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Freundschaft: Von blauen Häkchen und fehlendem Interesse

Ein Teil in mir weiß, dass ein Tag nur 24 Stunden hat und diese oftmals randvoll gefüllt sind. Also sieht man sich, hat man erstmal den Luxus eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts wie der Schule oder der Uni gegen echtes Geld, Arbeit oder eine Weltreise getauscht, zwangsläufig seltener und auf eine Antwort wird manchmal ewig gewartet. Der andere Teil in mir befürchtet, dass Freundschaften darunter leiden. Oder besser: er weiß es.

Freundschaft, Reisen und Missverständnisse

Wir sind zwar im 21. Jahrhundert mit allen Annehmlichkeiten, die es so gibt, angekommen. Doch Kontakthalten ist trotzdem nicht leichter als zu der Zeit, als Briefe und Münztelefone die einzige Kommunikationsmöglichkeit waren. Vielleicht erschweren Whatsapp, Facebook und Instagram sogar das Ganze. Ohne Diskussion, eine Antwort, die vier Wochen auf sich warten lässt, ist niemals so nostalgisch oder romantisch wie Handgeschriebenes, das zwei Wochen unterwegs war.

Dass die sozialen Netzwerke so viele Möglichkeiten bieten, bedeutet nämlich auch, dass ihnen unausgesprochene Pflichten anhaften. Denn sobald die Daheimgebliebenen zwei blaue Häkchen sehen, ist der Sprung zur Fehlinterpretation schnell getan. Keine Antwort wird als fehlendes Interesse verstanden. Das kratzt an der Freundschaft. Gleichzeitig sollte es den Reisenden Spaß machen, zu schreiben. Das wird aber schwer, wenn ein zentnerschweres schlechtes Gewissen sich in den Backpack geschlichen hat.

Man könnte, wenn man wollte. Wahrscheinlich.

Ungleich verfahrener und trauriger ist die Situation für alle Beteiligten, wenn kein Ozean die Trennung legitimiert. Denn dann hängt die ganze Zeit ein Man-könnte-wenn-man-wollte über der Freundschaft, die durch diese Abstinenz faktisch zu einer Bekanntschaft degradiert wird. Obwohl sie sich nicht so anfühlen würde, würde man sich treffen. Hofft man zumindest.

Warum das so ist, macht in dieser Sache einen gewaltigen Unterschied aus. Denn entweder ist der gemeinsame Fußballabend auf der Prioritätenliste nach unten gerutscht. Oder eine der beiden Personen hat grundsätzlich keine Lust auf die Macken der anderen Person und ghostet sie. Wem das Fingerspitzengefühl und undramatische Ehrlichkeit fehlen, dem wird die Zeit in der Regel den Unterschied erklären.

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Bei Fall 1 steht die Frage im Raum, warum das Kontakthalten immer schwieriger wird, obwohl man sich eigentlich mag. Vielleicht liegt es am Alter, an dem Mehr an Verpflichtungen, der stetig wachsenden Anzahl an Hobbys oder dem gefallenen Elan, das gemütliche Coachella gegen einen Cocktail auszutauschen? Aber was erwarten wir auch von einer Welt in der busy und vielbeschäftigt Statusattribute sind. Und Menschen, die eher der passive Faultier-Typ sind, gab es schon immer. Diese Gründe sind zwar schade und können bedeuten, dass gemeinsame Abenteuer auf der Prioritätenliste nicht mehr ganz oben stehen. Aber immerhin wissen die Beteiligten auch, dass sie selbst schuld sind, wenn sie sich alt und einsam fühlen.

Die gute Nachricht.

Die gute Nachricht: alle Parteien haben in diesem Szenarium – würde das Leben nicht immer dazwischen kommen – Lust aufeinander und wahrscheinlich ein riesiges schlechtes Gewissen. Mit ein bisschen Toleranz auf beiden Seiten und den richtigen Maßnahmen klappt das mit dem Treffen früher oder später auch wieder.

Eine Freundin zum Beispiel blockt sich fürs Beantworten von Nachrichten den Sonntagmorgen. Vorbildlich. Aber man könnte auch, anstatt nach dem Wohlbefinden zu fragen, ein konkretes Date vorschlagen. Dann verlaufen Gespräche nicht im Sand, sondern vorzugsweise in der Lieblingsbar. Oder gleich anrufen. Oder am Ende des letzten Treffens bereits das nächste ausmachen. Oder einfach mal Prioritäten setzen und der früheren besten Freundin den Vorzug vor der neuen Tinderflamme geben. Und was ab und zu für jede Freundschaft wichtig ist: Den eigenen Stolz runterschlucken. In der Theorie alles ziemlich einfach.

Keine Antwort ist auch eine Antwort.

Problematisch wird es erst, wenn eine der beiden Parteien insgeheim keinen Kontakt mehr haben möchte. Denn Ghosting ist nicht nur ein Phänomen in Liebesbeziehungen. Auch Freundschaften enden manchmal ohne klärendes Gespräch, ohne Abschluss. Meistens zieht sich der eine oder andere langsam zurück, hofft unausgesprochen darauf, dass dauernd verschobene Treffen ihre Wirkung tun, keine Antwort auch eine Antwort ist.

Es gibt kein Script für das Ende einer Freundschaft und keiner kann garantieren, dass die Wahrheit es auch nur einen Deut besser machen würde – der Schmerz ist und wird immer schwer zu ertragen sein. Den Zurückgebliebenen bleibt dann oft keine andere Wahl, als sich selbst einen Gefallen zu tun und mit dem Thema abzuschließen.

Freundschaften fallen nicht vom Himmel

Wie bei vielem im Leben gibt es zwei Seiten einer Medaille. Vielleicht muss die eine Seite ihren Frieden damit machen, dass es Menschen gibt, die immer zu viel zu tun haben, dass es Menschen gibt, die es sich in ihren Freundschaften zu bequem machen, dass es Menschen gibt, die kein Interesse mehr an Kontakt haben. Genauso wie die andere Seite sich der Konsequenz bewusst sein sollte, wenn man Freundschaften auf Stand-By setzt. Denn echte Verbindungen fallen eben nicht vom Himmel und wollen genauso gepflegt werden wie die Partnerschaft oder der Job.

Wenn man Glück hat, stehen beide auf der beiden Seite und sind glücklich. Wenn nicht, ist es wie bei jeder anderen Meinungsverschiedenheit auch. Es hilft nur Verständnis und dass man seine Sehnsüchte artikuliert, seinen Worten Taten folgen lässt.

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Beitragsbild: Alena Getman via CC2.0