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Interview: Lass uns übers Vögeln reden, Erika Lust!

Haben deine Darstellerinnen denn wirklich Orgasmen?

Da verhält es sich so, wie im richtigen Leben auch: manchmal kommst du, manchmal nicht. Es passiert, dass du denkst „Gleich ist es so weit“ – und dann passiert aber nichts. Und dann kommt der Orgasmus manchmal ganz unerwartet. Meine Schauspielerinnen haben richtigen Sex, aber man kann sie natürlich nicht zwingen, einen echten Orgasmus zu haben. Meistens sage ich zu Beginn des Drehs schon „Wenn du heute einen hast, dann wäre das wunderbar für dich und die Kamera. Aber wenn nicht, dann nicht.“ Ich hänge dann keine Stunde mit ran, bis sie endlich kommen. Das würde ich auch bei Männern nicht tun. Wenn es nicht zum Orgasmus kommt, faken meine Darsteller auch. Und im Endeffekt sieht es auch besser aus. Ich würde niemals Menschen dazu zwingen, etwas zu tun, das in diesem Moment einfach nicht möglich ist. (lacht).

 

Also spielt das persönliche Wohlbefinden der Schauspieler durchaus eine Rolle für einen guten Porno?

Absolut. Du siehst es sofort, ob Menschen gezwungen werden, etwas zu tun, das sie nicht möchten. Du musst dir das so vorstellen: Als Pornodarstellerin wirst du angerufen und bekommst gesagt: „Hey, am Dienstag bist du an diesem Ort. Da wird gedreht.“ Die Pornomacher interessieren sich aber nicht für die Schauspieler, tatsächlich wissen sie meist gar nichts über sie und ihre Vorlieben. Die Frauen wiederum werden auch nicht informiert; sie erfahren vorher nicht, was für Sex mit wie vielen Menschen gezeigt werden soll, ob Sexspielzeug mit dabei sein wird und nicht mal, ob ein Kondom getragen wird. Das ist schon fast unmenschlich.


Diesen Aspekt blendet man ja gerne aus beim Pornogucken und Masturbieren…

Genau aus dem Grund drehe ich auch „ethical porn“. Ich nehme mir für das Casting immer sehr lange Zeit und versuche, die Menschen wirklich gut kennen zu lernen. Sie haben Mitspracherecht was ihren Partner angeht, sie sehen das Skript vorher und erfahren auch, was für Sex gezeigt wird. Wir reden vorher über Bluttests, übertragbare Krankheiten, Allergien, Gleitgele und Kondome. Und natürlich reden wir über den Vertrag, die Rechte und Bezahlung. Es geht hier schließlich um Menschen und um echten Sex. Es muss fair sein! Und das siehst du auch in der Umsetzung.

 

 

Kann Porno uns denn auch etwas beibringen?

Ich denke, dass guter Porno zum einen etwas für die kurze Befriedigung ist, aber auch gleichzeitig deine Fantasie dazu anregt, später davon selbst etwas umzusetzen. Es kann dir helfen zu sehen, wie andere Menschen eine sexuelle Verbindung aufbauen, dass sie sich in ihrem Geschlecht anders definieren. Guter Porno zeigt uns nicht nur „Ficken“ – er zeigt Rollen, mit denen wir spielen können.

Besonders wenn du noch jung bist, benutzt du Pornos, um etwas über Sex zu lernen. Natürlich sind Pornos nicht wirklich dafür gedacht, aber es ist, wie es eben ist. Pornos zeigen aber Gender-Regeln in der möglichst schlimmsten Form – und Frauen als reines Sexobjekt. Natürlich liegt der Fokus auf ihrem Körper, aber es geht nicht wirklich um sie. Unsere neue Generation lernt von Pornos viel, da sie so leicht auf diese Inhalte zugreifen kann. Und was sie lernen, ist das Wiederholen des Gesehenen auf Basis von sehr fragwürdigen Rollenverteilungen. Kinder sollten unbedingt als Teenager in der Schule mehr über Sex erfahren. Und das auf keinen Fall von ihren alten Biologielehrern, sondern von jemand Außenstehendes, der extra an die Schule kommt. Sie müssen sich trauen dürfen, wichtige Fragen zu stellen. Sie müssen vermittelt bekommen, dass Sex Spaß macht! Das es toll ist und es nicht nur aus Warnungen und Gefahren besteht, wie Krankheiten und Schwangerschaft.

 

Einige konservative Politiker würden jetzt sagen, du versuchst Teenager zum frühen Sex zu animieren.

Ich glaube nicht, dass es Teens dazu ermutigt, früher Sex zu haben. Ich selbst hatte diese Art von Aufklärung in Schweden und hatte selbst erst Sex in einem Alter, in dem es völlig „normal ist“. Es hat mir keinen Druck gemacht, aber es hat mir geholfen, nicht so viel Angst davor zu haben. Mir wurden bestimmte Werte vermittelt. Zum Beispiel, dass ich nicht gleich mit jemandem schlafen muss, nur weil ich ihm nahe bin. Dass ich ihn auch berühren darf, ohne gleich Sex mit ihm zu haben. Und dass ich mich trauen darf, außerhalb dieser klassischen sexuellen Rollenverteilung zu denken.

 

Wir sehen ja aktuell in Sachen Girl Power und Gleichberechtigung rasanten Fortschritt. Und dann wird ein Chauvinist wie Donald Trump Präsident. Ist also doch jegliche Hoffnung verloren?

Nun ja, da sind ja zwei Extreme zur selben Zeit passiert. Zum ersten Mal wurde ein solch chauvinistischer Mann zum Präsidenten gewählt, der Frauen degradiert, wo er kann – aber auch zum ersten Mal wurde eine Frau aufgestellt! Und Hillary hatte mehr Stimmen als er. Deshalb können und müssen wir die Hoffnung behalten.

 

Brauchen wir also mehr starke und gemeine „nasty women“ in diesem Diskurs über Sex, Porno und Gender?

(lacht) Wir brauchen eine ganze Armee davon! Aber Spaß beiseite: Wir müssen laut werden, wir müssen uns der Welt zeigen und anstatt uns immer zu beschweren, unsere Macht auch nutzen. Darum steht an meiner Wand auch „Done is better than perfect!“. Jahrelang war ich so eine typische Frau, die alles immer so verdammt perfekt machen wollte – und sich immer beschwerte. Und dann hab ich irgendwann verstanden, dass ich sehr viel Gutes nicht vollendet habe, weil ich immer gesagt habe: Nein, das ist nicht gut genug. Und dann war klar: Ich muss mich von meiner inneren „Mrs. Perfekt – Attitüde“ verabschieden und Dinge einfach mal starten und fertig machen. Ohne zu jammern!

 

Uff, das klingt leichter gesagt als getan.

(lacht): Fake it till you make it! Da steckt so viel Wahrheit drin. Zuerst musst du daran glauben und dann versuche einfach, zu akzeptieren, dass deine ersten neuen Schritte nicht perfekt sein werden. Dein erstes geschriebenes Buch wird nie das Beste sein – vielleicht wird es nicht mal veröffentlicht. Aber diese Schritte sind die Wichtigsten. Langsam aber sicher veränderst du etwas. Und deshalb müssen Frauen mutiger sein und einfach anfangen, etwas zu verändern. Auch wenn es nicht sofort ersichtlich ist – ich habe fast zehn Jahre dafür gebraucht.


Liebe Erika Lust, vielen Dank für dieses Interview!