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Geldfreies Leben: Ein Paar gegen den Konsum-Krieg

ZEITjUNG: Was hat dich persönlich dazu bewegt, fast drei Jahre geldfrei zu leben?

Eine Woche bevor ich entschloss, all mein Geld zu verschenken, war ich auf einem Seminar eingeladen, um dort einen Projekttag zum Thema „Welternährung“ zu begleiten. Am Ende war das Feedback ganz fein und eine Person fragte mich, warum ich das eigentlich nicht öfter mache. Das fragte ich mich dann auch und kam schnell darauf, dass es an meinem zeitintensiven Studium lag. Die wichtigere Frage, warum ich überhaupt Pädagogik studierte, folgte schnell darauf. Und die Antwort lag leider auf der Hand: Ich brauchte die Bescheinigung, das tun zu dürfen, was ich sowieso schon immer nebenbei mache. Eine Woche später habe dann ich erfolgreich mein Studium abgebrochen, all mein Geld und Besitz verschenkt und bin losgereist.

Wir fragen uns, wie ein geldfreies Leben funktionieren kann. Wie ernährt man sich und woher bekommt man ein Dach über dem Kopf?

Im Grunde ist das Motto: Vorhandenes sinnvoll nutzen. Wir leben in einer unvorstellbaren Wegwerf- und Überflussgesellschaft und damit in unglaublicher Fülle. Mangel ist da nur konstruiert.

Gegessen habe ich Lebensmittel die ich vor dem Wegwerfen gerettet habe – und mache es heute noch. Die Bewegung Foodsharing ist mittlerweile sehr bekannt : 25.000 Freiwillige retten bei 2.500 kooperativen Unternehmen täglich Tonnen von Lebensmitteln. Das Wohnproblem löste sich ganz praktisch, wir durften immer wieder bei Menschen leben, die unsere Aktion unterstützen wollten. Allerdings konnten wir das kaum annehmen, weil wir in den 2,5 Jahren fast ausschließlich unterwegs waren, um Workshops und Vorträge an Unis, auf Kongressen und Konferenzen zu geben.

Was hast Du in dieser Zeit über Dich lernen können?

Ich habe super viele spannende Perspektivwechsel und Erfahrungen machen dürfen. „Genug“ bedeutet „Genug für alle“. Menschen teilen mit größter Freude, wenn es ihnen möglich ist und begegnen Dir ganz anders, wenn sie die klassischen Rollen von Verkäufer*in und Konsument*in verlassen dürfen. In meinen Vorträgen erzähle ich deshalb gerne von Anekdoten mit dem Porsche Cayenne Fahrer beim Trampen oder einem lieben Obsthändler in Marseille. Aber das führt vermutlich zu weit.

Gab es auch schlechte Erfahrungen?

Glücklicherweise nicht.

Das Experiment ist vorbei. Wie lebst du jetzt? Wenn nicht geldfrei, dann aber dennoch deinen Ideen und Prinzipien treu bleibend?

Nun lebe ich nur noch zu 99% idealistisch und 1% pragmatisch. Weil wir in einer auf Geld basierenden Wirtschaftsordnung aktuell die Herausforderung haben, dass beispielsweise die Krankenversicherung ab einem gewissen Alter selbst übernommen werden muss. Deswegen lebe ich nicht mehr radikal geldfrei, aber weiterhin geldfreier. Aktuell liegen meine Ausgaben für eine Krankenversicherung und eine anteilige solidarische Warmmiete bei monatlich 250€, die ich locker zusammenbekomme – was darüber stark hinaus geht, gebe ich weiter an sinnvolle Graswurzelprojekte. Den Rest organisiere ich mir weiterhin geldfrei.

Du hast mit Pia die Website geldfreierleben und das Projekt- & Aktionsnetzwerk living utopia ins Leben gerufen. Stöbert man darauf, merkt man, dass es um noch viel mehr, als nur das geldfreie Leben geht. Was bewegt Euch außerdem?

Es geht um eine sozial-ökologische Transformation, zu der wir anstoßen möchten. Denn der aktuelle Status Quo ist erreicht und überreizt die ökologische Grenze. Dieses „immer weiter, schneller, höher, besser“ ist nicht haltbar! Wir möchten dazu anregen, Wege in ein neues Miteinander zu wagen, damit wir frei von Leistungszwang, Selbstoptimierungswahn und Verwertungslogik spannende Erfahrungen machen und andere Selbstverständlichkeiten leben.

Mit dem Netzwerk living utopia initiieren wir Mitmachräume für den gesellschaftlichen Wandel, nach den vier begleitenden Motiven „vegan, ökologisch, solidarisch und geldfrei“. Damit möchten wir utopietaugliche Alternativen erfahrbar machen.

Gib uns doch zum Schluss noch ein paar Tipps mit auf den Weg, wie wir geldfreier leben können?

Unterstützt Umsonstläden oder Kleidertauschpartys, rettet Lebensmittel und schafft eine neue Wirklichkeit, außerhalb von Leistung und Gegenleistung. Erkennt, dass die Realität nicht starr ist, sie ist veränderbar – durch jede*n von uns! Was brauche ich eigentlich wirklich? Und: Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt?

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Bildquelle: privat, Tobi Rosswog