Hochkultur Theater

Angriff auf die Hochkultur: Reißt alle Theaterhäuser ab!

Aah… ich kranke. Ich kranke, ich kranke. Euch dünkt, die Alte spricht im Fieber? Ja und wenn schon, etwas ist faul im Staate dieser Hochkultur, oder merke nur ich, dass es in diesem Theater hier nach Friedhofsblumen riecht? Nach Omi-Parfüm? Nach alten, muffigen Gemäuern, in denen es sich auf plüschigen Sesseln der Tempel der bürgerlichen Selbstbestätigung gemütlich nierdergelassen hat und seinen hochkulturellen, elitären Atem in jede Mauerritze bläst. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Es tut mir leid um all die hübschen Bühnenbilder. Aber reißt sie doch endlich ab. Jagt sie in die Luft. Stampft sie ein. All diese wunderschönen Stadt- und Staatstheater, in denen diese deutsche Kultur stattfindet, auf die wir so stolz sind.

 

Tempel der bürgerlichen Selbstbestätigung

 

Und jetzt mal alle mitsingen: Es klackern die Schuhe auf schönem Parkett, klick klack, klick klack, klick klack. Wenn ich schon sehe, wie sich die intellektuelle Elite schick fürs Theater anzieht, da fängt der Denkfehler schon an. Freunde, ihr seid hier, um euch beeindrucken zu lassen. Nicht um zu beeindrucken. Das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Vorgänge. Aber wir jungen, künstlerischen Hoffnungsträger erscheinen im hippen Einheitslook mit Schnürstiefeletten und crazy Dutt. So sieht man also aus, wenn man mode- und kulturbewusst ist. So einfach, danke.

Die Kunst wäre vielleicht cool, wenn nur die Leute nicht wären. Jagt doch endlich mal das Publikum raus. Wie an einer Teflonoberfläche glibbern nämlich all die noch so sozialkritischen Thesen, die einem von den schwarzen Brettern aus entgegen gespuckt werden, smoothly an der stumm schweigenden Masse der Gutangezogenen und Gutausgebildeten ab und sabbeln sich irgendwo im Nirvana des „Gut dass wir heute mal über den Krieg nachgedacht haben“ zusammen, dessen subversiver Rauch aber gleich nach der Vorstellung von der viel spannenderen Frage „wo wollen wir etwas essen gehen?“ weggeblasen wird. Da kann Christoph Schlingesief noch so lange brüllen „Tötet Helmut Kohl!“.

Architektur ist ein Problem

 

Na na na, aber es geht ja eigentlich nicht um uns zahlende Kultur-Konsumenten. Wir wollten ja die Häuser abreißen. Denn ja, Architektur ist hier das eigentliche Problem. Diese Häuser. Diese hübschen Häuser in diesen zentralen Gegenden, an diesen ansehnlichen Straßen. Inkarnationen der Hochkultur. Sie haben die Kunst gefangen, sie darin eingesperrt und gezähmt. Nur zur Showtime wird sie ausgegraben und in sicherem Abstand im sexy Glitzerdress auf der Bühne präsentiert, damit niemandem etwas passiert. Sie ist aber schon müde geworden, sie hat eh keine Zähne mehr, ihr Hüftschwung ist schlaff geworden, die früher so verführerischen Augen hängen sediert auf Halbmast. Die Klauen wurden ihr abgefeilt durch diesen Ort durch ihre – Achtung, jetzt kommt das böse Wort – Institutionalisierung.

Um diese Häuser wurden magische Bannkreise der Intellektualität gezogen, an denen jeder, der einfach mal so vorbeiflowt, abprallt und straight zurück ins Ghetto bounced. Unsichtbare Geister kreisen über diesen Totenstätten der Kunst und flüstern den Vorbeireisenden ins Ohr „Du wirst es eh nicht verstehen“, sodass nur ein paar Wenige, die die Spielregeln kennen, den Kampf gegen den Dornenstrauch aufnehmen und bis ins Schlossinnere vordringen.

