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Zum Heiland mit Maxim: „Instagram? Es geht nur darum, das Image zu polieren“

Interview: Catharina Prott und Philipp Pander

Tiefgründige, mehrdeutige und ehrliche Texte erklingen auf seiner neusten Platte. Mit seinem Album Das bisschen was wir sind hat Maxim mal wieder so richtig einen rausgehauen. Während seines Aufenthalts in München musste Maxim natürlich auch ein Fläschchen Heiland mit uns in der Schreinerei im Glas schwenken. Bei knallender Sonne und schweißtreibenden 30 Grad spazierte er tiefenentspannt in unsere Redaktion. Beim kurzen Rundgang plauderte er auch schon munter drauf los und fing an, vom Münchner Leitungswasser zu schwärmen: „Ist das nicht irre?! Die Leute kaufen sich Wasser in Flaschen, obwohl es aus der Leitung viel besser ist.“ Es folgte eine kurze Besichtigung des Schreinerei internen Tonstudios. Damit wir das schöne Wetter aber auch noch ein wenig genießen konnten, zogen wir nach draußen in unsere Sitzecke um. Wie sympathisch und nahbar Maxim auftrat, zeigte allein, dass unser Smalltalk nahtlos ins Interview überging. 

 

ZEITjUNGDein Song „Mehr Sein” handelt von einer Person, die zu viel vom Leben will. Glaubst du, dass wir uns generell in die Richtung entwickeln, dass wir zu viel vom Leben erwarten?

Maxim: Ich kann jetzt natürlich nicht in die Leute reinschauen, aber ich glaube, es ist ein grundsätzliches Problem unserer westlichen Hemisphäre. Die Leute denken, man kann bestimmte Emotionen und einen bestimmten Status immer weiter steigern. Es ist ein Wachstumsgedanke, der sich dann auch aufs Leben überträgt und es ist halt in der Realität nicht so. Dieses „mehr sein“ führt letztendlich nur in die Psychiatrie. In dem Lied ist es jetzt die Droge, denn ich glaube, es gibt in jedem Freundeskreis den Typen, der einfach hängen geblieben ist, irgendwo die falsche Pille erwischt hat und jetzt eine Psychose hat. Das Ganze resultiert schon aus den „Mir reicht das hier alles nicht, ich muss irgendwie mehr erleben: Mehr Abenteuer, mehr Emotionen, alles muss viel krasser sein“-Gedanken.

 

Unserer Generation reicht ein „okay“ einfach nicht mehr aus, alles muss High-End und perfekt sein. Wie stehst du dazu?

Ja, genau das ist das Problem. Das ist die Definition von perfekt, aber das perfekte Leben existiert eben nicht. In dem Moment, in welchem du etwas Perfektes erreicht hast, ist es schon nicht mehr perfekt. Perfektion ist für mich ein Paradoxon. Es ist mit dem Horizont vergleichbar. Je näher du an den Himmel herankommst, desto weiter ist er entfernt, man kommt einfach nicht näher heran. Gleiches gilt für die Perfektion. Das ist schon was, was extrem dazu beiträgt, dass die Leute Depressionen bekommen. Für mich ist dieses Thema der Depressionen total aktuell, gerade in Bezug auf die ganzen Attentate, die vor kurzem passiert sind, wo man sich die Frage stellen muss in wie weit da Depressionen eine Rolle spielen. Der schlimmste Feind des IS ist womöglich die Therapie. Die Anhänger von ISIS sind auch einfach nur depressiv, denn kein gesunder Mensch möchte sich ernsthaft umbringen. Das widerspricht jeglichem Überlebensinstinkt. Es gibt zwar mittlerweile Fortschritte, man kann Therapien machen und behandelt werden, trotzdem ist es immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. In Deutschland kann man nicht ehrlich mit seiner Depression umgehen, ohne gleich abgestempelt zu werden. Was meinst du, wie oft ich diese Frage gestellt bekomme: „Du machst so traurige Musik, bist du denn wirklich so ein trauriger Mensch? – und ich denke mir so: Fuck, was soll so eine Frage? Das ist einfach nur die Realität. Es passiert, weil wir alle in der Selfie-Realität leben und das „Ich bin im Urlaub“-Ding zur Wirklichkeit machen – das ist aber Quatsch.

 

Das ist wahrscheinlich unser heutiges Problem mit den sozialen Netzwerken. Jeder kann sich im Internet inszenieren, und wer postet schon ein Foto von sich, wenn er einen miesen Arbeitstag gehabt hat oder gerade kränklich ist. Also würdest du schon sagen, dass der ganze Selfie-Wahn eher depressiv statt fröhlich macht?

