Polyamorie Liebe

Polyamorie: Die Liebe zur Liebe

Von Kim Schang

Thorben und Felix leben oder lebten polyamorös. Letzterer hat über das Konzept zum ersten Mal im Internet gelesen, es aber anfänglich für ein vernachlässigtes Randphänomen gehalten. Nach dem Ende seiner ersten Beziehung hat er sich über sein eigenes Verhältnis von Liebe und Freiheit Gedanken gemacht und ist schlussendlich über einen Freund an das polyamoröse Liebeskonzept herangeführt worden. Thorben beschreibt seinen ersten polyamorösen Kontakt wie folgt: „Ich kannte das amoröse Liebesgefühl nur von meiner ersten großen Liebe. Als ich mich, obwohl ich immer noch Liebe für diese Frau empfunden hatte, gleichzeitig in eine andere Frau verliebt habe, hat es mich erst innerlich zerrissen. Dann habe ich aber den Gedanken akzeptiert, dass ich wohl mehr als nur einen Menschen lieben kann.“

In Felix‘ Alltag äußert sich Polyamorie so, dass er prinzipiell versucht, jedem Menschen mit Herzlichkeit zu begegnen – und die vorhandene Liebe zuzulassen. Für ihn bedeutet Polyamorie im Grundgedanken, jedem Menschen mit der gleichen Einstellung und Wertschätzung entgegenzutreten. Man muss sich zunächst zu 100% selbst lieben und akzeptieren. Wenn man mit sich selbst im Einklang ist, braucht man den (oder eben die) Partner nicht, um bestimmte Defizite im Inneren auszugleichen. Ab diesem Moment kann man die Liebe einfach zulassen. Polyamorie ist also die Vielfalt der Beziehungsformen und lebt von Ehrlichkeit und Offenheit. Dadurch projiziert man auch nicht alle Wünsche und Bedürfnisse auf einen Partner.

 

Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

 

An sich ist dieses Konzept doch klasse. Aber ich bin dafür wohl nicht geschaffen – vielleicht aber auch einfach nur noch nicht. Man weiß ja nie, was passieren wird. Vielleicht ändert sich meine Sichtweise ja noch. Momentan könnte ich das Modell jedoch nicht leben. Ich bin Einzelkind, ich teile nicht gerne. Weder mein Essen – noch meine Männer. Ich möchte mir einfach nur einen Namen merken, nur einen Jahrestag, liebevoll nur an einen Mann denken (vorausgesetzt natürlich, der Mistkerl hat nicht wieder irgendeine Scheiße gebaut).

Generell stelle ich mir das aber auch kompliziert vor, jemanden, den man liebt, so loszulassen, sodass es für einen ok ist, wenn er/sie zusätzlich mit jemandem anderen zusammen ist und mit einer(m) Anderen schläft.

 

Eifersucht als Ergebnis von Verlustangst und Besitzdenken

 

„Eifersucht kann es immer geben. Tatsächlich wird aber versucht, die Eifersucht möglichst gering zu halten. Oder aber man überwindet sie ganz, indem man versteht, dass wir alle Eins sind und Eifersucht nur ein Problem ist, das von unseren Egos geschaffen wird,“ sagt Thorben auf die Frage, ob Konflikte mit mehreren Partnern nicht noch anstrengender sind als in monogamen Beziehungen.

In den 1950ern wurde Sex außerhalb der festen, monogamen Partnerschaft als „Fremdgehen“ bezeichnet. In den 1960ern beschreibt der Begriff „Freie Liebe“ vorrangig die ungehemmten sexuellen Beziehungen außerhalb einer bestimmten Norm. Der Etablierung des Begriffs und der Vollzug der „free love“ ist vordergründig durch bewusste Mutterschaft (das Recht auf Abtreibung und den Gebrauch der Pille) sowie die medizinische Weiterentwicklung in der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten entstanden (Schroedter/Vetter: Polyamory – Eine Erinnerung). Polyamorie könnte man damit demnach als Geisteskind der 68er Bewegung verstehen: Die romantische Liebe der Postmoderne ist eben freier und flexibler.

 

Serielle Monogamie als Auslaufmodell?