Von innen kämpfen ein paar Tapfere gegen den Bannkreis, aber seine Hausgeister wird man nicht so schnell los. Da helfen auch keine fancy Neon-Röhren-Kunst-Installationen an der Außenwand oder flippige Plakate, der Staub hängt schon zu tief in den Ecken. Das Gebäude krallt sich an die alte, standesgemäße Aura der Hochkultur. Der Ort bestimmt die Atmo. Wenn Marina Abramovic am Ballermann auftritt, werden die Leute sie auch nur für eine Prostituierte mit vielleicht sehr krankem Fetisch halten. Wenn Alexander Marcus in der Pinakothek der Moderne auftritt, kann er noch so viel Pipi und Popo sagen, man wird ihn für Kunst halten. Versuchte Subversion wird in den Theatern immer Intellektainment sein. Also. Weg damit. Her mit der Abrissbirne für die deutsche Theater-Szene.

 

Sprengt den Mikrokosmos

 

Oh, was würde wohl passieren… Aus den Bautrümmern der abgerissenen Theater würden diejenigen kriechen, die in dem dort beheimateten Mikrokosmos seit Jahren ihr Dasein gefristet haben. Die sich aus absolut monarchisch organisierten und Männer-dominierten Strukturen heraus Gedanken über Demokratie und Freiheit gemacht haben. Sie würden verzagt in die Sonne blinzeln, herzlich willkommen zurück in der echten Welt.

In der Welt, in der Aggression und Subversion und Kunst ungefiltert stattfinden. Sie tun es tatsächlich. Menschen schreien auf Demos vor Wut. Menschen machen nachts in irgendwelchen Kellern Musik. Sie singen, sie spielen, sie filmen, sie lesen, sie schreiben, sie zeichnen und sprayen und so weiter. Wir haben das schon immer gemacht und wir werden es auch immer weiter machen. Weil Kunst zu unserem Leben gehört wie Atmen.

Freiheit für die Kunst

 

Was hätte es für Folgen, diesem Drang zur Kultur seine Kanalisierung zu entreißen? Wenn das mit der Kunst auf einmal nicht mehr die Aufgabe von Anderen wäre, die das vielleicht besser können als man selbst. Wenn nicht mehr Jeder zum Zuschauer geboren und nur Manche zum Künstler berufen wären. Auf einmal wäre die Kunst wieder überall zu Hause. Und sie wäre endlich, endlich ent-ökonomisiert. Denn wie viel Sinn macht es bitte, eine Institution, die dazu da ist, die bestehenden Strukturen zu hinterfragen, genau diesen kapitalistischen Strukturen zu unterwerfen? Wieso muss es einen so gnadenlosen und missgünstigen Konkurrenzdruck geben. In einem Bereich, der eigentlich absolute Freiheit verkörpern könnte?

 

Alles glänzt so schön neu

 

Wir brauchen ein fundamental neues Theater, da das alte der historischen Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann. Diese Aufgabe bestand mal darin, Versammlungs- und Diskussionsort zu sein, von dem wirklich wichtige gesellschaftliche Impulse, wie man seine Polis denn so organisieren könnte, ausgingen. Das kann heute gar nicht mehr so sein. Weil das Publikum, sobald es duch die Tore des Kulturtempels schreitet, auf Kunst-Konsum schaltet, weil alles, die Häuser, die Hierarchie, der Kleidungsstil, das Parfum, die Eintrittspreise, weil das alles Elite schreit. Also, der Vorschlag: Einfach abreißen. Weg damit. Befreit die Kunst endlich aus diesem komischen Historizitäten-Kabinett. Sie wird schon passieren, aber es könnte ein bisschen scary werden, weil sie uns dann an jeder Straßenecke überraschen könnte.

Und nur um das noch mal klar zu machen: Das hier ist ein Plädoyer für das Theater, nicht dagegen. Denn ich glaube an das Theater. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir irgendwann doch noch alle zu besseren Menschen werden, wenn wir uns die richtigen Geschichten nur oft genug gegenseitig erzählen. Dazu müssen unsere Augen-Ohren-Herzen aber offen sein und nicht verklebt durch eine Kultur-Konsumenten-Haltung. Deswegen sollten wir vielleicht einfach mal damit anfangen, ein paar Mauern einzureißen.

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Bildquelle: Reinhard Kuchenbäcker (flickr.com) unter CC BY 2.0