. „Eine Arbeit zu haben gibt den Menschen das Gefühl an der Gesellschaft teilnehmen zu können und befreit sie von ihrem lethargischen Dasein“, resümiert Adi. „Und sie entfliehen dadurch zumindest für ein paar Stunden dem ghettoähnlichen Umfeld, das sie teils umgibt“.

 

Arbeitsverbote durch die bayerische Regierung

 

Auch Cheikh legte ein Praktikum in einer umliegenden Firma ab und überzeugte seinen Arbeitgeber durch Akkuratheit und Elan. Nun hat er zwei Ausbildungsangebote – eines von der Firma, bei der er sein Praktikum ablegte, und eines von einem 10km entfernten Unternehmen in Baden Württemberg. Beide darf er nicht annehmen. Gesetzlich ist es Flüchtlingen nicht erlaubt, ihren Wohnsitz in einem anderen Bundesland zu haben als ihren Arbeitsplatz. Cheikh ist es also nicht gestattet, 15 Minuten mit dem Bus aus Babenhausen, dem letzten Zipfel Bayerns vor der baden-würrtembergischen Grenze, zu besagter Firma im Nachbar-Bundesland zu fahren und dort seine Ausbildung anzutreten.

Hinzu kommt, dass der bayerische Innenminister Joachim Herrmann am 31. März 2015 eine Verordnung festlegte, nach der Flüchtlinge aus den sogenannten „Sicheren Drittländern“, wie beispielsweise dem Balkangebiet, Kosovo, Albanien, Serbien, Mazedonien, Bosnien oder Herzegowina in Bayern nicht mehr arbeiten dürfen. Auch Senegal ist laut Herrmann ein sicheres Drittland. Seine Ausbildungsstelle in Babenhausen darf Cheikh also auch nicht annehmen. Ein schwarzer Tag für ihn und circa 90% der anderen aktuell abgelehnten Flüchtlinge in Bayern.

 

Deutschland braucht Arbeitskräfte

 

Der Bedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt sei da, so Hösle. Viele Unternehmen in Babenhausen, aber auch im Rest der Republik seien bereit, ausländische Arbeitskräfte bei sich aufzunehmen. Sie gelten als fleißig, pünktlich und lernbereit. Er bestätigt auch die These, dass Flüchtlinge die deutsche Wirtschaft ankurbeln würden, da die Republik selbst auch mit Abwanderungen, etwa aus Mecklenburg Vorpommern oder dem Saarland zu kämpfen hat, wo junge Menschen keine Perspektive in einschlägigen Medien- und Wirtschaftsbetrieben sehen und deshalb in die Großstädte abwandern. Wegen Stellen, die die Flüchtlinge antreten würden, verlassen sie also ihr Bundesland. Auch werden Flüchtlinge in den Betrieben nicht ausgebeutet – die Unternehmen sind ohne Diskussion bereit, ihnen den Mindestlohn zu zahlen.

 

„Wir wollen Gleichberechtigung zwischen den Flüchtlingen“

 

Viele Flüchtlinge konnten nach den vorgegebenen drei Monaten Aufenthalt in Deutschland bereits eine Arbeitsstelle antreten. Allerdings herrscht ein großes Ungleichgewicht zwischen den Asylsuchenden. Warum soll ein Mensch aus dem Irak hier arbeiten dürfen und einer aus dem Senegal nicht? „Die bayrische Regierung hat keine Ahnung, was in meinem Land los ist. Viele der Menschen, die ich dort kannte, sind wahrscheinlich längst tot. Ich kann nicht einfach so zurück“, sagt Cheikh. „Wir wollen eine Gleichberechtigung zwischen den Flüchtlingen erreichen“, so Adi.

„Arbeit ist Würde.“ Dieser Spruch steht nun auf Cheikhs T-Shirt, das Adi ihm designte. Der gebürtige Senegalese war 10 Jahre lang auf der Flucht, bevor er Babenhausen erreichte. Er kam von Afrika über Spanien und Frankreich nach Deutschland. Rebellen übernahmen die Macht im Süden Senegals und heizten einen Bürgerkrieg an. Häuser brannten und wurden in die Luft gesprengt, Nachbarn und Freunde von Cheikh verschwanden und tauchten nie wieder auf, Familien wurden auseinander gerissen. Unter anderem auch seine. Manchmal telefoniere er mit ihnen, sagt Cheikh. Aber es ist sehr teuer und seine Familie ist durch die Unruhen im ganzen Land verteilt. „Ich wollte nur noch weg“, erinnert er sich.

 

Zwischen den Grenzen

 

Cheikh spricht gut Deutsch. Seine Stimme zittert und schwankt, als er von seinen Erlebnissen erzählt. Er studierte Jura im Senegal und spricht fließend Englisch, Französisch, Arabisch, Spanisch und verschiedene afrikanische Dialekte. „Ich vermisse meine Heimat und meine Familie und ohne sie werde ich nie ganz glücklich sein. Aber im Moment kann ich nicht zurück.“ Er berichtet vom Leben auf den Straßen Spaniens und Frankreichs und wie er einfach immer wieder in Busse und Autos stieg, um dort wegzukommen. Lethargisch, resigniert, dem Schicksal ausgeliefert. „In Spanien und Frankreich war die Situation noch komplizierter“, sagt Cheikh. „Dort hat die Regierung mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen und ohne Papiere existiert man nicht. Man ist ein Niemand.“ Die Enttäuschung über das Arbeitsverbot sitzt tief. Wieder wird Cheikh durch eine Regierung zum passiven Nichtstun verbannt.

 

„Das ist ein Drama, das ist menschenunwürdig“

 

Adi Hösle findet kaum Worte dafür. 38.554 Unterstützer hat die Petition bisher eingebracht. Damit sind aber nur 41% erreicht. Wird die Petition vollständig eingereicht, ist der Landtag verpflichtet dazu, das Thema Arbeitsverbote auf die Tagesordnung zu bringen. Aber auch in den Köpfen der Menschen muss dringend etwas geschehen. „Momentan muss man nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von Völkerwanderungen sprechen. Wir müssen es schaffen, in Europa und auch weltweit zu begreifen, dass die Welt, wie wir sie bis dato gestaltet haben an einem Scheidepunkt steht. Neue Definitionen von menschlichem Zusammenleben müssen gefunden werden. Es wird nur eine Zukunft geben, wenn wir es schaffen, eine große Menschheit zu werden, die am gleichen Strang zieht.“ Ein schwerer Weg. „Aber das Ziel“, sagt Adi.

 

Unsere Unterstützung

 

Auch Cheikh hat einen Traum. Er möchte ein normales Leben führen, auf eigenen Beinen stehen und aus der Abhängigkeit herauskommen. Und er wünscht sich, dass die Menschen die Augen öffnen. Nur weil es Länder gibt, in denen die politische Situation noch schlimmer ist als in seinem, heißt das nicht, dass er einfach so zurückkehren und dort arbeiten kann. Alleine wird er es nicht schaffen, aber mit genug Hilfe vielleicht. Es wird Zeit, politisch zu werden. Ziehen wir an einem Strang!

 

Die Petition ist noch bis zum 3. August online. Hier geht´s zum Link: Open Petition

 

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Bildquelle: „Refugees“ von Climatalk.in unter flickr.com CC BY 2.0