Heiland mit Jennifer Rostock

Zum Heiland mit Jennifer Rostock: „Immerhin wählen 80% nicht die AfD“

Die Voraussetzungen könnten kaum besser sein: Das neue Album „Genau in diesem Ton“ in der Hinterhand erschien am 9. September, die Aufbruchsstimmung ist groß, mit FOUR Music ein neues Label im Rücken und eine ganze Konzertrutsche vor der Brust. Jede Menge Gründe für Euphorie und Selbstbewusstsein – bei Jennifer Rostock müsste es eigentlich laufen. Und bis vor Kurzem lief es auch.

Als wir uns ursprünglich vor einer Woche, Anfang September, in der Kreuzberger Management-Agentur „The Agencee“ treffen wollten, kommt das Gespräch jedoch nicht zu Stande. Der Hintergrund: Unmittelbar vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlichte Jennifer Weist, die Frontsängerin, gemeinsam mit Keyboarder Johannes „Joe“ Walter ein Video. Es zeigt die beiden, die ein heiteres Lied über die rechtspopulistische Partei AfD anstimmen. Darin kritisiert Weist das Programm der Alternative für Deutschland und kommt zum Schluss: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“

Das Video entwickelt sich daraufhin zu einem viralen Hit, wurde bis heute mehr als 15 Millionen Mal auf Facebook angesehen. Was folgt, ist eine Lawine der Reaktionen, die von Shares, Zuspruch und Lob bis hin zu übler Kritik, Hassmails und persönlichen Angriffen reichen. Die negativen Reaktionen gipfeln schließlich in einem Brief an Weist, den ein Anonymer im Briefkasten ihrer Privatwohnung deponiert hat. Darin beleidigt und diffamiert er die Sängerin: „Genau wegen solcher Schlampen wähle ich AfD!!!!!“. Weist ist daraufhin eingeschüchtert und sauer, die Band verständlicherweise nicht in der Stimmung für Interviews.

Wir treffen uns also eine Woche später – diesmal im Kreuzberger Kultlokal „SO36“, seit jeher Konzertstätte politischer Kunst. Es ist ein schwüler, heißer Sommertag, wahrscheinlich einer der letzten dieser Sorte in Berlin in diesem Jahr. Während die Entourage der Band gerade die Bühne aufbaut, treffen wir uns mit Jennifer Weist, Johannes Walter und Schlagzeuger Christopher Kohl zu einem Gespräch und einem Heiland über Politik, soziale Medien und den Kampf gegen Rechtsextremismus.

 

ZEITjUNG: Jennifer, eigentlich sollten wir uns bereits heute vor einer Woche treffen – aufgund der Reaktionen auf deinen AfD-Song aber mussten wir unser Treffen vertagen. Kannst du uns vielleicht kurz erzählen, was vorgefallen ist?

Jennifer: Joe und ich dachten, wir hocken uns vor sein Bücherregal, machen mal einen AfD-Song und nehmen den erst auf. Paar Stunden später haben wir dann gemerkt: Oh, das wird krass und nimmt bedrohliche Ausmaße an. Wir wussten natürlich, dass das ein empfindliches Thema ist und was an der Oberfläche schwelt. Aber mit so viel Gegenwind und Reaktionen haben wir natürlich nicht gerechnet. Und der Gipfel war dann, als ein Unbekannter mir einen Hassbrief, in dem er mich bedrohte, an meine Privatadresse zusendete. Diese Art von feiger Beleidigung hat mich zwischenzeitlich schon runtergezogen.

Wie fielen die Reaktionen denn – abgesehen von dem Hate – insgesamt aus?

Jennifer: Im Endeffekt ist es natürlich super, dass es sich so verbreitet hat, und gut, diese 500 Hassmails, private Belästigungen und persönliche Angriffe – damit muss man leben. Natürlich haben wir aber auch viel positiven Zuspruch erhalten.

Inwiefern unterscheidet sich eine solche Art von Hass zu konstruktiver Kritik?

Jennifer: Ich hatte keine Angst oder so, aber war einfach extrem sauer, weil der- oder diejenige sich nie vor meiner Haustür gezeigt hat oder die Eier gehabt hätte, mich anzusprechen und eine Diskussion anzuzetteln. Stattdessen war es halt so eine feige Hinterrücksnummer und ein krasser Angriff auf meine Privatsphäre.

Christoph: Beleidigungswellen, gut, da sind wir halt auch ein stückweit durch und kennen schon alles. Aber wenn es in die Privatsphäre einfließt, hat es ein anderes Niveau. Schließlich haben wir auch die Eier, unser Gesicht zu zeigen und mit unserem Namen darunter zu stehen. Aber solche Hater verstecken sich hinter E-mails, Usernamen oder anonymen Briefen. Und kennen dann meine Anschrift, meinen Familiennamen und wissen sogar darüber Bescheid, dass ich im Vorderhof des Hauses wohne. Das ist beängstigend.

Der Song wurde mittlerweile mehr als 15 Millionen Mal angesehen, tausendfach geteilt. War es nicht trotzdem ein absoluter Erfolg?

Joe: Ja, das muss man sagen, der ist auch krass rumgegangen im Internet und das war zunächst mal erfreulich. Damit haben wir also auch gewissermaßen einen Nerv getroffen. Dazu sehr viel Unterstützung von Leuten, die es genauso sehen wie wir.

Jennifer: Ich glaube, dass die hasserfüllten Menschen einfach alle an die Oberfläche kriechen und sich bemerkbar machen, wenn sie glauben, ihre politische Meinung kundzutun. Aber mit der Realität hat das ja nicht viel zu tun, denn es gibt Gott sei Dank immer noch sehr viele Fürsprecher und engagierte Leute. Die artikulieren sich gerade in sozialen Netzwerken nicht so, sondern liken oder teilen den Song. Von den ach-so-vielen Idioten darf man sich also auch nicht blenden lassen.

Joe: Das hat auch was mit Freundeskreisen zu tun. Die Leute, die es gut finden, haben ja ohnehin auch meistens viele Freunde, die der gleichen Meinung sind. Da gibt es also auch gar nicht so viel Reibungsfläche.

Christopher: Japp, und das war ja auch irgendwie die Qualität des Songs. Durch die krass große Zahl der Shares ging der Song auch über Blasen von isolierten Freundeskreisen hinaus – und wurde erst der Grund, weshalb es zu persönlichen Attacken und viel Gegenwind kam.

Woher kam der Anreiz, plötzlich einen so politischen Song zu schreiben?

Jennifer: Wir waren ja mit Feine Sahne Fischfilet unterwegs, die in Mecklenburg-Vorpommern eine ziemlich geile Aktion gestartet haben [nämlich die Wahl- und Konzertkampagne „Noch nicht komplett am Arsch“, Anm. d. Red.], und sind da sehr viel mit Menschen in Berührung gekommen. Der Monchi [Jan „Monchi“ Gorkow, der Frontsänger der Band Feine Sahne Fischfilet] hat uns da schon vor Monaten gefragt, und wir haben damals sofort zugesagt. Zumal das auch in Städten war, in denen wir zur Schule gingen, zum Beispiel Wolgast. Da sind wir hin und haben uns mit den Menschen vor Ort ausgetauscht. Das war cool, weil man gesehen hat, wie es den Leuten vor Ort geht und dass sie das Problem an eigener Haut erfahren. Und schließlich haben wir uns gesagt, dass es ja ganz cool wäre, auch noch was Eigenes zu dem Thema zu sagen. Unseren Beitrag zu leisten.