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Feiern mit Flüchtlingen: Wenn zwei Welten aufeinanderprallen

Im fluoreszierenden Neonlicht sind alle Unterschiede wie weggeblasen. Wir tanzen, fühlen die Musik und lachen uns kaputt darüber, wie bescheuert wir aussehen. Außer Hamid, der echt tanzen kann. Er tanzt mit einer Blonden, die seinen Tanzstil offenbar ebenso ästhetisch findet wie wir.

„War ja klar, dass der Syrer tanzen kann“, schreit Karim lachend gegen die harten Bässe an und trinkt einen Schluck Wodka-O.„Nur weil du aussiehst wie ein Esel“, sagt Momo und schlägt Karim spielerisch auf die Schulter. Die beiden müssen lachen und wir mit ihnen. Es ist schön zu sehen, wie sie Spaß haben, den kleinen Kosmos eines deutschen Clubs erschließen, wie sie tanzen und trinken und mit interessierten Augen alles aufsaugen, was ihnen noch vor ein paar Monaten fremd vorkam. Ein paar Stunden vorher sitzen wir beim Griechen, der Christos‘ Vater gehört. Wir sind im Garten, trinken Bier. Nur Hamid und Özgür nicht, sie bleiben bei Wasser und Karim, der startet gleich mit einem Longdrink, weil „Bier scheiße schmeckt.“ Wir sitzen in der Sonne und essen ölige, köstliche griechische Gerichte, die Christos uns – nicht ohne ein paar Witze zu machen – bringt. „Sicher Luca, dass du das essen solltest? Dann läufst du am Sonntag wieder keinen Meter“, sagt er zum Beispiel. Alle lachen, auch Luca. Es haben sich fast alle ein Hemd angezogen, Momo eines von Hamid, weil er selbst keines hat. Wir sehen gleichsam schick aus und muten doch wie ein seltsamer Haufen an. Mehr Multikulti geht kaum.

 

Mehr Multikulti geht nicht

 

Denn wir, das sind zwei Syrer, zwei Somalier, Deutschtürken, ein Deutscher mit italienischen Wurzeln, ein Afghane, ein Iraker, ein Ägypter, Christos der Grieche und drei Deutsche. Ein Mischmasch an Wurzeln und Kulturen, fünf von uns sind Flüchtlinge in Deutschland oder: Eine normale Münchner Fußballmannschaft. Es ist Freitag und nach dem Training haben wir geduscht und sind in die Kneipe gefahren, wo wir ein paar Bier trinken wollen, ehe es bei Paul weiter und später noch in einen Club geht. Feiern. Gezahlt wird wie immer mit dem Geld aus der Mannschaftskasse. Das haben wir schon ein paar Mal so gemacht und jedes Mal war es ein lustiger Abend, dessen Anekdoten noch Wochen später im Training erzählt wurden. Besonders an unseren Mannschaftsabenden ist vor allem, dass das deutsche Nachtleben für einige Geflüchtete, die erst seit Kurzem in Deutschland leben, gänzlich neu und freilich reichlich komisch anmutet.

Bei Paul gibt es Trinkspiele. „Warum macht ihr das?“, fragt Hamid. Wir geben die Standardantworten: Um Spaß zu haben, weil es lustig ist, weil wir noch zu nüchtern sind, um in einen Club zu gehen. Hamid sitzt ganz ernst da in seinem Hemd und sagt in seinem unbeholfenen Deutsch: „Es macht doch keinen Spaß, wenn man so betrunken ist. Ich tanze, weil es Spaß macht. Warum haben Deutsche nüchtern keinen Spaß am Tanzen?“ Wir sitzen da und wissen keine Antwort und ich muss innerlich lachen. Denn er hat Recht. Man sieht es nur nicht mehr, weil man es eben immer so macht. Dabei ist es ganz schön dämlich, denn man tanzt ja nicht besser, wenn man betrunken ist. Das ist bei Hamid oft so, dass er die einfachsten Dinge sagt, die einen nachdenken und vor allem hinterfragen lassen, was man tut.

 

Rassismus an der Tür

 

Später laufen wir zum Club, in den wir gehen wollen. Es ist noch recht früh, kurz nach 12. Wir sind gut drauf, scherzen und wollen jetzt tanzen. Im ersten Club sieht der Türsteher uns abschätzig an und sagt: „Heute nicht, Jungs.“ Keiner von uns sagt was, alle denken das gleiche: Rassist. Ich frage mich ernsthaft, ob das mit einer so großen Gruppe von Jungs nicht auch passiert wäre, wenn man einigen ihre ausländische Herkunft nicht angesehen hätte. Eigentlich finde ich es unmöglich, Menschen gleich Rassismus zu unterstellen. Wir erklären, dass das oft passiert, wenn man nur mit Jungs unterwegs ist. Und wieder ist es Hamid, der es nicht versteht und doch versteht: „Wir wollen doch nur feiern und zahlen dafür. Wo ist das Problem?“

