contra Hausarbeiten, Studenten und Dozenten genervt

Studium: Kein Mensch braucht Hausarbeiten!

Etwas zögerlich klopfe ich an der Tür meiner Dozentin. Nach einem monotonen „Herein“ schlüpfe ich durch die Tür in der Hoffnung, es könnten mich diesmal erfreuliche Nachrichten erwarten. „Ah, gut, dass Sie es noch geschafft haben. Setzen Sie sich.“ Ich reiche ihr die Hand und lasse mich auf den Stuhl fallen. Sie seufzt. „Tja, was soll ich sagen, ich kann Ihnen den Punkt leider immer noch nicht geben.“ Kurz bin ich so perplex, dass ich nicht weiß, ob ich jetzt eigentlich mal laut loslachen soll. Das ist das fünfte Mal, dass ich meine Hausarbeit, meinen Leistungsnachweis für einen verdammten ECTS-Punkt (European Credit Transfer System: Nachweis einer Leistung für geleistete Stunden im Studium) überarbeiten muss. Anschließend höre ich mir „Verbesserungsvorschläge“ an, die sie mir ja nicht beim ersten Mal schon hätte sagen konnte. Wie viel Zeit ich da schon reingesteckt habe! Ich bin genervt, sie ist genervt. Wir haben beide einfach keine Lust mehr weiterzumachen. Und laaangsam aber sicher beginne ich, das Konzept von Hausarbeiten in Frage zu stellen.

 

Pseudo-Symbiose: Viel Einsatz, wenig Gewinn

 

Das Prinzip einer Hausarbeit ist einfach erklärt: ein Student verfasst zu einem Thema eine Schrift zwischen 10 und 15 Seiten. Im Idealfall möglichst viele Literaturquellen nutzen (Onlinequellen sind BÖSE!), bloß keine individuelle Hirnleistung einbringen, aber abschreiben bitte auch nicht. Nach Fertigstellung der Arbeit übergibt man sein Meisterwerk dem Dozenten, welcher es dann mürrisch an einem Sonntagabend bei einem, zwei oder drei Gläsern Rotwein nach dem Tatort auf der Couch liest und dir im Laufe der nächsten Zeit dann irgendwann mal die Punkte verbucht. Der Grundgedanke einer Hausarbeit war vermutlich mal: beide, Student wie Dozent, profitieren von der Verbindung. Hm. Tatsächlich sehe ich leider wenig Profit. Das eigentliche Ziel ist es doch, dass der Student lernt, empirisch zu arbeiten und natürlich sein Wissen zu erweitern. Der Dozent findet die meisten Arbeiten natürlich unfassbar interessant, nimmt sich gerne Zeit dafür und schläft nicht auf Seite drei ein. Schön wär’s.

 

Als Student sich hochmotiviert, ausgeschlafen und entspannt an den Schreibtisch zu pflanzen und direkt nach der ersten Vorlesung um 8 Uhr früh grinsend zu Hause im lichtdurchfluteten, zehn Quadratmeter großen Zimmer ein bisschen Fotosynthese zu betreiben – auf jeden Fall toootal realistisch! Was wirklich geschieht: der Student müht sich ab, zwischen Veranstaltungen, Nebenjob, Klausuren und Wäschewaschen die 24 Stunden des Tages zu verdoppeln. Der Dozent ist mittlerweile nicht nur Stammgast beim Aldi-Weinregal, sondern auch im Blumenladen um die Ecke, weil er seine Frau ständig versetzt, summt „Atemlos durch die Nacht“ am Frühstückstisch und schlurft halbwach mit falsch geknöpftem Hemd über den Uni-Flur. Beide leisten viel und am Ende bleibt wenig.

 

Individuell? Sorry, geht nicht!

