Karneval Super Bowl

Im Rausch der Gefühle: Was Super Bowl und Karneval gemeinsam haben

Die Karneval- und Faschingsfans in der Westhälfte Deutschlands haben gerade nicht so viel zu lachen wie gedacht, mehrere Rosenmontagsumzüge wurden abgesagt. Aber nicht etwa die Nachwirkung der Silvesternacht sind der Grund dafür, Sturmtief ‚Ruzica‘ hat einen Strich durch die Rechnung der Karnevalisten in Düsseldorf, Mainz, Münster und anderen Städten gemacht.

Mehr Glück hatten da die Broncos-Fans gestern Abend. „Peyton Manning hat es geschafft! Im letzten Viertel hat die Quarterback-Legende den Denver Broncos das 24:10 gegen die Carolina Panthers beschert und damit den Sieg geholt“. So oder so ähnlich sahen die Schlagzeilen heute Morgen aus.

 

Der inoffizielle Feiertag der Amerikaner

 

Wer jetzt keine Ahnung hat, worum es geht, ist höchstwahrscheinlich noch nicht ganz allein in Deutschland. Der Super Bowl ist das Finale der amerikanischen Football-Profiliga, der Super Bowl Sunday ist so etwas wie ein inoffizieller Feiertag der USA. Ob es nur das Footballspiel ist, dass die über 100 Millionen Zuschauer vor den Fernseher lockt, ist fraglich. Das ganze Event ist ein typisch amerikanisches Spektakel. In den Werbepausen werden die teuersten Spots der Welt gezeigt, 4,8 Millionen Dollar sollen 30 Sekunden Werbezeit während dem Super Bowl kosten, da legen sich die Firmen natürlich ins Zeug. Die Nationalhymne wird von Stars wie Whitney Houston und Alicia Keys gesungen, dieses Jahr war Lady Gaga an der Reihe, die melodramatisch „Star Spangled Banner“ schmetterte. Das Event im Event ist dann die Halbzeitpause, während der sich jedes Jahr das Who-is-Who der amerikanischen Popmusik die Klinke in die Hand gibt. Von Michael Jackson über U2 und Madonna bin hin zu Katy Perry und Beyoncé – alle waren sie da und haben aus der zwölfminütigen Pause eine Show der Extraklasse gemacht, zur Not musste da auch schon mal Janet Jacksons Brust herhalten.

Ob man sich für Football interessiert oder nicht – der Super Bowl ist in den USA Pflichtveranstaltung. Aber nicht nur dort treffen sich die Leute zu Hause oder in Bars, um sich vier Stunden lang ein Football-Spiel anzuschauen, auch in Deutschland gibt es immer mehr Public Viewing-Veranstaltungen, auf denen man Burger und Chicken Wings essen und fernsehen kann, um ein möglichst authentisches, amerikanisches Erlebnis zu haben.

 

Fasching als „emotionale Befreiung von Unzufriedenheit“

 

Kulturell gesehen ist also gerade so einiges geboten. Wer heute frei machen kann, schläft wahrscheinlich die Super Bowl Nacht aus, der Rest feiert Rosenmontag oder ignoriert den Karneval. Aber auch für jemanden, der an der Faschingszeit maximal die Krapfen gut findet, ist es verständlich, dass viele Düsseldorfer und Mainzer über die Absage der Rosenmontagsumzüge enttäuscht sind. Die „fünfte Jahreszeit“ ist für viele Karneval-Fans mindestens so wichtig wie Weihnachten. Das ganze Jahr freuen sie sich darauf, sich mal ordentlich zum Affen machen zu können und das fast eine ganze Woche lang. Ein paar Tage lang kann man sein, wer man möchte und es gelten andere Regeln.

