Wie viel Datenschutz braucht die Liebe?

Das Smartphone ist unser neues Tagebuch. Es enthält die Musik, die wir lieben, die Fotos von Dingen, die wir schön, lustig oder wichtig finden und die Notizen von wirren Gedanken, die wir uns zwischen Tür und Angel machen. Es enthält die Dinge, die wir irgendwann mal interessant gefunden haben und die Plätze, an denen wir uns oft aufhalten. Vor allem aber enthält es die Leute, mit denen wir befreundet oder auch nur flüchtig bekannt sind – und die dazugehörigen Gespräche, die wir in sämtlichen Lebens- und Stimmungslagen texten. Alles schön protokolliert für NSA und BND. Oder eben für die bessere Hälfte.

 

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

 

Es ist das Paradox unserer Smartphone-Gesellschaft. So oft die Dinger dabei helfen, uns zu vernetzen und unseren Freunden näher zu bringen, so oft bringen sie uns auch auseinander. Weil der beste Kumpel drei Tage braucht um auf eine Nachricht zu antworten oder die Freundin, die einen versetzt hat, plötzlich Party-Bilder auf Instagram postet. Oder eben, weil sie der Zunder für jede Beziehungskrise sind. So wie bei Mila*, aus München und ihrem Freund, der einen ziemlich heftigen Beziehungsstreit vom Zaun brach, nachdem er in ihrem Handy unter „Datenschutz“ und „Ortungsdienste“ ihre zuletzt besuchten Orte überprüft und dort den Namen eines Hotels gefunden hat. Dass Mila nur zum Essen dort war, erschien ihm wohl eher als schwaches Argument. Die beiden sind kein Einzelfall, knapp 23% der Frauen und 14% der Männer haben laut einer Umfrage schon mal aus Eifersucht das Handy des Partners kontrolliert. Dass SMS und Anruflisten da eher Kinderkacke sind, erklärt mir Mila, von der ich glaube, dass das FBI ihr mit Handkuss eine Festanstellung anbieten würde. Denn die investigative Recherche hat sie mindestens genauso gut drauf wie ihr Freund: „Mittlerweile kontrolliere ich seine Anruflisten, seine Chats, seinen Browser-Verlauf, den Ordner mit gelöschten Fotos, seinen Suchverlauf bei Facebook. Man merkt das ja auch ziemlich schnell, wenn Nachrichten gelöscht wurden, wenn der Verlauf zum Beispiel nicht zusammenpasst und so weiter“.

 

Der Drang, alles wissen zu wollen

 

Das finde ich ganz schön krass. Ich frage Mila, woher dieser Drang kommt, alles vom anderen wissen zu wollen, ein minütliches Protokoll darüber zu erwarten, wann er wo mit wem ist. „Das war am Anfang eigentlich nur Neugierde, man schaut sich gemeinsame Bilder an und sieht dann irgendwelche Nachrichten die reinkommen. Irgendwann sieht man dann eben mal etwas, das zum Streit führt und dann ist das Vertrauen schon angekratzt. Und dann wird’s eben zur Normalität“. Diesen ständigen Background-Check stelle ich mir ziemlich stressig vor. Ist es nicht extrem einengend und vor allem auch beleidigend, ständig vom anderen kontrolliert zu werden? „Ne, wir machen es ja gegenseitig und wissen es voneinander. Wenn ich nichts zu verbergen habe, stört es mich auch nicht. Da finde ich es glaub ich schlimmer, wenn man das Ganze heimlich macht“. Mila und ihr Freund mögen ein extremer Fall sein, aber ab und zu mal durch das Handy des anderen zu scrollen, ist bei vielen gang und gäbe. Weil Sonntagabend auf dem Sofa eine Nachricht aufploppt, von einer Person, die man nicht kennt, weil man gerne wüsste, was der andere am Wochenende wirklich gemacht hat oder weil man generell einfach zu misstrauisch ist und zu neugierig. Wir sind es gewohnt, in Sekundenschnelle an die Informationen zu kommen, die wir brauchen und wissen, wo wir sie herbekommen. Vielleicht sinkt auch deshalb unsere Hemmschwelle, wenn es ums Schnüffeln im Handy geht. Aber beschwören wir nicht gerade dadurch die Probleme erst herauf? Es sei dahingestellt, ob jemals jemand irgendetwas Positives im Handy seines Partners gefunden hat. Alleine die Tatsache, dass man es für nötig hält, Nachrichten und Bilder des anderen zu durchforsten, zeugt doch von einem mehr oder weniger schwerwiegendem Vertrauensverlust. Dass da nichts Gutes rauskommen kann, liegt auf der Hand. Jede Nachricht wird überanalysiert und kaputtinterpretiert, schließlich liest man alles in Sekundenschnelle und komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Und – zack! – ist man drin, im Teufelskreis aus Lügen, Vorwürfen und Unzufriedenheit.

 

Wie viel Privatsphäre braucht eine Beziehung?

 

„Wenn du nichts zu verbergen hast, kannst du es mir ja zeigen“. So oder so ähnlich lautet es meistens, das zweifelhafte Argument zur Rechtfertigung der Handy-Spionage. Doch auch wenn man nichts zu verstecken hat: Sollte man in einer funktionierenden Beziehung wirklich alles vom anderen wissen? Machen Geheimnisse eine Beziehung kaputt oder hat nicht eigentlich jeder ein Recht auf etwas, das nur ihn angeht? „Prinzipiell besteht jedes Paar aus zwei Individuen und je mehr jeder Einzelne von seiner Individualität aufgibt, desto mehr muss die Paarbeziehung erbringen und desto größer ist die Gefahr, dass die Beziehung damit überlastet wird”, sagt Diplom-Psychologe und Paartherapeut Jörg Wesner aus Hamburg gegenüber der Aachener Zeitung. „In einer gut funktionierenden Partnerschaft braucht jeder einen Bereich von dem er sagt: Das ist meiner!”, so Wesner „Für den einen ist das ein ganzes Zimmer, in das er dem anderen keinen Zutritt gewährt. Für den anderen ist es das Tagebuch”. Und für wieder andere ist es eben das Smartphone. Aber egal ob Zimmer, Tagebuch oder Telefon – eine gute Beziehung und das Recht auf Privatsphäre sollten sich doch eigentlich nicht ausschließen. Teilen ist eine Tugend, auf die man – wenn es ums Handy geht – auch in einer Beziehung ruhig mal verzichten darf. Denn manchmal ist man einfach besser dran, wenn man nicht alles wissen muss.

 

*Name von der Redaktion geändert

 

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Bildquelle: Tord Sollie unter CC0-Lizenz