Auf jeden Fall. „Imagetergram“ müsste das eigentlich heißen, denn es geht nur darum, sein eigenes Image aufzupolieren. Je mehr die Realität vom Leben wegrückt, desto verrückter wird man. Ich hatte selbst einmal diese Erfahrung in Kalifornien, da hast du so viele Crack-Leute rumrennen und die sind nicht nur drogensüchtig, sondern haben auch Psychosen. Ich bin mir sicher, dass das an unserem Kapitalismus liegt. Denn das ist Kapitalismus im Endstadium. Da existiert immer noch der prägende amerikanische Satz: „You Can Make It!“ und die glauben das wirklich, obwohl die gar nichts haben und komplett am Boden sind. Die Wohnungen dort sind unfassbar teuer und selbst von einer Mini-Wohnung sind diese Menschen 4000 Euro im Monat entfernt. Es ist also unerreichbar, trotzdem glauben sie fest daran, dass ihr persönlicher Moment irgendwann kommen wird. Das habe ich gerade in den USA schon ein paar Mal erlebt, diesen krassen Kontrast zwischen arm und reich. Ich glaube, wir bewegen uns hier in Deutschland auch immer mehr auf diese Denkweise zu und das will ich einfach nicht. Ich will die USA jetzt auch gar nicht vollkommen kritisieren, aber dieser Gedanke führt eben nur in den Wahnsinn, das tut niemandem gut.

 

Kapitalismus ist ein gutes Stichwort, denn du siehst den deutschen Pop ja in der Krise. Die meisten Künstler machen einen auf schöne heile Welt und plappern nur das nach, was die Masse hören möchte. In deinen Augen reine „BWL-Musik“, aber warum mögen die Menschen dieses Ausblenden der wahren Realität?

Interessante Frage. Es gibt den Film „Free Rainer“, den ich besonders gut fand. Es gibt ja so bestimmte Plätze, in welchen die TV-Einschaltquote gemessen wird. In diesem Film wurde diese Messung manipuliert, damit die Menschen nur noch hochwertige TV-Sender wie Arte und sowas schauen. Ich fand den Gedanken gar nicht so dumm, um jetzt auf die Frage zu antworten. Die Leute hören im gewissen Maße, was man ihnen diktiert. Man hört die Lieder im Radio so nebenbei und beim siebten oder achten Mal kann man langsam mitsingen und bekommt gute Laune. Man fängt an, den Song zu mögen und sagt sich: „So, das Lied mag ich jetzt!“ Diese, ich nenne es jetzt mal, Dauerpenetration, führt irgendwie zum Erfolg. Genauso läuft es ja im TV, diese ganze Scripted-Reality wie „Bauer sucht Frau“ ist ja auch mega erfolgreich. Einfach aus dem Grund, weil der Mensch faul ist und sich berieseln lassen möchte. Aber dem möchte ich mit meiner Musik entgegenwirken.

 

 

 

Du sprichst den Mainstream unserer Gesellschaft ja schon an. In deinem Song „Tourist“ kritisierst du auch stark die Entwicklung des westlichen Reisestils. Was macht eine gute Reise für dich aus?

Eine gute Reise sollte für mich definitiv kreativ und bereichernd sein. Das kostet Zeit, denn natürlich ist es einfacher, sich mal eben den Pauschalurlaub im All-Inclusive Hotel im Internet zu buchen, anstatt sich gründlich mit dem Urlaubsziel auseinanderzusetzen. Ich finde es einfach so suspekt, dass man mal eben für zwei Tage nach New York fliegt, kurz ein Selfie macht und ein „I Love NY“ Shirt kauft, um danach wieder zurückzureisen. Einfach nur, um mal kurz in New-York gewesen zu sein. Ich habe das selbst so erlebt und es ist erschreckend, denn wie kann man sich bitte ein „Ich liebe…„- Shirt kaufen, wenn man nur zwei Tage dort verweilt hat. Liebe ist so ein starker und leidenschaftlicher Begriff, der für mich an dieser Stelle vollkommen missbraucht wird. Auch der Sextourismus… diese Entwicklung ist so heftig, dass Menschen ernsthaft für ein paar Tage nach Pattaya in Thailand fliegen, um sich zu vergnügen. Man reist doch in ein Land, um sich von der Schönheit der Natur begeistern zu lassen. Asien hat so viele schöne Seiten, da muss ich mich nicht den ganzen Tag in irgendeinem Fünf-Sterne-Bunker in die Sonne legen, denn das kann ich auch in Deutschland.