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FOMO: Warum wir ständig Angst haben, etwas zu verpassen

Vielleicht sind es unsere vollgestopften Terminkalender, die die erste, inoffizielle Social-Media-Krankheit angelockt haben: FOMO steht für „Fear of missing out“ und ist ein Phänomen, das im Zusammenhang mit Ereignis-Süchtigen genannt wird – also uns. Wir sind die Menschen des 21. Jahrhunderts, die nicht mehr der Zeit hinterherjagen, sondern Events, mit denen wir unser Leben vollstopfen können. Über die wir dann twittern, posten und instagramen können so viel wir wollen. Und je mehr desto besser, denn umso mehr erleben wir schließlich. Denken wir zumindest.

Dass uns zu viel des Guten aber früher oder später Burn-Out, Herzinfarkt, Depressionen oder sonst eine Krankheit bescheren kann, ist klar. Pausen jedoch legen wir trotzdem nicht ein, weil wir in ihnen nur Unruhe und FOMO-Unwohlsein sammeln, das wir schnell wieder abbauen müssen. Was wiederum stressig ist. Und die Frage stellt sich: Lohnt sich das überhaupt?

 

Die gestresste Generation

 

Während uns ein Blick in unsere durchgeplante Zukunft gelegentlich einen Heulkrampf bescheren sollte, schleicht sich eher eine andere Begleiterscheinung ein: Befriedigung. Von einem Event zum nächsten zu hetzen, zwischendurch Hausarbeiten hinzurotzen, sich auf Konzerten auszutoben, nebenbei noch der Selbstverwirklichung zu frönen und an den zwischenmenschlichen Beziehungen zu basteln, ist die Art von hektischem Leben, die wir uns selbst eingebrockt haben. Wir machen es freiwillig, das Zersägen unserer Zukunft in geordnete Einzelteile.

Unseren selbst fabrizierten Stress können wir geil finden oder nicht. Sicher aber ist, dass es in dieser durchgetakteten Zukunft einige Tage gibt, die FOMO-riskanter sind als der Durchschnitt. Es sind nämlich diejenigen, an denen mehrere Sachen auf einmal anstehen. Wenn der Geburtstag der besten Freundin mit dem abgefahrensten Festival zusammen fällt. Oder die Hochzeit des Bruders sich mit der lang ersehnten Hausparty überschneidet. Solche extrem beschissen verknoteten Ereignispunkte führen dazu, dass die mittelalterliche Todesstrafe des Gevierteiltwerdens gar nicht mehr so unattraktiv zu sein scheint – dann hätte man zumindest die Möglichkeit, auf mehreren Veranstaltungen gleichzeitig zu erscheinen.

 

Fomo, Baby, Fomo!

 

Das Tanzen auf zwei Festen sollten wir einem alten Sprichwort nach aber gefälligst bleiben lassen. Und es stimmt: Sich nicht für eine konkrete Veranstaltung zu entscheiden, sondern nach zwei Stunden die Location zu wechseln, macht unglücklich. Und zwar nicht nur den Gastgeber, sondern auch uns selbst, weil wir uns immer fragen werden, ob es jetzt nicht doch auf der anderen Party besser ist (schließlich hat gerade eine Freundin von der eben verlassenen Feier ein abgefahrenes Foto gepostet – dumm gelaufen). Für diesen Zwang in uns, immer und überall dabei sein zu wollen, gibt es also die treffende Bezeichnung FOMO. Die Angst, irgendetwas zu verpassen, ist zu unserem lästigen und ständigen Begleiter geworden.

Der teuflische kleine Helfeshelfer der Social-Media-Krankheit liegt auf der Hand – oder in der Hand. Oder auf dem Nachttisch, in der Tasche, auf dem Schreibtisch, auf dem Sitz neben uns, auf dem Esstisch und neben der Badewanne: das Smartphone. Weil es uns ständig mit unserer Umwelt verbindet, werden wir über das Handy auch dauernd mit Ereignissen und News beschossen, die es uns unmöglich machen, im Hier und Jetzt zu sein. Und einfach das zu genießen, was wir gerade live erleben. FOMO ist ein ständiges Vibrieren, ein Nicht-Abschalten-Können. Eine Sucht nach Neuem, eine unendliche Suche nach dem Mittelpunkt des Geschehens.

