Panama Papers: Eine Blaupause im Kampf gegen den Kapitalismus

Das äußere Erscheinungsbild eines salbadrigen Großvaters, ein schwerer Ostküsten-Dialekt, die Stimme immer am Rande des Zusammenbruchs: Wenn Bernie Sanders spricht, hören ihm Tausende zu. So am vergangenen Wochenende auch in Wisconsin, als sich mehr als 18.000 Menschen versammelten, um seiner Wahlkampfrede zu lauschen. Sanders‘ vier Lieblingswörter, die er mantrahaft wiederholt, und die auch in Wisconsin fielen: „Corrupt. Campaign. Finance. System.“

Doch es ist nicht nur das Finanzierungssystem des US-amerikanischen Wahlkampfs. Banken, Großkonzerne, Milliardäre, Hedgefonds-Manager – die berühmt-berüchtigten 1% –, sie alle haben zu viel Macht, so Sanders. Die Bevölkerung leidet darunter: Sie kriegt von Profiten nichts ab, muss aber bei Bankenrettungen und Finanzkrisen für den Schaden aufkommen.

Sieht man Sanders’ Wahlkampf und die Euphorie, die er gerade bei jungen Wählern entfacht, als kontextuellen Rahmen, fällt die Publikation der Panama Papers in eine spannende Zeit: Der globale Kapitalismus steht zunehmend in einer Legitimationskrise. Globale Finanz- und Politikeliten etablierten eine Parallelstruktur, in der für sie nicht die gleichen Gesetze und Regeln wie für den Otto Normalverbraucher gelten. „Corrupt. Finance. System.“ – auch so wird ein Schuh draus.

 

Warum Offshore-Firmen verwerflich sind

 

Es fällt dabei nicht sonderlich schwer zu verstehen, warum der Leak von PDF-Dokumenten, Urkunden, Passkopien und Überweisungen der Kunden der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca einem Skandal gleichkommt. Briefkastenfirmen wie Mossack Fonseca sind weder Zufallsprodukte, noch schweben sie in luftleeren Räumen. Es gibt konkrete Gründe, weshalb Reiche und Mächtige aberwitzige Summen an Scheinfirmen veräußern. Das Umgehen von Steuergesetzen (wie im Fall Leo Messis) ist einer, die Verschleierung der Herkunftsquelle des Geldes (wie im Falle des Putin’schen Dunstkreises) ein anderer.

Gregor Gysi, der ehemalige Vorsitzende der Linken-Partei, umschrieb das Problem wie folgt: „Ich halte es für sehr problematisch, wenn Politiker eine Briefkastenfirma eröffnen. Wozu braucht man eine Briefkastenfirma mit einem Scheindirektor, nur um zu verheimlichen? Wer sein Geld verheimlicht, der hat dafür Gründe. Und das sind meistens keine ehrenwerten und oft sogar strafrechtlich relevante.”

Der Zeitpunkt der Publikation der Panama Papers zeigt außerdem die Diskrepanz der globalen Wirklichkeit. Während Hunderttausende Menschen aus Armutsgebieten zu uns fliehen, bereichern sich die Reichen der Reichsten auf illegale Weise.

Die Panama-Papers offenbaren Antitugenden

 

Wie mein Redaktionskollege Maxi Jung schrieb, mag der Leak keine Überraschung sein. Es wäre naiv anzunehmen, dass es keine „Geheimnisse des schmutzigen Geldes“ (wie die Süddeutsche Zeitung es umschreibt) gebe. Trotzdem ist die Veröffentlichung ein investigativer Coup – und eine Zäsur: Denn die Panama Papers liefern die Bestätigung des Verdachts, den Beweis für die Vermutung.

Anders gesagt: Dass Korruption und Steuerhinterziehung in Steueroasen wie den Cayman Islands, den britischen Jungferninseln oder Panama stattgefunden haben, sollte niemanden verwundern. Mit den Panama Papers werden die Machenschaften aber strafrechtlich relevant. Schon bald werden Staatsanwaltschaften die Ermittlungen auf- und der Druck auf Machthaber (wie den isländischen Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson) zunehmen.

Deshalb ist es ebenso gerechtfertigt wie verständlich, sich über die Panama Papers zu empören. Sie zeigen die Antitugenden des globalen kapitalistischen Finanzsystems: schier endlose Gier, dreisten Betrug, Intransparenz, Verlogenheit und Egoismus.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt?

 

Gegen diese Antitugenden ist ein immer größeres Aufbegehren festzustellen: Deutlich wurde dies an der Occupy Wallstreet-Bewegung oder den letztjährigen Protesten im Frankfurter Bankenviertel. Und auch in der Politik und Justiz scheint die Erkenntnis anzukommen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Das zeigen der Aufkauf von Schweizer Steuersünder-CDs, Abkommen im Kampf gegen Steueroasen oder die Verurteilung und Ächtung von prominenten Steuerhinterziehungsdelikten wie im Fall von Uli Hoeneß.

Auch Gregor Gysi stellt fest: „Die Stimmung hat sich verändert. Wenn wir keine Steuergerechtigkeit haben, wenn wir keine Steuergelder einnehmen, können wir Bildung nicht bezahlen, können wir Kindertagesstätten nicht bezahlen, können wir Kunst und Kultur nicht bezahlen. Das geht einfach nicht. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden die Steuern einfach gleich abgebucht. Die anderen tricksen sich weltweit durch. Das muss aufhören.“

Für die immer lauter werdende Kritik an den Auswüchsen kapitalistischen Gesellschaftsordnungen sind die Panama Papers der Stoff, aus dem Revolutionen sind. Oder zumindest sein können.

Der Kapitalismus hat ausgedient

 

Die Panama Papers können eine Art Blaupause im Kampf gegen den (globalen) Kapitalismus werden. Dieser mag uns im 20. Jahrhundert Wachstum und Wohlstand gebracht haben, aber er hat mittlerweile Auswüchse erreicht, die kriminell und verbrecherisch sind. Alternativlos, wie in Vergangenheit oft propagiert, ist er zumindest nicht – und Kapitalismuskritik heißt sicherlich auch nicht, dass man bekennender Marxist sein muss. Es geht darum, zu justieren, wie viel Marktfreiheit, Besteuerung und Transparenz die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts wollen und brauchen.

Bernie Sanders jedenfalls kanalisiert den Unmut auf institutionalisierter Ebene. Die Panama Papers geben vielen seiner Kritikpunkte – der Bereicherung auf Kosten der Restbevölkerung, einem absurden Steuersystem oder der Nichtnachvollziehbarkeit von Finanztransaktionen – in besonders drastischer Art und Weise Recht.

Viele Geschichten sind dabei noch gar nicht erzählt und werden peu à peu ans Tageslicht kommen. Wer, wie und in welchem Ausmaß am Skandal um die Kanzlei Mossack Fonseca beteiligt ist, wird sich noch zeigen. Auf die Frage, weshalb bisher keine US-amerikanischen Offiziellen in den Skandal verwickelt seien, antwortete ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung jedenfalls: „Just wait for what is coming next.“ Schon bald könnten die Enthüllungen also auch im US-amerikanischen Wahlkampf relevant werden.


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Bildquelle: Tom Wolf unter CC BY-SA 2.0