Schluss mit dem HIV-Stigma!

Von Melanie Wolfmeier

Schwulenpest, Lustseuche, Rache Gottes. Das waren die Namen, mit der vor drei Jahrzehnten Aids umschrieben wurde. 30 Jahre schon ist es her, dass der erste Welt-Aids-Tag stattgefunden hat. Seit 1984 hat sich einiges getan. Damals kam die Ansteckung mit HIV noch einem Todesurteil gleich. Heute gibt es Medikamente, die zwar nicht heilen, aber dennoch ein langes Leben ermöglichen.

Auch über die Übertragung und die Auswirkungen des Virus wissen wir mehr. Trotzdem bleibt meistens ein ungutes Gefühl bei Kontakt mit einem Betroffenen. Das lässt sich nur überwinden, wenn man sich genauer informiert. Und das wiederum hilft nicht nur, das eigene Gewissen zu beruhigen, sondern auch mit denjenigen normal umgehen zu können, die das Virus in sich tragen.

 

Diskriminierung im Alltag 

 

Wie schwer es HIV-Infizierte im Alltag haben, zeigt eine Umfrage der Deutschen Aids-Hilfe von 2011. 1148 Interviews wurden insgesamt geführt. Zwanzig Prozent der Befragten berichteten, dass ihnen aufgrund ihrer Krankheit die Behandlung in Praxen verweigert wurde. Unsicherheit und Furcht sind die Gründe, die die Ärzte davon abhielten, den Patienten zu helfen: „Als Ablehnungsgründe werden häufig genannt: die Angst vor einer Übertragung der HIV-Infektion, die Angst, keine qualitativ angemessene Behandlung gewährleisten zu können oder sogar, dass die Behandlung von HIV-Positiven dem Ruf der Einrichtung schaden könne.“

Dabei muss ab dem Zeitpunkt des positiven Testergebnisses so schnell wie möglich mit der Behandlung begonnen werden. Die Medikamente unterdrücken die Vermehrung der Viren, die unser Immunsystem kaputt machen. So haben die angegriffenen T-Helfer-Zellen (die hauptsächlich für einen funktionsfähigen Abwehrmechanismus zuständig sind) Zeit, sich zu regenerieren. Und je weniger Viren im Blut, desto weniger die Gefahr, andere Menschen anzustecken.

 

Vom Oberarzt zum Berater

 

Aber nicht nur auf der Seite der Patienten erfahren Infizierte Ablehnung. Im Ärzteblatt findet sich eine Geschichte über einen Arzt, der aufgrund des menschlichen Immunschwächevirus in seinem Körper die Stelle als Oberarzt und Chirurg nicht antreten konnte. Obwohl es laut Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland verboten ist, auf einen HIV-Test zu bestehen, wurde genau dieser von ihm verlangt. „Das Beharren auf dem routinemäßigen HIV-Test ist wissenschaftlich unhaltbar. Im Arbeitsalltag von Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen ist eine Übertragung von HIV so gut wie ausgeschlossen“, heißt es auf der Seite der Deutschen Aids-Hilfe.

Keikawus Arastéh, einer der führenden HIV-Spezialisten Deutschlands, meint zu dem Thema: „Ein HIV-Positiver, der sich behandeln lässt, kann überall arbeiten. Die Viruslast ist dann (bei einer Behandlung; Anm. d. Red.) so gering, dass eine Infektion unmöglich ist.“ Um den Patienten anzustecken, müsste der Arzt selbst eine Wunde haben, aus der Blut mit genug Viren in eine offene Wunde der zu operierenden Person gelangen würde. Was laut HIV-Report bisher nur sehr selten geschehen ist. In dem Fall des Arztes aber führte sein positives Testergebnis dazu, dass er die Stelle als Oberarzt nicht bekam und fortan nur noch eine beratende Position innehat.

 

Geringe Ansteckungsgefahr

 

Noch schwieriger wird es, wenn das Geständnis „Ich bin HIV positiv“ im zwischenmenschlichen Bereich auftaucht. Fast die Hälfte der Befragten wurden deshalb von Partnern zurück gewiesen. Kondome sind zwar der einzig sichere Schutz gegen eine Ansteckung, dennoch sind 90% der Neuansteckungen in Deutschland auf fehlende Vorsichtsmaßnahmen beim Sex zurück zu führen. Aber auch hier gilt wieder: Durch eine erfolgreiche Therapie kann man das Risiko einer Übertragung zumindest minimieren.

Da viele Menschen mit HIV stigmatisiert werden, wurde 2012 das Projekt „positive stimmen“ gestartet. Dahinter steckt die Idee, sich über Erfahrungen austauschen zu können. Und auch Nicht-Infizierte haben die Möglichkeit, ihre Bedenken gegenüber Betroffenen abzubauen. So wird darüber aufgeklärt, dass bei einem HIV-positiven Bäcker keine Ansteckungsgefahr besteht – die Viren überleben den Zusammenprall mit der Luft nicht und sterben so ab, bevor sie auf irgendeine Art und Weise von dem Bäcker zum Kunden gelangen könnten.

 

Aids ist nicht gleich Krebs

 

Vielleicht rührt das ungute Gefühl in uns daher, dass sich Aids nicht mit einem bösartigen Tumor vergleichen lässt. An Krebs zu erkranken – das liegt außerhalb unserer Verantwortung. Geht es aber um das Retrovirus, ist vor allem eine Meinung vertreten: Sich mit HIV zu infizieren, sei ein untrügliches Zeichen dafür, unvorsichtig gewesen zu sein. Im Sinne von: „Du hast Aids? Hast wohl nicht genug aufgepasst!“

Natürlich lässt sich durch das Einhalten gewisser Regeln eine Ansteckung vermeiden. Aber mit dem Finger auf Leute zu zeigen, die einen Moment lang nicht aufmerksam genug waren, ist doch keine Lösung. Seit seinem Auftreten ist Aids stigmatisiert worden: als tödliche Krankheit, die leicht übertragbar und unkontrollierbar ist und mit „moralisch verwerflichem“ Handeln in Verbindung gebracht wird. Und genau deswegen werden Menschen abwertend behandelt, die eigentlich Unterstützung bräuchten. Die rote Schleife mit den offenen Enden ist mittlerweile zu einem wichtigen Symbol geworden. Sie erinnert uns nicht nur daran, uns vor HIV zu schützen. Sie steht auch dafür, unsere Vorurteile und Ängste aufzuknoten und die Erkrankten nicht weiter zu stigmatisieren.

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Bildquelle: LMAP unter CC BY 2.0