Bautzen 2016

Bautzen: Ausgangssperre für Flüchtlinge – in welcher Zeit leben wir eigentlich?

Die kleine Stadt Bautzen liegt im Osten von Sachsen. Die Kreisstadt bietet alte Marktplätze, eine schöne Altstadt und jede Menge geschichtliche Denkmäler – wirklich schön hier. Diese schöne Idylle scheint allerdings trügerisch zu sein, denn die Stadt wurde in den vergangenen Monaten immer häufiger zum Schauplatz für Rechtsextremismus, Rassismus, Gewalt und zahlreiche Polizeieinsätze. Am Mittwochabend war es wieder soweit: Bautzens Innenstadt hatte ihren Showdown. Mit dabei: Knapp 100 Menschen, viel Blaulicht und ein ziemlich negativer Beigeschmack. Mitten auf dem Kornmarkt kam es zu Ausschreitungen zwischen Rechtsextremen und jungen Flüchtlingen. Die Gruppen kamen auf dem Marktplatz zusammen, um sich betrunken den einen oder anderen nicht nur verbalen Schlagabtausch zu liefern. Mit den ersten Steinwerfern eskalierte die Situation schließlich vollends. Die Polizei konnte das Chaos, welches die zwanzig minderjährigen Flüchtlinge und die achtzig Rechten veranstalteten, erst mit einem 100 Mann großen Polizeiaufgebot und unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken beenden. Heute, zwei Tage nach dem Chaos, sind noch längst nicht alle Fragen zu Tatursache- und verlauf geklärt. Es wird weiterhin kontrovers diskutiert, ob die Provokation von den Flüchtlingen oder den Rechtsextremisten ausging: Die angeblich richtigen Strafen und der Sündenbock sind anscheinend trotzdem bereits gefunden.

 

Wen schützt der Schutz hinter verschlossenen Türen?

 

Nach solch einer Nacht kommt in Deutschland meist kein Schäfchen ungeschoren davon. Infolgedessen wurde für die minderjährigen Asylbewerber eine sogenannte „Ausgangssperre“ ab 19.00 Uhr verhängt, sowie ein Alkoholverbot ausgesprochen. Ausgangssperre – liest sich zwar leicht, ist aber eigentlich ein kleines Wörtchen mit ziemlich harter Wirkung. Der Begriff wird auch folgendermaßen definiert: „Ausgangssperre bezeichnet das politisch oder polizeilich verordnete Verbot, öffentliches Gelände wie Straßen oder Plätze zu betreten. Eine Ausgangssperre kann somit auch als eine Art Hausarrest bezeichnet werden. Ausgangssperren sind häufig Teil von Notstandsgesetzen und dienen der Unterdrückung von politischen Aufständen und Demonstrationen.“ Die Asylbewerber in Bautzen haben also derzeit Hausarrest, damit keine neuen Aufstände zustande kommen. Damit die Steinwerfer also zuhause bleiben.

Markus Guffler, Mitarbeiter der Geschäftsstelle des sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth MdL, erklärt gegenüber ZEITjUNG die Hintergründe dieser Entscheidung näher: „Nach Mackenroths Einschätzung ist in Bautzen eine beängstigende Gemengelage entstanden. Unabhängig von der notwendigen weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der Feststellung und Ahndung von Straftaten hätten beteiligte Gruppen und die hinter ihnen Stehenden Bautzen möglicherweise als strategisches Ziel für eine Art Stellvertreterkrieg ausgewählt. Mackenroth begrüßte die in Abstimmung zwischen Stadt, Landkreis und Polizei angeordneten kurzfristigen Maßnahmen wie die erhöhte Polizeipräsenz, das Alkohol- und Ausgehverbot, die Feststellung von Rädelsführern und deren räumliche Trennung. Zudem könne die Abschaltung des öffentlichen W-LANs in den Abend- und Nachtstunden möglicherweise helfen.“ Der Hausarrest soll also schützen, aber wen denn jetzt eigentlich? Müssen wir vor diesen Menschen etwa Angst haben oder sie vor uns? Und was ist mit den achtzig Rechtsextremisten, die gleichermaßen an der Tat beteiligt waren – sollten wir vor denen auch Angst haben?

 

Reif für das Geschichtsbuch, nicht für das Jahr 2016

 

In welcher Zeit leben wir, dass wir heutzutage schon anderen Menschen die Freiheit entziehen müssen, um unseren eigenen Schutz gewährleisten zu können? In welcher Zeit leben wir, dass ein Hausarrest für Flüchtlinge die einzige Möglichkeit ist, um uns zu schützen? Wir wissen doch alle selbst, wie ätzend es damals war, Hausarrest zu bekommen und wir hatten noch das Glück der verzogenen Kindheit, in der eine solche Strafe meist nicht länger als zwei Tage angehalten hat. In welcher Zeit leben wir, dass es heute immer noch so viel Gewalt, Hass und Rassismus gibt, sodass wir riesige Polizeieinsätze brauchen, um all dem wenigstens für eine kurze Zeit ein Ende zu setzen? Wir leben im Jahre 2016 und eigentlich müsste all das doch längst in unseren Geschichtsbüchern stehen und nicht mehr präsent sein.

 

Und was ist mit den Rechten?

 

Während die Minderjährigen nun abends um 19.00 hinter ihren verschlossenen Türen sitzen, schwingt die rechte Szene der Stadt Bautzen fröhlich weiter ihre Parolen. Erst gestern Abend kam es zu einer erneuten Großversammlung von Rechten mitten in der schönen, sächsischen Kreisstadt. Politiker und Jurist Geert Mackenroth MdL erklärt in seiner Pressemitteilung 23/16 vom 16. September persönlich, wie er sich den vernünftigen Weg zur Lösung vorstellt: „Mittel- und langfristig müssen wir Strategien entwickeln, wie wir beide Seiten zusammenbringen: Auf der rechtsextremen Seite haben wir es oft auch mit toleranz- und demokratiefernen Schichten zu tun, die wir wieder zurückgewinnen müssen. Wichtig ist mir, dass die unbegleiteten minderjährigen Ausländer nicht unbeschäftigt bleiben.“ Eine sinnvolle Lösung muss her und das möglichst bald, bevor die Situation auf Landes- und Bundesebene weiter eskaliert.

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Bildquelle: Hans-Jörg von Schroeter unter CC BY-ND 2.0

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