Wenn der gute Mensch zum Feindbild wird

Von Verena Schöbel

Die Gutmenschen, gerne auch „Sozialromantiker“ oder „Weltverbesserer“ genannt, sind eine ungreifbare Spezies. Ähnlich wie Dschungelcamp-Zuschauer, Hipster oder Billigfleisch-Käufer sind sie überall, aber darauf angesprochen, will angeblich niemand dazu gehören. Der Gutmensch, so das allgemeine Klischee, wandelt naiv bis arrogant durch die Welt, glaubt noch an Demokratie, Meinungsfreiheit und diplomatische Lösungen und schwingt gerne mit mindestens drei Waffen um sich: der Nazi-, Moral- und Sexismus-Keule.

 

Dämlich bis heuchlerisch

 

Dabei hat der gute Mensch schon eine ziemlich aufreibende Historie im 20. Jahrhundert hinter sich. Gilt es doch eigentlich als sittsam und vorbildlich, Gutes zu tun, gesellt sich spätestens bei Brecht schon in den 30er-Jahren der hoffnungslose Beigeschmack zum guten Menschen dazu. Die junge Shen Te von Sezuan reibt sich für alle auf, bietet Notleidenden ein Obdach, verleiht Geld und steht am Ende ohne alles da. Kann man in einer kapitalistischen, erbarmungslosen Welt überhaupt gut sein? Oder ist das ein dümmlicher Anspruch?

„Tue Gutes und rede darüber“ – durch dieses Mantra, Mitte des letzten Jahrhunderts von PR-Beratern ausgerufen, gesellt sich schließlich auch noch Heuchlertum zum langen Klischeekatalog des allgemeinen Gutmenschen. Seitdem schallt es einem bei jeder groß kommunizierten Spendenaktion von Bob Geldof, bei jedem Afrika-Besuch von Brangelina und jeder UN-Rede von Bono von allen Seiten entgegen: Das ist doch nur Publicity. Unzählige Bücher über den Gutmenschen erschienen, er wurde zig mal instrumentalisiert, um Gegner zu verunglimpfen, und seit 2000 steht er sogar im Duden. Aber eines ist gewiss: So scheiße wie heute ging es ihm wohl nie.

 

Livin‘ Pegida Loca?

 

Schon seit Jahren mutiert „Gutmensch“ zur beliebtesten Beleidigung in den sozialen Netzwerken. Es dient als ultimative Universalwaffe, wenn man eben sonst nichts mehr zu sagen hat. Nahezu jeder, der Ausländer, Homosexuelle, Frauen oder auch die Presse verteidigt, läuft Gefahr, von einem Pool an Usern mit zweifelhaften Ansichten als „Gutmensch“ deklariert zu werden. Sie wägen sich in der Mehrheit, weil sie sich gegenseitig befeuern und kaum Widerworte bekommen, doch letztendlich fehlt es der großen Masse schweigender Mitleser auch einfach an der Lust zum Antworten. Das ist auch kaum verwunderlich, da aus Mangel an Argumenten gleich auf die persönliche Ebene gewechselt wird: „Scheiß Gutmenschen!!!!!!!!111!!“ Niemand hat die Absicht, eine fundierte Diskussion zu führen.

Als wäre die Plage der Kommentarsektionen nicht genug, trägt der Mob seine Ansichten nun seit Wochen in Form einer „Ich bin kein Rassist, aber“-Bewegung auf die Straße, was die Geduld des allgemeinen Gutmenschen ziemlich strapaziert. Ein verwirrtes Konglomerat aus offensiv Rechten, RTL-geschädigten Fliesentischbesitzern und von der Wirtschaft abgewatschten Ewigenttäuschten schlurft durch Deutschlands Gassen und maßt sich an, als Vereinigung „patriotischer Europäer“ für „das Volk“ zu sprechen. Die Forderungen bleiben weitestgehend unklar oder auch einfach egal. Hier darf eigentlich jeder mitmachen, solange er gegen irgendwas ist. Ausländer, Politiker, Medien, Asylanten, ISIS, Systempresse, Muslime, Journalisten, Türken – da blickt niemand mehr durch. Hauptsache, jeder wettert mit an Absurdität grenzenden Eifer gegen jegliche vom eigenen Weltbild abweichende Realitäten, als ob ihm als Kind mal eine lesbische Asylantin das Eis geklaut hätte.

 

Facepalmer aller Welt, vereinigt euch

 

Ich bin Gutmensch. Ich glaube an Demokratie, an Solidarität und leider auch an Meinungsfreiheit, weswegen ich noch so großen Quatsch duldsam ertrage. Aber wenn eine Horde marodierender Christstollen schlicht Falschaussagen, Ressentiments und Diffamierungen vor sich hertreibt, ist auch meine Geduld erschöpft. Und scheinbar nicht nur meine, sondern die vieler Leute, die angesichts dieser Bewegung besorgt bis peinlich berührt aus dem Facepalmen gar nicht mehr rauskommen. München hat Ende Dezember bereits einen beeindruckenden Anfang gemacht, als sich 12.000 Demonstranten gegen Pegida und Co. stellten. Diesen Montag zogen weitere Städte wie Münster oder Berlin nach, wo sich Tausende aufrafften, um den Pegida-Ablegern die Stirn zu bieten oder sogar die Wege zu blockieren. Auch nächsten Montag sind wieder Aufmärsche der Überbesorgten geplant, diesmal unter anderen erstmals in Leipzig.

Für alle Leute, die ihr Herz, ihre Empathie, ihren Verstand und ihr Mitgefühl noch am richtigen Fleck haben, heißt es dann wieder, ein gutes Gegengewicht zu bilden. In einer Welt, in der es von einer wirren Horde belächelt, verspottet und beschimpft wird, wenn einem andere Menschen nicht egal sind, wenn einem Humanität und Solidarität nicht egal sind, wenn einem Gleichberechtigung nicht egal ist, wenn einem der Zustand dieser Erde nicht egal ist, will wohl niemand von uns leben. Also lasst uns besser sein. Und lasst uns viele sein. Von Montag zu Montag mehr. Bis auch der Letzte begreift, dass das vielbeschworene „Volk“ kein reaktionärer Haufen, sondern ein Heer aus guten Menschen ist.

 

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Bildquelle: Tim unter CC BY-SA 2.0