Oxytocin Hormon Heilung

Wissenschaft: Die „Wunderdroge“ Oxytocin hilft uns zu vertrauen

Mal ist sie beflügelnd, dann wieder unsagbar schmerzhaft: Die Liebe. Nur für sie gehen wir in Beziehungen ein gefährliches Risiko ein – das Risiko, enttäuscht und verletzt zu werden. Wir nehmen es in Kauf,  wenn wir nur mit diesem einen Menschen zusammen sein können. Mitverantwortlich für das unvermeidliche Gefühl der Abhängigkeit ist das Hormon „Oxytocin“: Unser Körper schüttet den neuronalen Botenstoff vor allem beim Kuscheln und während dem Sex aus und stärkt so die Verbundenheit zweier Partner. Das „Kuschelhormon“ wirkt wie unsere ganz persönliche Droge – nur in der Nähe des anderen fühlen wir uns angenommen und herrlich geborgen.

 

Oxytocin – Das Wunderheilmittel

 

Eigentlich ist das Oxytocin ja ein Stillhormon, das kurz nach der Geburt die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind festigt. Nun könnte der Signalstoff bald sogar seinen Durchbruch als Wunderheilmittel feiern – Oxytocin schafft nämlich Vertrauen und macht uns generell empfänglicher für zwischenmenschliche Signale: Oxytocin ist also ein mögliches Mittel gegen krankhafte Kontaktstörungen wie zum Beispiel Autismus und soziale Ängste.

Das glaubt zumindest der Psychologe Markus Heinrichs, der als Experte auf dem Gebiet der Oxytocin-Forschung gilt: „Wir vermuten, dass Oxytocin die Aufmerksamkeit für soziale Reize verstärkt. Dass es gleichzeitig Stress reduziert, das Belohnungssystem aktiviert und so die Bereitschaft erhöht, sich anderen zu nähern.“ Gemeinsam mit dem Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich führte er deshalb folgendes Experiment durch: Testpersonen sollten entscheiden, wie viel Geld sie einem jeweils anderen Probanden anvertrauen wollten. Diese Summe wurde verdreifacht und das Gegenüber sollte nun entscheiden, wieviel es dem ursprünglichen Besitzer zurückgab. Normalerweise sollen vor diesem altbewährten Vertrauensspiel keinerlei Medikamente oder Pillen genommen werden, um das Ergebnis nicht zu verfälschen.

 

Das Kuschelhormon stärkt unser Vertrauen

 

Doch diesmal war genau das mit der vorausgehenden Verabreichung von Oxytocin der Plan. Tatsächlich kamen die Forscher zu einem Ergebnis, das für gehörigen Aufruhr sorgte, als es in dem renommierten Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde: Der verabreichte Stoff hatte die Testpersonen dazu verleitet, ihrem Gegenüber mehr Geld anzuvertrauen als üblich. Oxytocin stärkt also das vertrauliche Miteinander – die Grundvoraussetzung einer funktionierenden Gesellschaft.

Und so phrasenhaft sich das mittlerweile anhören mag – auch Beziehungen bauen auf dem Grundpfeiler „Vertrauen“ auf. Könnte Oxytocin sich also auch positiv auf Paarbeziehungen auswirken? Das versuchte die Psychologin Beate Ditzen herauszufinden, indem sie Partner zunächst gezielt entzweite. Die Paare sollten aus einer Liste von 23 möglichen Streitthemen (wie zum Beispiel Geld, Haushalt oder Sex) das mit dem größten Konfliktpotenzial auswählen und im Labor darüber diskutieren. Obwohl die Zwietracht künstlich hergestellt worden war, funktonierte das Experiment einwandfrei: Die meisten Paare begannen bald lauthals und ungehemmt zu streiten.

 

Das Stillhormon als Beziehungsretter

 

Als Ditzen das Experiment erneut durchführte, den Paaren diesmal aber Oxytocin verabreichte, hatte das eine erstaunliche Wirkung: Unter dem Einfluss des Hormons diskutierten die Partner viel konstruktiver miteinander; zeigten sich generell offener, interessierter und respektvoller. Sie unterbrachen einander beispielsweise nur selten und konnten auch mit aufkommendem Stress besser umgehen. Studien wie diese führten dazu, dass viele Paare nach dem mysteriösen Stoff lechzen. Vielleicht ist er alles was wir brauchen, für unseren Weg ins Glück: Ein Mittel, das unsere Beziehungen vor dem endgültigen Untergang rettet. Vielleicht kann der menschliche Körper allein gar nicht genug Oxytocin ausschütten, um verlorenes Vertrauen wiederzufinden.

 

Auch Oxytocin hat seine Schattenseiten

 

Doch so verlockend das klingen mag, so sehr bleibt es am Ende doch nur bloßes Wunschdenken: Zerstörtes Vertrauen lässt sich auch nach der künstlichen Verabreichung eines Hormons nicht wiederherstellen.Tatsächlich hat das viel gepriesene „Kuschelhormon“ mehr Schattenseiten als zunächst vermutet. Der Verhaltenspsychologe Carsten K. W. De Dreu fand beispielsweise heraus, dass der Stoff den Ethnozentrismus fördert: Er stärkt zwar die Identifikation mit der eigenen Gruppe, aber auch den Hass einem anderen Personenkreis gegenüber. Ist es möglich, dass dieses Hormon Fremdenfeindlichkeit entstehen lässt? Tatsächlich verhalten sich Gruppenmitglieder unter Oxytocin-Einfluss vor allem so, dass es der eigenen Gruppe nutzt – notfalls auf Kosten anderer.

Deshalb könnte das ursprüngliche Stillhormon in höheren Dosierungen vielleicht gefährlich werden. Trotzdem ist es ein Fakt, dass es die emotionale Bindung zwischen Menschen stärkt. Deshalb wird es immer häufiger als mögliches Wirkungsmittel gegen psychische Krankheitsbilder wie Autismus oder Angststörungen gehandelt. Studien haben bereits bestätigt, dass es zumindest in Ansätzen funktionieren könnte: Der Forscher Adam Guastella von der University of Sydney fand heraus, dass Menschen, die an einer autistischen Störung leiden, anderen nach einer Dosis länger in die Augen sehen können als normalerweise. So schaffen sie es auch, mehr auf ihr Gegenüber einzugehen und dessen Gefühle besser einschätzen zu können als üblich. Doch als Guastella seinen Probanden den Stoff zwei Monate lang verabreichte, fielen sie im Alltag schon bald auf ihre ursprüngliche Verhaltensweise zurück. Langfristig hat sich das Hormon also noch nicht bewährt.

 

Der Weg ist die Lösung

 

Vielleicht könnte die Verabreichung dieses Stoffs bald das Leben zahlreicher Menschen beeinflussen. Vielleicht aber auch nicht. Eins ist jedenfalls sicher: Oxytocin setzt in unserem Gehirn genau dort an, wo soziales Erleben gesteuert wird und führt Forscher damit zu den vielversprechendsten Rezeptoren unseres Denkorgans. Das könnte zu dort andockenden Stoffen führen, die noch wirkungsvoller sind. Damit ist das „Kuschelhormon“ zwar nicht die Lösung selbst, ebnet aber mit Sicherheit ihren Weg.

 

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Bildquelle: Josh Willink/pexels.de