Okay Gesellschaft Menschen

Warum reicht ein „Okay“ heutzutage einfach nicht mehr aus?

Es liegt in unserer Natur, dass wir Menschen seit jeher nur eine einzige Richtung kennen: Vorwärts. Wir geben uns niemals zufrieden, setzen immer höhere Maßstäbe, existieren nur, um unseren Lebensstil zu optimieren. Jede noch so bahnbrechende Erfindung wird schon bald von einem sehr viel eindrucksvolleren Produkt übertrumpft (fragt mal den Erfinder des Zwei-, Drei-, Vier- und Fünf- und Sechs-Klingen-Rasierers). Höher, schneller, weiter – Hauptsache, nicht auf der Stelle treten.

Auch uns ist bewusst, dass der Mensch sich tagtäglich weiterentwickeln muss, um einem Fortschrittsgedanken zu entsprechen, dem er niemals entkommt. Und doch würde es uns allen nicht nur gut tun, diesen Zwang mal ein bisschen zu hinterfragen. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wenn es irgendwie möglich ist, sollten wir so schnell wie möglich die Beine in die Hand nehmen und versuchen, dieser Spirale zu entkommen. Denn dieser Drang, besser als alle anderen und auf gar keinen Fall einfach nur „okay“ zu sein, ist in dieser Gesellschaft offensichtlich unvermeidlich und fast schon krankhaft notwendig.

„Okay“ ist der neue kleine Bruder von Scheiße

Im Klartext: Wenn dein Leben „okay“ ist, dann ist nichts in Ordnung. Dann bist du ein Verlierer.  Da hilft es auch nicht, damit zu argumentieren, dass das kleine, universale Wörtchen ok doch eigentlich eine Abkürzung für „oll korrekt“ ist (ja, auch früher hatten die Leute durchaus einen Sinn für Ironie).

Der Drang der Selbstoptimierung ist heute die prägendste Kraft unseres Handelns und beeinflusst mittlerweile unglaublich viele unterschiedliche Lebensbereiche. Früher ging man zum Beispiel aus einem einzigen Grund zur Arbeit: Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Job musste dabei nicht sonderlich spannend oder abwechslungsreich oder außergewöhnlich lukrativ sein: Wenn er genug einbrachte und dabei sogar noch ein bisschen Spaß machte, war alles vollkommen okay (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes). Privat- und Berufsleben waren vollkommen isoliert und das war auch gut so.

Heute aber „bist du dein Job“: Er definiert und erfüllt dich, macht dich zu dem Menschen der du bist. Doch die Leidenschaft allein reicht natürlich nicht aus: Erst wenn du mit dieser tagtäglichen Tätigkeit, die du abgöttisch liebst, auch noch ordentlich Geld scheffelst, hast du es wirklich geschafft. Utopisch? Kein bisschen.

Was die Digitalisierung mit den Menschen macht

Und doch ist es irgendwie logisch: Diese technisierte und digitalisierte Gesellschaft ist schließlich abgerichtet auf Statussymbole. Wer oder was bist du heute ohne Smartphone, Flachbildfernseher, Tablet? Was bist du ohne fancy Reise nach Bali, Israel oder New York? Heutzutage ist es ja fast schon peinlich, Bilder aus dem Sylturlaub zu posten. Sie sind völlig absurd – und trotzdem richten wir uns nach diesen Standards.

Es ist ein Wahn, der mittlerweile so gut wie all unsere Lebensbereiche erfasst: Beziehungen zum Beispiel. Ja, da ist sie wieder, die „Generation Beziehungsunfähig“. Warum nur können wir uns nicht einfach dauerhaft auf einen Partner einzulassen? Weil eben auch hier ein „Okay“ einfach nicht mehr ausreicht. Vielmehr erschaffen wir in unserer Fantasie eine „Illusion der Vollkommenheit“, die unseren absurd hohen Ansprüchen tatsächlich gerecht wird. Und dann landen wir beim ersten Tinder-Date schmerzhaft hart auf dem Boden der Tatsachen, nämlich bei unserem Gegenüber, das nicht im Mindesten an unsere Wunschvorstellung eines idealen Partners heranreicht. Und merken dabei gar nicht, dass diese Person eigentlich ganz gut zu uns passen könnte. Lieber wischen wir zuhause wieder eifrig nach links und rechts –  irgendwann kommt er schon noch, der Traumprinz.

Aber er wird nicht kommen. Genauso wenig wie der Traumjob. Das ist das Kernproblem an der ganzen Sache: Wir klammern uns solange an irrationale Utopien, bis uns die bittere Realität einholt und in eine tiefe Depression stürzt. Nicht umsonst ist die Zahl der Menschen, die wegen Depressionen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, in den letzten Jahren rasant gestiegen. 2010 waren doppelt so viele Menschen von der psychischen Krankheit betroffen wie noch zehn Jahre zuvor. Denn nicht nur das Leben mit all seinem bürokratischen und digitalen Wirr Warr wird immer komplexer und komplizierter. Auch wir wollen mehr, mehr, mehr; verlangen zu viel von allen anderen und vor allem von uns selbst – bis wir merken, dass wir all dem Druck nicht mehr standhalten können und einfach zusammenbrechen.

So traurig es klingt, es ist wahr. Erschreckend viele Menschen lassen sich vom Konstrukt „Gesellschaft“ mit all seinen unmöglichen Vorschriften so zerstören, dass ihnen das eigene Leben nicht mehr lebenswert erscheint. Um es nicht so weit kommen zu lassen, sollten wir vielleicht alle mal „Ja“ zum „Okay“ sagen. Denn das ist ein zu Unrecht verunglimpftes Wort. Es ist nämlich okay, einen Job zu haben, der okay ist. Es ist okay, an einen Urlaubsort zu fahren, der okay ist – nicht mehr und nicht weniger. Und es ist mehr als okay, auch mal ein bisschen Dankbarkeit dafür zu empfinden.

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Elli DeFaria unter CC 0 Lizenz