 

Einfach nur unhöflich

 

Aber nicht nur in der Welt der ignoranten Jugend haben wir ständig Kontakt mit allem und jedem und wissen über alles und jeden in jeder Sekunde Bescheid. Marc Baumann, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, beobachtete vor Kurzem, dass mittlerweile auch in Besprechungen ungeniert Gebrauch von Smartphones gemacht wird. Sechs von 13 anwesenden Personen beschäftigten sich während der Konferenz mit ihren Handys und der Redakteur stellt schlicht fest: „Viele halten es einfach nicht mehr aus, eine ganze Besprechung lang von ihrem Smartphone getrennt zu sein.“ Unhöflichkeit nennt er das – ohne einen empörten Ton anzuschlagen, denn schließlich tut er es selbst, was in anderen Teilen der Welt eben als FOMO bezeichnet wird und generationsübergreifend gilt.

Spiegel-Autorin Maja Beckers fragt hingegen, ob es denn JOMO wäre, was uns alle retten könnte. JOMO, „Joy of missing out“, die Gegenbewegung, das bewusste Wegbleiben vom sozialen Wollknäuel, das tiefe Luftholen in den Wäldern dieser Erde. In Kanada organisierte Business Coach Vicky McLeod ein „#Jomo – The Joy of Missing Out“- Wochenende und bot den Teilnehmern das, was es nicht in der digitalen Welt gibt: Realität, Entspannung, Abschalten. „This is a weekend all about giving your busy brain a rest so your heart can speak up“, lautet der Gedanke hinter dem #Jomo-Wochenende.

 

Jomo – mach‘ dich rar!

 

Dr. Danny Penman aus England gilt als Experte auf diesem Gebiet. „FOMO puts an awful lot of stress on people, but we cannot do it all“, sagt er. „We have to accept that we only have a finite amount of time and we should be enjoying fewer things with a greater degree of intensity.“ So sehen das mittlerweile auch diejenigen, die ganz oben schwimmen. Mumford & Sons zum Beispiel bitten ihr Publikum, während des Auftritts das Handy wegzupacken, um das Konzert live und nicht über einen kleinen Bildschirm zu erleben. Und es gibt schon Bücher zu dem Thema, die dich auf dem Weg zu mehr JOMO-Leben begleiten wollen. Christina Crook hat eines dieser vor Weisheit strotzenden Schriften verfasst und nennt das Ganze „The Joy of Missing Out – Finding balance in a wired world“. Ihre Tipps: bewusst offline gehen, Gedanken aufschreiben, sich bei FOMO-Gefühlen fragen, was man denn jetzt lieber machen würde und warum – und am Ende versuchen, immer in der Gegenwart zu leben und das zu genießen, was einem gerade vor die Nase gesetzt wird.

Ja, JOMO ist ein guter Ansatz. FOMO nervt und dem muss bewusst entgegen gesteuert werden. Aus dem „Joy of missing out“-Gedanken aber wieder einen neuen Trend zu basteln, ist bedenklich. Trends sind die Eintagsfliegen unter den Lebenseinstellungen. Sie sind schnell verschrien und verpönt, werden belächelt. Vielleicht würde es helfen, wenn wir aufhören, ständig alles vollzuplanen. Uns in den nächsten Wochen immer Tage freihalten würden, an denen wir nichts tun. Und dann bewusst abschalten – sowohl online als auch offline. Schließlich ist FOMO nichts anderes als eine Folgeerscheinung unserer hektischen Welt. Da können wir nur eins tun: Ab und zu aussteigen, an Zeitpunkten, an denen nichts los ist und dann wieder einsteigen, wenn wir wissen, dass es etwas zu erleben gibt.

 

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Bildquelle: Morgan Sessions unter cc0 1.0