Im zweiten Club passiert es wieder und im dritten auch. Dort sagt der Türsteher: „Wir wollen keinen Stress.“ Da platzt Robin der Kragen. „Warum sollten wir Stress machen“, fragt er in einem gefährlichen Ton, den er manchmal bekommt, wenn er betrunken ist. Der Türsteher holt seine beiden Kollegen. „Gibt es ein Problem?“, fragt der eine aggressiv. „Ja“, sagt Robin, „wir werden aus rassistischen Gründen nicht reingelassen. Vielleicht sollten wir mal mit ihren Vorgesetzten darüber sprechen.“ Es ist immer wieder amüsant, wie die Rassismus-Karte in Deutschland zieht. Denn wenig später sitzen wir in einer Loungeecke und trinken. Es zieht eine Jungsgruppe an uns vorbei, vielleicht 18, gegelte Haare und Ralph-Lauren-Hemden. Sie sehen uns offen feindselig an. Ich halte Robin zurück, der schon wieder Stress machen will. Momo und Waail, die besonders angeglotzt werden, stören sich daran überhaupt nicht. Sie sind es gewohnt. Als Momo sieht, dass Robin, Luca und ich uns aufregen, sagt er: „Kein Problem, Bruder. Ihr würdet bei uns auch angeglotzt werden.“

 

Sport verbindet

 

Die Jungs sind echt super, denke ich in bierseliger Stimmung. Sie sind nette Jungs, die super schnell Deutsch lernen, Momo ist erst elf Monate in Deutschland und versteht schon mehr als ich in Dublin verstanden habe, wo der Akzent teilweise extrem stark ausgeprägt war. Sie sind vor allem wahnsinnig offen allem gegenüber, versuchen, die Wiesn zu verstehen, schauen mit uns die Deutschlandspiele an und freuen sich, hier zu sein. Sie fühlen sich akzeptiert – dank der verbindenden Wirkung von Mannschaftssport. Kein Integrationsprogramm oder Kennenlernkurs kann dieselbe Wirkung erzielen wie ein Spiel im Regen am Sonntagmorgen, das man in letzter Minute 2:1 gewinnt und dann schlammverschmiert in der Kabine feiert. Die Anerkennung innerhalb einer Mannschaft kann so viel wert sein. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Liga man spielt. Als Hamid, der kluge Sohne eines Architekten, den Siegtreffer schoss, sagte er mir später, es sei der schönste Tag seines Lebens in Deutschland gewesen.

Wir werden betrunkener und die Jungs glotzen die Mädchen an, was uns ein wenig unangenehm ist. Schließlich wissen die Mädels nicht, dass sie da von total harmlosen Jungs angegafft werden, die nicht über sie herfallen wollen, sondern einfach nur neugierig sind ob der Freizügigkeit. Sie können die Augen gar nicht losreißen von einem Pärchen, das auf der Tanzfläche wild knutscht. „Dass das hier erlaubt ist“, sagt Karim. „Sonst gibt es überall Regeln.“

 

Eine Nacht, die bleiben wird

 

Einmal begonnen, hören wir gar nicht mehr auf zu tanzen. Es hat ein bisschen was von Jungs im Schullandheim in der Fünften, die zwar die Mädchen angucken, sich aber niemals trauen würden, rüberzugehen. Wir stehen im Kreis, lachen und versuchen, von Hamid und der Blonden Fotos zu machen.

Irgendwann um 5 gehen wir nach Hause. Alle sind müde und betrunken. Ich gehe ganz hinten mit Hamid. Der wirkt bedrückt. Als ich frage, was los ist, sagt er: „Ich glaube, ich bin verliebt in Sarah.“ Ich muss lächeln. „Als ich ihr das gesagt habe, ist sie weggegangen. Habe ich was falsch gemacht?“ Da steht der gebildete Hamid in der Münchner Nacht und stellt eine Frage, bei der ihn viele unsensible Westeuropäer wahrscheinlich auslachen würden.

Ich lache nicht, sondern bin gerührt. Also setzen wir uns todmüde in einen Bäcker, essen Brezen und ich erkläre ihm ein paar Dinge über Frauen in Deutschland und er mir über die in Syrien. Es ist fast sieben Uhr, als ich daheim ins Bett falle, draußen scheint schon wieder die Sonne. Also eine ganz normale Nacht. Und doch eine, die bleiben wird. Anders als die unzähligen, die man mit seinen Freunden verbringt, und die sich in Form, Farbe und Beschaffenheit gleichen wie ein Ei dem anderen.

 

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Bildnachweis: Travis Wise unter CC BY 2.0