Fotos: „Refugees Welcome“ – Ein klares Statement

Wenn das Sziget Festival in Ungarn im August seine Pforten öffnet, strömen jährlich über 400.000 Besucher aus mehr als 70 Ländern in das Herz Budapests und machen die Obudai-Insel auf der Donau über Nacht zur Insel der Freiheit. Das kostet sie zwar jedes Jahr aufs Neue das meiste ihrer Tugendhaftigkeit, aber auch alles Bestehende an Intoleranz und Voreingenommenheit wird überschwemmt von Freiheitsgedanken und ganz viel Liebe. Wenn einen dieser Mikrokosmos unsanft zurück in die Realität spuckt, fragt man sich beim Gedanken an Pegida oder brennende Flüchtlingsheime resigniert: Wieso kann die echte Welt nicht ein bisschen weniger beschränkt und ein bisschen mehr so wie die Freiheitsinsel sein?

 

Jedes Molekül bewegt sich

 

Das Sziget ist weit mehr als nur ein Festival. Es ist ein Ort, an dem verschiedenste Kulturen aufeinandertreffen und vereint im Takt der Musik tanzen. Dort ist es egal, wo man herkommt. Es ist egal, was man trägt, denn unter all dem Schlamm und Staub sieht man die Marke des T-Shirts sowieso nicht mehr. Es ist egal, welche Musik man hört, ob man dick oder dünn ist. Überhaupt ist eigentlich fast alles egal, solange es kaltes Bier gibt und niemand in sein Zelt gepisst hat, bis man wiederkommt.

Natürlich ist das kein Maßstab, aber immerhin der Beweis dafür, dass so etwas wie Toleranz eben doch noch existiert. Auf der Obudai-Insel ist man schlichtweg eines der unzähligen Moleküle, die ein großes Ganzes bilden. Und damit basta. Das ist wirklich angenehm.

 

Utopie oder ideales Denken?

 

Ist man abseits der ausgetretenen Pfade unterwegs, stößt man auf allerlei Entdeckungen, die fern von den kommerziellen Haupt-Acts auf der Main-Stage sind. Mit 400.000 „Sziget-Szitizens“ ist hat das Festival immerhin eine größere Einwohnerzahl als Bochum, Wuppertal oder Bielefeld. Doch im Vergleich zu den meisten Städten weltweit ist das Gesetz hier nicht auf der Seite veralteter Normen, sondern auf der der jungen Menschen.

Neben unzähligen musikalischen, künstlerischen und kulturellen Aktivitäten und Darbietungen kann man auf dem Sziget auch spontan einen Aids-Test machen, idiotensicher und unabhängig vom Rauschpegel, bei allerlei Hilfsorganisationen mitwirken und sogar gleichgeschlechtlich heiraten. Obwohl das Festival mittlerweile eine kommerzialisierte Massenveranstaltung geworden ist, blieb der Grundgedanke gleich: Freiheit, Toleranz, leben und leben lassen.

 

„Yeah, damn right!“

 

Unsere Tafel mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ machte dankend die Runde, wurde strahlend entgegen genommen und mit Worten wie „Yeah, exactly!“, „Damn right“ oder „Absolutely!“ kommentiert. Natürlich ist es einfach, ein Schild in die Luft zu halten und nett zu lächeln. Doch bei dieser Aktion geht es um das Bewusstsein in den Köpfen junger Menschen.

Passieren muss trotzdem mehr. „Merkeln“ steht derzeit an der Spitze der Wahl für das deutsche Jugendwort 2015. Es beschreibt „Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben“. Es entlockt ein belustigtes Schmunzeln, beim Gedanken an die Folgen allerdings, bleibt es uns als Kloß im Halse stecken.

 

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Fotos: Antonia Meißner für ZEITjUNG