Mit der Liebe ist’s vorbei

Von Susanne Pohl

Im Radio wird ein Liebeslied nach dem anderen gedudelt. Beim Abschalten vorm Fernseher oder im Kino geht es auch immer um Liebe und an der Bar am Abend sieht man um sich herum Liebestrunkene oder -hungrige rumbaggern. Verlieben oder nicht verlieben, lieben oder nicht lieben, das sind omnipräsente Fragen.

 

Dem Thema Liebe kann man nicht entkommen …

 

… aber entkommt uns die Liebe? Angesichts der hohen Trennungsstatistiken und des allgegenwärtigen Single-Themas in den Medien entsteht allerdings der Eindruck, dass die Liebe uns immer mehr entkommt. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2012 in Deutschland 147 900 Ehen geschieden. Jahrelang nudelt man sich gegenseitig irgendwie testweise durch, lebt und lacht zusammen und plötzlich steht man doch wieder allein da. Trennt sich, trennt den anderen von sich ab, will was anderes. Es hat irgendwie nicht gereicht. Nur für was eigentlich? Für unsere Vorstellung davon, wie die Liebe zu sein hat? Kann es sein, das wir alle ’nen Vollvogel haben?

Hirngespinste von romantischen Idealen, wie Liebe zu sein hat, und wenn diese nicht so ist, wie gedacht, dann bitte doch lieber der oder die Nächste. Der Soziologe Sven Hillenkamp schreibt: „Die Menschen verlassen ihre Suche nicht mehr, indem sie eine Wahl treffen. Sie wählen, immer weiter zu suchen. Treu sind sie nur ihrer Hoffnung“. Und: ganz offensichtlich ihren Idealvorstellung im Kopf über die große, romantische Liebe.

Nur wieso haben wir die da überhaupt so drin? Wieso haben wir diese extrem hohen Erwartungen, wie man sich zu verhalten hat, wenn man liebt? Wie man bitte gefälligst geliebt werden will? Und warum überhaupt dieses überpräsente Liebesding als Vollendung des eigenen Glückszustandes? Der Verdacht, dass wir alle irgendwie einer Liebes-Hirnwäsche unterlegen sind, drängt sich auf. Alles rotiert um Liebe, wir rotieren mit, bis uns schwindlig wird und wir gar nichts mehr verstehen.

 

Liebe is over

 

Soziologen, Literatur- und Medientheoretiker bestätigen diesen Verdacht. Was man da so über die Funktionalität des „Kommunikationsmediums Liebe“ in den soziologischen Abhandlungen von u. a. Niklas Luhmann, Peter Fuchs, Eva Illouz oder Sven Hillenkamp liest, desillusioniert total. Kurz gefaßt kann man diese Theorien wohl so zusammenfassen: Die romantische Liebe ist vor 200 Jahren aus der fiktiven Medienwelt, beispielsweise aus Romanen, in unsere Köpfe geflattert und piept nicht ganz richtig. Vor allem piepst er völlig überdreht angesichts der heutigen vielfältigen Menschen und Möglichkeiten in unserer Welt, wo es kaum noch Grenzen und feste Moralvorstellungen gibt.

Etwas konkreter: Bis zum 18. Jahrhundert war die moderne Idee von romantischer Liebe nicht die Ausgangsbasis für die Ehe und entsprechende Paarung, und bildete die absolute, meist dramatische Ausnahme in der damaligen Ständegesellschaft. Erst mit dem gesellschaftlichen Wandel im Zuge der Alphabetisierung, Aufklärung und Industrialisierung veränderten sich alle gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungen.

Wo vorher alles klar war – wo man so als Einzelner steht und zu stehen hat im Leben – war nun alles offen, möglich und auch haltlos. In der Literatur wurde parallel immer mehr eine Alternative fiktiv überlegt, durchdacht und ausgesponnen: Die Idee einer romantischen Liebe, verbunden mit dem Gedanken, dass zwei Menschen exklusiv füreinander bestimmt sind, sich eins fühlen können, ganz und gar in Glück miteinander aufgehen und sich somit Halt und Geborgenheit in einer ansonsten unsicheren Welt geben. Eigentlich eine schöne Idee – die mittlerweile massenmedial, hollywoodesque geprägt, völlig idealisiert bei uns in den Köpfen sitzt. Leider oft komplett realitätsfern und so nicht immer umsetzbar.

 

„Großes Kino kann so anstrengend sein!“ (Anna Depenbusch) 

 

Die Soziologin Eva Illouz nennt als Ursachen für Bindungsunfähigkeiten und zerbrechende Beziehungen nicht nur das unüberschaubare Angebot und die Vielfalt der Wahlmöglichkeiten, sondern verweist auch auf überhöhte Erwartungen, die Bilder und Klischees unserer Konsumgesellschaft. iPad und Handys im Bett erfüllen dieses Ideal ganz sicher nicht, Streitereien ohne Lösung und Verständnis zerbröckeln es und dann wird’s erst recht nicht besser – man hat sich das ja anders vorgestellt.

Immer die reizende, sanfte Prinzessin sein, der beschützende und fürsorgliche Prinz klappt irgendwie nicht immer und dauerhaft. Und schon kommen Zweifel, an sich selbst, an der Beziehung und die Fragen, was macht man nur falsch? Dabei ist einfach nur das Ideal zu hoch gesetzt.

Die Sängerin Anna Depenbusch textet entsprechend passend in ihrem Song Wir sind Hollywood!: „Wir wären nicht was wir sind ohne ein Stück Illusion“, aber auch „Großes Kino kann so anstrengend sein!“ Die Fiktion und Projektion von den eigenen Liebesidealen im Kopf geht da virtuell viel leichter.

„Wir können alles sein“

 

Zum Glück sind Soziologen und Philosophen nicht totale Sadomaso-Realisten und geben auch ein bißchen Rückendeckung für die exklusiv gewünschte Zweierbeziehung. Vielleicht ist es anstrengend, hier und da mal fünf gerade sein zu lassen, sich ein bißchen für den anderen zu verbiegen, Handlungen von dem anderen irgendwie ignorieren zu müssen, damit das Liebskonzept noch halten kann. Aber es gibt ja auch noch die anderen Werte, die in der Debatte über die Zweierbeziehung völlig unterrepräsentiert sind: Zuneigung, Nähe, Loyalität, Gemeinschaft, Aufeinander-Angewiesensein, Fürsorge.

 

Was ist jetzt mit der schönen, geliebten romantischen Liebe?

 

Blöderweise scheinen wir derzeit die romantische Liebe als Ausgangsposition für eine Partnerschaft zu brauchen, wenn man denn diese will – aber das ist eine andere Frage. Ehrlich gesagt hat die Recherche für diesen Artikel mein ganzes Denken über Liebe ganz schön auf den Kopf gestellt und ernüchtert. Mein Freund hat mir allerdings heute morgen sehr schöne Sätze geschrieben: „Wenn die romantische Liebe eine Erfindung der Literatur war, dann war sie eine sehr gute. Jede Erfindung hat seine Kritiker und aber auch seine Befürworter. Ich gehöre zu den Befürwortern.“ Ich auch. Und wir erfinden einfach immer mehr dazu.

 

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Bildquellen:

adkorte unter CC BY 2.0