Herakut Urban Art

Herakut: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“

Von Sharon Brehm

Das Gesicht eines Kindes mit überdimensionalen, die Welt verschluckenden Augen erscheint inmitten eines Olivenbaums in Jordanien. Die Wandmalerei trägt die Handschrift Herakuts: Poetisch und figurativ, partizipativ und lebensnah. Inzwischen zieren ihre illustrativen Werke Ausstellungen in München genauso wie Garagentore in Gaza und Hochhäuser in Rom. Das aus Deutschland kommende Street Art-Duo Herakut, bestehend aus Hera (Jasmin Siddiqui, 34) und Akut (Falk Lehmann, 38), konzipiert seit 2004 Kunst, die vor allem eines kann: Grenzen aufbrechen. Ob zwischen Galerie und echter Welt, Realismus und Imagination, Menschen und Vorurteilen.

 

Was reizt euch daran, gerade kritische Themen in euren Bildern zu beleuchten?

Hera: Nur kritische Themen sind wirklich interessant. Denn dazu macht man sich einen Kopf, alles andere im Leben genießt man. Deswegen haben wir haben schon sehr früh angefangen, sozialpolitisch zu agieren. Nie politisch, weil wir uns dazu gar nicht wirklich äußern können. Ich bin halb Pakistanerin, halb Deutsche, also in verschiedenen Welten und mit verschiedenen Religionen aufgewachsen. Da versteht man schnell, dass es nie nur eine „richtige“ Position gibt.

Akut: Ich vermeide den Begriff politisch, weil er im Street-Art-Bereich oft zu platten Aussagen führt. Auf der Straße funktioniert es, einen Geldkoffer gegen eine Friedenstaube zu tauschen. Beim Transport in den Kunstbereich verliert dieses Motiv aber an Tiefe. Aber zur Frage, was uns grob gesagt antreibt, habe ich gestern ein passendes Zitat gefunden: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“ (Edward Burke) Dazu kommt, dass wir, negativ ausgedrückt, nicht nur ein Luxusobjekt für reiche Leute seien wollen. Es ist schlichtweg der Wunsch, etwas mit seiner Kunst zu bewegen. Deswegen arbeiten wir auch in Krisengebieten mit Kindern zusammen.

Wie sieht euer Engagement konkret aus?

Akut: Wir arbeiten mit aptART zusammen, einer kleinen NGO aus Washington. Sie bildet die Schnittstelle zwischen sozial engagierten Künstlern und größeren NGOs. So können wir Workshops mit Kindern beispielsweise in Jordanien, Gaza oder Bethlehem durchführen.

Bestimmt spannende Erfahrungen, die ihr dort gemacht habt.

Hera: Wir haben letztes Jahr sehr schöne Sachen in dem syrischen Flüchtlingslager Zaatari erlebt. Inmitten von Nichts wurde von einer Familie für uns fast ein Hochzeitsmahl gekocht, bei dem wir mit allen gemütlich auf dem Boden gegessen haben. Das hat uns richtig berührt.

Akut: Wir waren damals zu Gast bei einem General, der wegen der Verweigerung eines Schießbefehls das Land verlassen musste und auch nie wieder zurück kehren können wird. Der Monat dort war eine sehr intensive Erfahrung. Denn wenn man mehr von solchen Schicksalen hört, geht das nicht spurlos an einem vorbei.

Hera: Außerdem ist es für mich viel spannender, echte Geschichten zu hören. Wir können ja viel über andere Sitten, andere Länder philosophieren – wenn wir nicht in das Leben anderer Leute hinein schauen, bleibt das nur Theorie.

Akut: Man kann einfach viel mehr aus sich rausmalen, als sprechen oder schreiben. Eine Erfahrung aus den Hostcommunities in Jordanien passt ganz gut dazu. Unsere Mission war, die Neuankömmlinge und die local Kids zusammen zu bringen, Raum für Freundschaften zu schaffen. Die Flut an Geflüchteten hatte Einfluss auf Jordaniens Wirtschaft, weshalb die Eltern nicht besonders gut auf die Ankommenden zu sprechen sind. Dies wiederum färbt auf ihre Kinder ab. Es ist natürlich nicht kalkulierbar, was passiert. Aber während man am ersten Tag des Workshops Distanziertheit gesehen hat, konnte man nach drei, vier Tagen nicht mehr sagen, woher wer war. Es ist einfach schön, dass wir mit unseren Workshops etwas ändern können – bei den Kindern, genauso wie bei unseren Rezipienten, mit denen wir unsere Erfahrungen teilen.

Hera: Heute zum Beispiel war ich bei einem Workshop mit Mädels aus Eritrea und Somalia. Weil sie als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gekommen sind, leben sie nun in einem geschützten Raum. Deswegen durfte Akut auch nicht auf die Station. Die Mädchen sind mit 14, 15 Jahren geflüchtet und waren dann bis zu drei Jahren lang unterwegs – ohne die Hoffnung auf Rückkehr. Man will gar nicht wissen, was in der Zeit passiert ist. Trotzdem wurde heute beim Malen unglaublich viel gelacht. Es gibt es nichts Schöneres, als wenn man diesen Mädchen ein wenig Kindheit zurückgeben kann.

Eure Arbeiten sind thematisch wie geographisch sehr breit aufgestellt. Was verbindet diese imaginierten Welten, die ihr durch eure Kunst erschafft?

Akut: Rein formal gesehen ist die Figurenwelt einheitlich. Es ist so, als würden wir jedes Mal ein anderes Familienmitglied auf die Bühne stellen.

Hera: Ich zeichne dabei die Proportionen und lege die Skizzen an. Und er kümmert sich um das Volumen und die Farbe. Das klappt seit 2004 ganz wunderbar so.

Akut: Außerdem versuchen wir Gutes zu sagen, also eine positive Message rüber zu bringen. Dass wir nicht zwingend provozieren, ist der zweite rote Faden.

Welche Funktion hat dann eure Kunst?

Akut: Wir sind neulich über den Begriff Urban Beautification gestolpert, der unseren Ansatz sehr gut beschreibt. Gemeinsam mit den Bewohnern versuchen wir herauszufinden, welche Themen für sie wichtig sind und was ein Ort, ein Platz noch brauchen könnte. Das greifen wir mit den Bildern, aber auch mit den Texten auf, die man allen unserer Arbeiten findet. Wir schreiben immer auch in der jeweiligen Landessprache. Denn eine Funktion von Kunst ist Kommunikation.

Hera: Wir finden, dass es nicht nur um Kunst am Bau geht. Viel wichtiger ist eine Botschaft am Bau: Seien es Schlagworte wie Unity oder Freedom, elterliche Fürsorge oder einfach Informationen über Hygiene. Wenn du ein Riesenbild malst und noch einen Satz dazu schreibst, dann bekommst du sofort die Aufmerksamkeit für wichtige Themen.

 

Unter dem Motto „Kunst ist grenzenlos“ stellt Herakut auf dem Münchner Tollwood Festival derzeit Bilder und Eindrücke aus ihrer Arbeit in Zaatari und anderen Krisengebieten aus. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit MUCA on tour entstanden.