Lotte Düx Hassobjekt Singletisch

Hassobjekt: Singletische

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten immer montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Singletische“.

Ein Hassobjekt von Melanie Rojahn. Illustriert von Lotte Düx.

Sitzordnungen waren schon immer eine deutliche Form der Abgrenzung: Schwarz von weiß, Frauen von Männern, Streber von Letzte-Reihe-Sitzern.

Die modernste Form der gesellschaftlichen Demütigung stellt wohl der Singletisch dar. Quasi der „Kindertisch“ der Beziehungsunfähigen und Schwervermittelbaren.

Kuriositätenkabinett der Neuzeit

Mittlerweile beherbergt jede Hochzeit ein solches Kuriositätenkabinett der Neuzeit: „Und heute präsentieren wir Ihnen: Acht junge Leute, die sich tatsächlich ohne Begleitung auf eine Hochzeit – also ein Fest der Liebe – trauen. Treten Sie näher. So etwas haben Sie noch nicht gesehen. Wer will nochmal, wer hat noch nicht?“

Selbst wenn die Namenskärtchen noch keinen Aufschluss über den Beziehungsstatus geben, verrät das Verhalten der meist wild zusammengewürfelten Personen untereinander die missliche Lage der Beteiligten. Für manche Gästelistenschreiber gilt ein solcher Tisch als „Stimmungsgarant“ oder zumindest als Eskapadenquelle. Unberechtigt ist diese Denke nicht. Die Verzweiflung, die viele Betroffene des Zur-Show-Stellens verspüren, führt oftmals zu einem nicht unbeträchtlichen Alkoholkonsum, welcher nicht minder selten zu auffallend guter Laune führt. Ergo: Willkommen am „Mallorca-Tisch“.

Die Krone der Singledemütigung

Die bedauernswertesten Momente im Rahmen einer Hochzeit sind für die Gäste des Singletisches die folgenden:

Die Nachspeise: Das Buffet war zu reichhaltig oder die zuvor servierten vier bis sechs Gänge einfach zu lecker. Auf jeden Fall ist für den Nachtisch kein Platz mehr im Magen und Tiramisu ist ja auch nicht jedermanns Sache. Während die glücklichen vergebenen Damen an den umliegenden Tischen den vollen Dessertteller unauffällig an den Partner weiterschieben, bleibt den Single-Ladies nichts anderes übrig, als den Teller verschämt an den Kellner zurückzureichen oder aber die Kalorienbombe in sich hineinzuzwängen. Auf die Gefahr hin, dass Magen und Abendgarderobe darunter leiden.

Die Eröffnung der Tanzfläche: Korrekt, diese wird durch das Brautpaar übernommen. Aber irgendwann ist immer der Moment gekommen, an dem alle „Paare“ zum Tanz gebeten werden. Kein Gastgeberpaar und ich meine ÜBERHAUPT KEIN Gastgeberpaar schafft es, eine so ausgeglichene Gästeliste zu schreiben, dass nicht mindestens ein Single am Tanzflächenrand allein zurück bleibt.

Und last but not least: Die Krone der weiblichen Singledemütigung: Der Wurf des Brautstraußes. Dies ist der Moment, sich mit dem übrig gebliebenen Tiramisu weinend unter den besagten Tisch des Grauens zu begeben.

Achtung: Freiwild

Es ist wie das Zurückversetztwerden in eine Zeit, in der man als Zwölfjährige eigentlich schon viel zu erwachsen war, um mit den halb so alten Cousinen und Cousins in Omas überheiztem Wohnzimmer am Couchtisch zu sitzen, während die Eltern am Esstisch Wein und Selbstgebrannten tranken. Und auch ohne Partyhütchen kommt man sich wie der größte Freak im Raum vor.

Zusätzlich zu den beißenden Selbstzweifeln droht auch noch Gefahr von außen. Denn am Singletisch sitzen ist gleichbedeutend mit einem Stirntattoo „Achtung: Freiwild!“. Irgendein junggebliebener Großonkel oder eine betrogene Ex-Stiefmutter fühlt sich dank Alkohol und allgemeiner „Wuhuuu“-Stimmung dazu hingerissen auf die Pirsch zu gehen.

Der Singletisch vereint also viele Grausamkeiten auf einmal: Bedingungslose Auslieferung an selbstbewusste Best Ager, übermäßiger Alkoholkonsum und das ungefilterte Darstellung des Pärchenglücks. Prost in die Runde!

 

 

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Lotte Düx ist eine junge Illustratorin und Designerin, die nach Stationen in Wiesbaden und Köln ihre Wahlheimat in München gefunden hat. Mit einer Vielfalt an Stilen illustriert sie pointiert und detailverliebt ebenso das Schöne und Skurrile, wie Missstände und das aktuelle Zeitgeschehen. Daneben findet sie noch Zeit für ZEITjUNG das wöchentliche Hassobjekt mit ganz viel Liebe zu illustrieren. Danke!