 

Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob man mehr als eine Person zur gleichen Zeit zu 100% lieben kann? Gibt es nicht etwas wie emotionale Grenzen? Thorben sagt nein: „Einem Kind schenkt man ja auch 100% Liebe. Wenn man zwei Kinder hat, heißt das nicht, dass jedes Kind nur noch 50% bekommt. Meiner Ansicht nach gibt es nur die EINE Liebe. Diese Liebe führt je nach Lebewesen auf das sie bezogen ist, zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. Aber es ist immer die gleiche Liebe, die man fühlt. Sie ist unendlich, ewig und sehr vielfältig.“

Das Ausleben der Liebe wäre nur mit jedem Menschen unterschiedlich. „In konventionellen Beziehungen ist das anders – in dieser sequentiellen Monogamie hat man auch mehrere Partner, mehrere Lieben – nur hintereinander statt gleichzeitig.“ Richtig – serielle Monogamie. Die meisten meiner Freunde führen konventionelle Beziehungen. Die halten meistens ein paar Jahre, bis einer sich trennt. Sei es aufgrund der Fragilität der Beziehung, unterschiedlicher Zukunftsvorstellungen oder eben, weil man sich auseinander gelebt hat und das aktuelle Lebenskonzept nicht mehr mit dem des Partners kompatibel ist. Nach der Trennung genießt man erstmal wieder sein Single-Leben. Bis man merkt, dass es doch nicht so cool ist, immer der Letzte in der Bar zu sein, mit Kater aufzuwachen und sich zu fragen, wer zur Hölle da eigentlich neben einem im Bett liegt. Dann folgt die Bestandsaufnahme des eigenen Lebens und man sehnt sich wieder vermehrt nach Zweisamkeit. Nicht nach der für eine Nacht – die mit Biergeruch und Zigarettenqualm im Haar. Sondern nach Zweisamkeit, die man nur mit jemandem haben kann, den man aufrichtig gern hat.

 

Das Festhalten am konventionellen Beziehungskonstrukt

 

In Deutschland wurden 2013 169.800 Ehen geschieden. Die durchschnittliche Dauer der 2013 geschiedenen Ehen betrug 14 Jahre und 8 Monate. Super. Das bedeutet, die besten Jahre meiner Brüste verschwende ich an irgendeinen Trottel, mit dem ich statistisch gesehen wahrscheinlich eh nicht ein Leben lang zusammenbleibe. Zumindest stehen die Chancen dafür nicht gut. Irgendwie deprimiert der Gedanke.

Felix scheut sich nicht mehr davor, sich sein emotionales oder sexuelles Interesse an Personen einzugestehen. Warum weisen wir uns überhaupt in irgendwelche Schranken ein? Nur, weil das konventionelle Gerüst der monogamen Liebesbeziehung in unserer Gesellschaft immer noch eine Monopolstellung innehat? Vielleicht muss man nicht ein ganzes Leben lang nur mit einem Partner zusammen sein. In meinem Freundeskreis werden Partner getauscht, es wird betrogen, gelogen und verheimlicht. Einfach aus dem Grund heraus, dass alle an einem Liebesbild festhalten wollen, welches unter Umständen gar nicht mehr zeitgemäß ist. Vielleicht müssen wir uns einfach von der Idee befreien, dass das klassische Beziehungsmodell, welches uns unsere Eltern vorgelebt haben (die einen mit mehr, die anderen mit weniger Erfolg), für alle greifbar und erstrebenswert ist.

 

Leben und leben lassen

 

Vielleicht ist es ja auch so, dass wir das mit der Monogamie alle etwas zu eng sehen. Die Lebensbedingungen verändern sich heutzutage eben schneller. Dadurch verändert man sich selbst und entwickelt sich weiter. Vielleicht passen bestimmte Beziehungen dann einfach nicht mehr ins eigene Leben. Ich meine, das Konzept der Ehe wurde vor Jahrtausenden entwickelt, da war die durchschnittliche Lebenserwartung mit dreißig Jahren auch nicht wirklich hoch. Nicht viel Zeit also, um sich gegenseitig so richtig auf die Ketten zu gehen. Am Ende wird Monogamie einfach überbewertet. Wie Kanye West. Veganismus. Oder feste Essenszeiten.

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Bildquelle: Morning theft