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Todesstrafe: Das letzte Mahl

Der Fotograf Henry Hargreaves hat sich mit einer Tradition beschäftigt, die genauso veraltet scheint wie die Todesstrafe selbst: die Henkersmahlzeit. Er hat die Menüs verschiedener Verurteilter für seine Serie No Seconds nachgestellt: Auf einem goldumrandeten Teller liegt eine einzige Olive (mit Kern!) oder auch eine Hänchenschlegel-Pommes-mit-Erdbeeren-Kombi oder Schocko-Minz-Eis.

 

Plötzliche Nähe zu 168-fachen Mördern

 

Beim Ansehen dieser Bilder driften die Gedanken sofort hinter amerikanische Gardinen. Wie schlimm das Warten auf das Sterben wohl sein muss? Und wie soll man überhaupt einen Bissen runter bekommen, wenn sich der Magen vor Angst zusammenschnürt? Ich würde nicht mal die Olive schaffen, denke ich – und identifiziere mich prompt mit bis zu 168-fachen Mördern. Damit hat Hargreaves seine Intention erreicht: „Mein Ziel war es, dass sich der Leser mit den Gefangenen durch ihren letzten Essenswunsch identifiziert. Ich will, dass der Zuschauer die Verurteilten als Menschen wahrnimmt, nicht als anonyme Häftlinge.“

„No Seconds“ ist also so etwas wie eine Persönlichkeitsstudie. Das letzte Mahl lässt uns in die Psyche von Mördern, Erpressern und Vergewaltigern blicken – und ihre menschliche Seite erkennen. Der Mann mit der Olive erhoffte sich von seinem letzten Bissen Unsterblichkeit: Aus seinem Grab sollte ein Olivenbaum als Symbol für den Frieden wachsen. Den Kern fand man in der Anzugtasche des Erhängten, allerdings wurde er gemeinsam mit seinem Körper verbrannt.

 

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