 

Auch wenn Universitäten anders als Schulen sind: eine Hierarchie besteht trotzdem. Man muss sich Bedingungen und Umständen anpassen. Erwartungen seitens des Dozenten erfüllen und beim Abschluss des Studiums nicht nur den ironischen Titel „Sympathieträger“ von seinen Kommilitonen bekommen, weil man es geschafft hat, eine Hausarbeit für einen lachhaften Punkt vom ersten bis zum sechsten Semester zu schleppen. Die Vorstellung, dass man auch regulär beim Schreiben einer Hausarbeit viel Spaß hat, ist dann doch eher unrealistisch. Selbst wenn einen das Thema interessiert: genau DANN will man sich doch auch viel selbst einbringen, was man aber nicht darf. Schließlich muss man alles irgendwie belegen. Und da zählt nicht die Trennung deiner Eltern als Beleg dafür, dass Mutter-, und Vaterrolle beide superwichtig sind. Forschung bitte. Hat das irgendjemand „wichtiges“ erforscht? Oder kommt das nur von dir? Dann sorry, not accepted. Gerade in den sozialen Wissenschaften, Geisteswissenschaften und Kulturwissenschaften finde ich persönlich die individuelle Facette spannend. Stattdessen geht es viel mehr darum, den allgemeinen Konsens zu treffen.

 

Jäger und Sammler-Prinzip: Leistungen jagen, Punkte sammeln

 

Jagen, treffen, sammeln. Man rennt durch jedes Semester, absolviert Klausuren, besucht Seminare, Vorlesungen, Praktika. Sammelt Punkte, 30 mindestens pro Semester im Bachelorstudiengang. So summa summarum sind das dann 900 Stunden, 150 pro Monat, 37,5 in der Woche. Wenn ein Dozent anbietet, dass bei ihm auch Protokolle geschrieben werden dürfen statt einer Hausarbeit, schnellen alle Finger in die Höhe. Manchmal hat man das Gefühl, man ist ständig auf der Lauer, einen Leistungsnachweis zu erbringen, der es einem ermöglicht, ab und an noch eine kleine Uni-Party einschieben zu können. Seine erlegte Beute legt man stolz irgendwo im WG-Flur ab und versucht nach einer durchtanzten Nacht am Ende des Tages nicht darüber zu stolpern, wenn man in die Wohnung taumelt. Ups, fast vergessen, aber das mache ich später noch schnell!

(R)EVOLUTION – öfter mal was Neues lernen

 

Ich will mich gar nicht prinzipiell gegen Hausarbeiten aussprechen, sondern eher dagegen, dass sich der Einsatz oftmals einfach kaum lohnt. Man investiert eine Menge Zeit, hat aber davon am Ende kaum etwas. Man jagt irgendwelchen Punkten und Formalitäten nach und verliert dabei das eigentliche Ziel aus den Augen: lernen. Und damit meinte ich kein „Boah, ich hab keinen Bock“-Lernen, sondern eher ein „Hey wie geil, das wusste ich noch gar nicht“-Lernen! Eine wichtige Komponente des Lernens ist neben der Motivation auch die Neugierde. Neugierde bringt einen weiter. Forscher nennen diese Neugier „epistemische Neugier“, welche den Menschen dazu antreibt, Neues zu lernen, Problemlösungen zu finden, selbst aktiv zu sein, Wissen zu erlangen. Ich glaube kaum, dass die Menschheit sich so entwickelt hätte, wenn man nicht motiviert gewesen wäre, zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Und Neugierde wird belohnt: es entsteht eine erhöhte Aktivität in bestimmten Hirnregionen, den sogenannten Caudatus-Regionen, welche auch für unser Belohnungssystem zuständig sind und damit für eine Ladung Dopamin und Glücksgefühle sorgen.

Wir sollten das Konstrukt der Hausarbeit überdenken. Studenten wären glücklicher, wenn sie von einer schriftlichen Arbeit mehr haben als nur ein paar Pünktchen am Ende ihres Studiums. Und auch die Dozenten hätten sicherlich mehr Interesse am Lesen der Arbeiten, wenn diese nicht immer nur den selben, leicht umformulierten Inhalt hätten.

Beitragsbild via flickr.com / CC 2.0 Lizenz

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