Des E-Books Duft

Von Iseult Grandjean

Bücher erzählen viel über ihre Besitzer. Manchmal überraschen sie uns auch damit. Zum Beispiel, wenn der Typ, der dir montagabends in der U-Bahn in Jogginghose und Ed Hardy–Shirt gegenübersitzt und aussieht, als müsse er Kevin oder Jeremy-Pascal heißen, eine zerschlissene Ausgabe von Anna Karenina aus seiner Tasche zieht.

Solche schönen Alltagsgeschichten sind jedoch passé, wenn wir uns bald nur noch hinter der kühlen Anonymität steriler Kindles oder Tablets verstecken und im Schutz der immer gleichen, immer grauen Bildschirme ungeniert Fifty Shades of Grey oder BILD lesen können.

 

Vom analogen zum digitalen Leben

 

Google Books statt Bibliothek, Dropbox statt Fotoalbum, whatsapp statt spontaner Anrufe, Spotify statt liebevoll sortierter CD-Sammlung: die Welle der Digitalisierung droht alles zu überfluten, was wir aus unserer alten analogen Welt kennen – und spült nebenbei noch massenweise Anglizismen an Land.

Besonders das gedruckte Buch, und damit das ganze Verlagswesen, stehen heute, 500 Jahre nach Erfindung des Buchdrucks, auf dem Prüfstand. Christoph Bläsi, der die Entwicklung von E-Books untersucht, versteht die Ängste der Verlage: „Die lokalen Buchhändler werden vom E-Book-Markt ausgeschlossen“, erklärt der Buchwissenschaftler.

 

Selbstbedienung in der Online-Bibliothek

 

Denn mit dem Downloadhandel von digitalisierten Büchern entwickelt sich ein Online-Anachronismus, der das gängige Urheberrecht nicht nur in Frage stellt, sondern auch teilweise gänzlich zu ignorieren scheint. Google liefert sich einen regelrechten Kampf um geschützte Bücher und wie zuvor die Musikbranche, hat nun auch der Buchmarkt im Netz mit haufenweise illegalen Downloads zu kämpfen.

Aber der Büchermarkt profitiert auch von der digitalen Revolution: Google hat es sich zum Ziel gesetzt, Literatur weltweit zu scannen und bei Google Books für jeden zugänglich zu machen. Außerdem können durch die Digitalisierung selbst vergriffene oder nicht lieferbare Bücher online heruntergeladen und gelesen werden.

 

Leicht, handlich, praktisch – der E-Reader

 

Auch die Vorteile von E-Readern liegen zunächst auf der Hand: sie wiegen nur ungefähr so viel wie zwei Tafeln Schokolade, sind einfach zu bedienen, schonen die Umwelt – und wer schon mal stundenlang nach genau dieser einen Stelle im Buch gesucht hat, wird die integrierte Volltextsuche von elektronischen Lesegeräten lieben.

Aufgrund ihrer praktischen Handhabung und den finanziellen Vorteilen für technikaffine Vielleser werden E-Books nach Einschätzung des Literaturagenten Michael Gaeb „das gedruckte Buch zwar nicht abschaffen, aber in vielen Teilen ersetzen“.

 

Haptik, Geruch und voller Erinnerungen – das Print-Buch

 

Wozu brauchen wir also noch diese altmodischen schweren Dinger aus Papier? Tja, an dieser Stelle werden von Nostalgikern meist die sentimentalen, fast kitschigen Argumentationen ausgepackt. Und ich geb’s zu: ich bin eine von ihnen. Wir lieben Sprache, aber beherrschen HTML nur gebrochen. Wir sind nicht vollkommen technophob, aber wir lesen lieber Bücher als Dateien.

Wenn man sich aus intuitiver Antipathie, mit eher emotionaler als rationaler Begründung, nicht richtig leiden kann, sagt man, man könne einander nicht riechen. So geht es mir mit E-Books. Ich sehe ihre Vorteile, aber ich kann mich einfach nicht mit ihnen anfreunden.

Ich will ein Buch anfassen und über die Buchstaben fühlen können, Seiten geräuschvoll umblättern, Eselsohren reinknicken, ich will an Tee- und Kaffeeflecken oder aus den Seiten rieselnden Sandkörnern sehen, wo das Buch vor mir gelesen wurde und ich mag es, wenn mir beim Durchblättern dieser typische Büchergeruch aus Druckerschwärze und Bibliotheksmief in die Nase steigt. E-Books und „beleuchtete, stromfressende Plastikhaufen“, wie ein User in einem Internetforum die neuen E-Reader nennt, kann ich nicht riechen. Und Bücher aus Papier erzählen so viel mehr als die Geschichten, die zwischen ihren Deckeln stecken. Hört später in der U-Bahn einfach mal genau hin.

 

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Bild: Frugan (flickr.com) unter cc by-sa 2.0