Titelbild myescape

Wie dieser Film die Willkommenskultur verändern kann

Das neue Jahr liegt noch in den Federn und zieht sich die Decke über den Kopf. So richtig aufgewacht ist es noch nicht. Während sich der Januar den Sand aus den Augen reibt, überschlagen sich die Ereignisse in der Flüchtlingsfrage. Fast stündlich werden neue Beschlüsse ausdiskutiert und der eine erklärt dem anderen Politiker, wie er sich zu verhalten hat.

Die Nachrichtenmenge und alle verschiedenen Meinungen und Positionen sind so überwältigend, dass man selbst nicht mehr so richtig weiß, was man glauben soll. Die Ereignisse ziehen an uns vorüber und Bilder von Flüchtlingsheimen und Aufnahmestellen lösen schon lange kein schockiertes Gesicht mehr aus. Das alles ist Teil unserer Welt und unserer Umgebung geworden. Und das wird sich so schnell nicht ändern. Was sich verändert, ist der deutsche Tenor, wenn es um die Flüchtlingsfrage geht – und hier will das Filmprojekt #myescape etwas verändern. Aus offenen werden verschränkte Arme und aus „diese Menschen haben ein Recht hier zu sein“ wird „aber die Wirtschaftsflüchtlinge haben hier nichts zu suchen“. Auch wenn immer noch viele Menschen ihre Türen und Herzen für die Geflüchteten öffnen, droht die Stimmung zu kippen.

 

Mit Filmmaterial gegen die Hetzer

 

„Vielleicht werden die Menschen daran erinnert, dass es Gründe gibt, warum diese Menschen flüchten“, sagt Sophie Elmenthaler im Gespräch mit ZEITjUNG. Sophie ist Redakteurin für das Filmprojekt #myescape. Die Masse der Medien eröffnet uns unzählige Wege, sich der Flüchtlingsfrage anzunähern. Zeitungen, Onlinemagazine, die sozialen Netzwerke, die Tagesschau oder Erzählungen aus dem Bekanntenkreis. Die meisten Berichterstattungen schauen auf die Situation herab und sprechen über das, was passiert. Vor allem zahlenbasiert. Der Film #myescape geht einen anderen Weg. Er bietet die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln. Gibt dem Thema Gesichter. Zusammengesetzt aus den Handyvideos geflüchteter Personen, schafft das Filmprojekt etwas, was selbst seriöse Medien oft nicht mehr bewältigen können. Man vertraut dem, was man sieht. Weil die Menschen aus Afghanistan, Eritrea und Syrien es genau so erleben.

Es sind nicht die Kameramänner der großen TV-Kanäle, die sich nach getaner Arbeit entlang der Flüchtlingsrouten ins Bett legen und die Augen schließen. Die Bilder entstehen, weil die Realität exakt so aussieht. „Wir rekonstruieren die Flucht von Menschen aus Afghanistan, Eritrea und Syrien. Dafür setzten wir Handyvideos oder selbst gedrehte Videos so zusammen, sodass die verschiedenen Stationen der Flüchtlinge erkennbar werden. Es ist Ziel des Filmes, aus den Augen der Flüchtlinge zu zeigen, wie sie die Flucht erleben“, erklärt Sophie.

 

Den Kontakt zu den Protagonisten stellen die Filmemacher auf ganz verschieden Weise her. Durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle, aber auch durch eigene Kontakte können viele Menschen ausgemacht werden, die ihre Flucht selbst dokumentiert haben. Aber auch die sozialen Netzwerke helfen dem Team rund um Regisseurin Elke Sasse und Produzent Stefan Pannen bei der Umsetzung: „Schon relativ zu Beginn des Projektes haben wir eine mehrsprachige Facebookseite eingerichtet, über die wir viel Rückmeldung bekommen haben. Einige dieser Menschen haben wir dann auch eingeladen und mit ihnen Interviews geführt.“ Die Interviews sind Teil des Filmes geworden, denn sie bieten den Protagonisten eine Möglichkeit, ihre Aufnahmen zu kommentieren. Ein Teil des Filmmaterials ist verwackelt oder nicht ganz scharf, erzählt Sophie. „Es sind eben alles keine professionellen Kameramänner und ab und zu ist die Qualität nicht ganz so gut.“ Wenn man sich den Inhalt der Handyvideos vor Augen führt, ist aber sofort klar, warum viele der Filmmacher nicht immer eine ruhige Hand bewahren konnten.

Es sind Situationen einer Flucht, an Grenzübergängen, Polizei-Absperrungen und Busbahnhöfen. Aber auch illegale Stationen auf dem langen Weg nach Europa werden von den Protagonisten mitgeschnitten. „Wir haben auch viel Material bekommen, bei dem man erst mal schlucken muss. Wir mussten ein paar Videos weglassen, weil das einfach zu krass gewesen wäre“, macht Sophie deutlich.

„Es ist eine neue Situation für uns alle“

 

Rama Jamarkani kennt die Gefühle und Gedanken dieser Menschen. Beim Film #myescape wirkt sie im Redaktionsteam mit. Die Journalistin stammt aus Syrien und arbeitete in Damaskus an einer eigenen TV-Produktion, die dann aber von der Regierung geschlossen wurde. Anders als die Menschen im Film konnte Rama aber mit einem Visum nach Deutschland gelangen. Bei der Umsetzung von #myescape war sie für die Sichtung und die Übersetzung des Filmmaterials zuständig. „Als ich das Material gesehen habe, konnte ich mit jedem Augenblick mehr nachvollziehen, warum diese Menschen geflüchtet sind. Wer so eine Reise auf sich nimmt, hat einen guten Grund gehabt zu gehen“, sagt sie gegenüber ZEITjUNG. Genau das ist auch die Intention des Filmes: Zu zeigen, dass jede dieser Personen, nicht zum Spaß an die schwarz-rot-gold gefärbte Türe klopft.

“Es sind alles Menschen, jeder hat seine eigene Geschichte und Träume, die im eigenen Land zerstört wurden. Sie sind hier, um ihr Recht auf Leben wahrzunehmen“, macht Rama deutlich. Aber vielleicht ist es eine andere Aussage, die uns zu denken geben sollte: „Ich glaube nicht, dass die Flüchtlinge in kurzer Zeit zurück in ihre Heimat gehen werden. Der Film ist eine gute Möglichkeit, uns anzunähern und uns kennenzulernen. Es ist eine neue Situation für uns alle und wir müssen lernen, damit umzugehen.“ #myescape wird am 10.2 im WDR Fernsehen und am 13. und 20.2. im Programm der Deutschen Welle zu sehen sein und hoffentlich auch das erreichen, wofür er gemacht wurde: Den Zweiflern hier in Deutschland die Geschichten und Beweggründe der geflüchteten Menschen näherzubringen und mitzuhelfen, dass aus verschlossenen, wieder geöffnete Arme werden.