Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #4

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 26 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Heute: Teil 4 – Diagnose Krebs. Teil 12  und 3 findet ihr hier.

 

„Tief einatmen und wieder ausatmen.“
Eine kräftige Frauenstimme instruiert mich über Kopfhörer. Aus ihnen dröhnt es so laut, das Surren und Quietschen des CT-Scanners ist nur noch Beiwerk. Meine Augen habe ich geschlossen. Ich versuche, mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren. Aus Schutz. Ich will überall sein, nur nicht hier. Ich habe Angst. Ich schwitze, obwohl ich mich nicht rühre. Keinen Zentimeter solle ich mich bewegen, sagte die Assistentin noch vor der Untersuchung, als sie meine Arme über meinem Kopf drapierte und mir den Schlauch der Kanüle für das Kontrastmittel in die rechte Hand legte. Fünf Minuten, dann ist alles vorbei. „War es sehr schlimm?“, fragt eine Schwester. Ich will gerade in den Zwischenraum, in dem meine Klamotten liegen, bloß weg, nicht auch nur eine Sekunde länger an diesem Ort bleiben. Schön sei es nicht, antworte ich. Sie bekommt ein sanftes Lächeln, es überspielt meine Unsicherheit und eigentlich wollte ich auch damit den Smalltalk beenden. Sie aber schiebt noch einen Satz hinterher. „Ich habe Ihre Angst schon gesehen, als Sie hier rein sind.“

Ich verlasse die radiologische Praxis im Glauben, bis Montag frei zu haben. Im Warteraum sitzen meine Eltern. Sie sind aus Stralsund gekommen, um mich für das Wochenende mit nach Hause zu nehmen. Sie wollten schon längst bei mir sein. Die Nachricht von gestern, ich müsse womöglich mit einer Chemotherapie behandelt werden – sie hat uns alle drei völlig aus der Bahn geschleudert. Sie schrieben mir, ich solle ein Zeichen geben, sie würden sich für die Nacht eine Bleibe in Schwerin suchen. Aber ich wollte und konnte nicht. Schon das Telefonat mit meiner Mutter fiel mir unendlich schwer. Dazu der Schock, dass Morbus Hodgkin nichts anderes als Krebs heißt. Ich behielt es für mich, sagte ihnen nichts. Der Gedanke, sie am nächsten Morgen zu sehen, ihnen in die Augen zu blicken, sie zu umarmen, er ließ mich nicht schlafen. Zum Glück konnte ich mich halbwegs zusammenreißen. Das Hallo war fast wie immer. Nur, dass ich bei der Umarmung auf den Boden blickte. Ein paar kurze Worte zum Thema mussten reichen. Unangenehmes lassen wir lieber unausgesprochen. Wie immer. „Du bist jung, Du schaffst das, Dicker“, sagte Papa. „Alles wird gut, Hasi“, sagte Mama.

 

Nicht mehr in der eigenen Hand

 

Nach der CT-Untersuchung fällt Ballast ab. Ich bin ein offenes Buch, der Ball liegt bei den Ärzten. Die Ruhe zu Hause wird guttun. Einfach durchatmen und ausbrechen aus all dem Negativen der letzten 48 Stunden. Mama hat ein paar Happen vorbereitet, noch bevor wir fahren, essen wir auf einem Netto-Parkplatz unweit der Praxis belegte Brötchen und ein bisschen Obst, ich nippe an einem Kaffee. In Stralsund könnten wir doch noch irgendwo Mittag essen gehen, schlägt mein Vater vor, Mama hätte noch irgendwelche Coupons. Sie zückt ihr Portemonnaie, kramt kurz und wedelt triumphierend mit den kleinen Papierchen umher. Wir müssen lachen.

Ich lotse Papa aus der Innenstadt in Richtung Autobahn. Die Strecke zur A14 schlängelt sich inmitten durch den Schweriner See und seinen inneren Arm, rechts und links hat sich das Wasser bis wenige Meter an die Straße herangearbeitet. Ich sitze vorne, meine Mutter direkt hinter mir. Sie liest ein Buch, Pep Guardiola, sein erstes Jahr in München, immer wieder legt sie ab, wir unterhalten uns über Fußball. Aber mit jedem Meter mehr auf dem Tacho werden wir ruhiger, bis wir auf der Autobahn in unsere typischen Rollen verfallen: Mama nickt ein, während Papa und ich die Fahrt genießen. Ab und zu ein paar Blicke genügen. Jedes Wort wäre zu viel.