Als „institutionalisierte Rebellion“ bezeichnet der Wissenschaftler Klaus Manger den Karneval. Auch wenn sich noch einige Kostüme mit sozialkritischen Hintergründen finden lassen, richtet sich diese Rebellion wohl eher gegen die selbstauferlegten Regeln des Alltags. Zu keiner anderen Jahreszeit könnte man so ungeniert als Pirat oder Playboy-Bunny durch die Stadt laufen. Fasching erfüllt uns Träume, die wir nie verwirklicht haben und gibt uns einen Grund, mal aus uns rauszukommen und lockerzulassen. Als „emotionale Befreiung von Unzufriedenheit, die innerhalb geschlossener, sozialer Systeme enstehen könne“, beschreibt Manger den Karneval weiter. Dies bezieht sich zwar auf den ialienischen Karnveal im 19. Jahrhundert, ist aber heute noch genauso gültig wie vor 200 Jahren.

Wir brauchen Großveranstaltungen, Feiertage und Bräuche, seien es selbst aufgestellte oder überlieferte, genauso wie wir einen Job brauchen oder ein Dach über dem Kopf. Was wäre ein Leben ohne Weihnachten oder Fasching, ohne Weltmeisterschaften oder Super Bowls, ohne Festivals oder Junggesellenabschiede, ohne Hochzeiten oder Beerdigungen? Das Wichtige sind meistens gar nicht die Veranstaltungen an sich, sondern dass es sie überhaupt gibt. Weil sie uns Zeit schenken. Zeit, uns mit etwas zu beschäftigen, das nichts mit unserem eigenen, kleinen Univerum zu tun hat, mit all seinen Problemen und Konflikten. Wer als Banane verkleidet von einer Bar zu anderen zieht, Gangnam-Style tanzt und das Fliegerlied singt, denkt höchstwahrscheinlich eher selten an die bevorstehende Bachelorarbeit oder den Krach mit der Freundin. Wer mit Deutschlandfahne im Gesicht die Nationalmannschaft anfeuert oder mit Burger in der Hand versucht, ein Footballspiel nachzuvollziehen, stellt sich nicht im Kopf schon die To-Do-Liste für den nächsten Tag zusammen.

 

Zeit für Emotionen und Ausbrüche aus unseren Rollen

 

Nach der Rahmenanalyse von Erving Goffmann verhalten wir uns im Alltag so, wie es in unserer jeweilige Rolle von uns erwartet wird. Das heißt, wir sind möglichst erwachsen, motiviert und effizient, wenn wir in der Arbeit sind. Wir versuchen, locker, gut gelaunt und entspannt zu sein, wenn wir mit Freunden unterwegs sind. Wir sind möglichst leise, wenn wir im Wartezimmer sitzen und haben einen möglichst desinteressierten Blick, wenn wir in der U-Bahn sind. Weil wir für unser Handeln verantwortlich sind.

Einen Teil dieser Verantwortung gibt man auf Veranstaltungen wie Karneval oder Festivals ab. Man tanzt und schreit vor anderen Leuten, lässt sich gehen und singt laut mit. Würde man das in der U-Bahn tun, wäre das Gefühl bestimmt nicht das selbe.

In der Öffentlichkeit bieten diese Events die einzige, gesellschaftlich akzeptierte Möglichkeit, unseren Gefühlen freien Lauf zu lassen, weil unsere Emotionen nicht auf uns selbst zurückzuführen sind, sondern auf das, was um uns geschieht. Wer wütende Männer beim Public Viewing sieht, weiß , dass Robben wahrscheinlich gerade einen Pass versaut hat und der Mann keine Anti-Aggressions-Therapie braucht. Wer Frauen auf Konzerten schreien hört, weiß, dass sie gerade einfach eine gute Zeit haben und keinen Nervenzusammenbruch.

Vielleicht ist Fasching also doch mehr als verrückte Leute, die einen Grund zum Trinken suchen und hinter dem Super Bowl steckt noch etwas anderes als Sportfanatiker, die sich die Nacht um die Ohren schlagen, um sich schwitzende Amerikaner beim Rangeln anzuschauen.

 

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Titelbild: Sergey Galyonkin unter CC BY-SA 2.0