Resilienz Superkraft Psychologie

Resilienz: Die vielleicht sinnvollste Superkraft unserer Zeit

Es muss nicht immer ein großer Schicksalsschlag wie eine Trennung oder ein Todesfall sein. Manchmal reicht es schon, wenn du für die Bachelor-Arbeit nur noch 24 Stunden Zeit hast und sich in deinem Hirn trotz kiloweise Traubenzucker, mehreren Gläsern Pinot Grigio und mindestens zwei Heulattacken absolut kein einziger verwertbarer Gedanke einfinden möchte. Das Zauberwort heißt hier: Resilienz. Psychische Widerstandskraft, die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Ruhig zu bleiben, wenn es brennt. Die vielleicht sinnvollste Superkraft unserer Zeit.

In der Definition von Psychologen bezeichnet Resilienz eine spezielle Eigenschaft von Personen, die ihre psychische Gesundheit unter Bedingungen erhalten, unter denen andere zerbrechen. Extremsituationen wie Armut, der Verlust von Nahestehenden oder schwere Traumata haben keinen bleibenden negativen Einfluss auf diese Menschen: Sie führen ein friedliches Leben, bleiben psychisch und sozial unauffällig und sind beruflich erfolgreich. Wie kann das sein?

Das mentale Schutzschild

Die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner legte dazu 1971 eine Langzeitstudie über die Kinder der hawaiianischen Insel Kauia vor. Über 40 Jahre lang wurden fast 700 Kinder eines Jahrgangs, die aus schwierigen Verhältnissen stammten, von ihrer Geburt an beobachtet und getestet. Ein Drittel der Testpersonen wuchs trotz der erschwerten Bedingungen zu psychisch gesunden Erwachsenen heran – dabei veränderte sich die Resilienz unter verschiedenen Umweltbedingungen. Werners Fazit: Resilienz wird durch einige Einflussfaktoren extrem gefördert. Dazu gehören zum Beispiel ausgeprägte kognitive Fähigkeiten, ein harmonisches familiäres Umfeld und die Toleranz für Ungewissheit. Außerdem erwiesen sich Menschen, die eher kollektivistisch als individuell orientiert waren, als besonders resilient.

Heute werden auch Menschen als resilient bezeichnet, die allgemein über eine größere psychische Widerstandsfähigkeit verfügen und diese zum Beispiel im Arbeitsalltag nutzen können, um ihre psychische Gesundheit zu erhalten. Cholerische Chefs oder unerwartete Überstunden machen ihnen dabei wenig aus, schreibt Eva Heidenfelder in der FAZ. „Resiliente Menschen sind eher in der Lage, persönliche Rückschläge zu verkraften oder berufliche Krisen konstruktiv zu bewältigen. Und sie gehen aus solchen Tiefs eher gestärkt als geschwächt hervor.“ Good news, everyone: Resilienz kann man erlernen!

Psychischer Widerstand in Krisenzeiten

„Zunächst muss man wissen, welche Einstellungen und Handlungen einem helfen, eine Krise zu meistern. Und sich dann darauf fokussieren“, sagt die Trainerin und Gründerin der Gesellschaft für Resilienz, Nicole Willnow, in der ZEIT. „Das erfordert einige Übung, man muss ja zunächst aus alten Verhaltensmustern ausbrechen. Aber es gelingt mit der Zeit immer besser. Wichtig ist zu realisieren, dass Krisen zeitlich begrenzt sind und überwunden werden können. Wie sagte schon Max Frisch? „Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

Die Diplompsychologin Astrid Jansen schlägt außerdem vor, darüber nachzudenken, welche Krisen man in seinem Leben schon bewältigt hat. „So werden die Ressourcen bewusst, über die man bereits verfügt, um sie bei künftigen Krisen wieder abrufen zu können.“ Es sei auch wichtig, zu erkennen, dass man nur aus eigener Kraft etwas verändern kann – und dass einige Regeln, die man sich selbst auferlegt hat, vielleicht gar nicht so sinnvoll sind. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, zum Beispiel. „Sie sind in manchen Situationen für die Person, die sie verwendet, sinnvoll und zielführend – in anderen aber auch nicht.“

Selbstreflexion als der Schlüssel zur Resilienz

Auf dem Weg zu mehr mentaler Widerstandkraft muss man offensichtlich vor allem eins: gründlich und intensiv über sich selbst nachdenken. „Resilienz nutzt jedem, weil jeder früher oder später mit Situationen zu tun hat, die Krisen sein oder in Krisen enden können“, so Willnow. Neben der Partnerschaft ist der Arbeitsplatz der wohl größte Krisenherd: 40 Prozent der Deutschen klagen hier über steigenden Druck und Stress. Kein Wunder also, dass das Thema Resiliez auch im Berufsleben ein absoluter Renner ist. Ratgeber mit Titeln wie Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out und Resilienz. Innere Stärke für Führungskräfte lassen durchblicken, dass resiliente Arbeitnehmer der feuchte Traum eines jeden Chefs sind. Denn: Ein widerstandsfähiger Angestellter ist ein produktiver Angestellter, und von dieser Spezies gibt es immer weniger. Die Krankenkassen klagen seit Jahren über die durch psychische Erkrankungen verursachten Fehltage. 2014 machten diese ganze 16,6 Prozent des Krankenstandes aus, Tendenz stetig steigend. Verständlich, dass auch diverse Arbeitgeber ein großes Interesse daran haben, den psychischen Widerstand ihrer Angestellten zu fördern – Resilienz-Seminare werden von vielen Firmen im großen Stil als Fortbildungsmaßnahmen eingeplant.

Stabilität ja, Unverwundbarkeit nein

Der Hype um die Resilienz als Super Skill im Berufsleben wird von vielen Wissenschaftlern als kritisch betrachtet; sie lehnen die Idee einer „generellen Resilienz“ ab. Jeder müsse seine eigene Strategie finden, um mit unterschiedlichen Krisen fertig zu werden – „die Verarbeitung von traumatischen Kriegserfahrungen lässt sich nicht mit dem Wunsch nach weniger Stress im Büro vergleichen“, sagt der Hirnforscher Raffael Kalisch dazu. Studien zeigen außerdem, dass sich im Umgang mit „normalen“ Lebenskrisen – also etwa bei einem Jobverlust oder einer Krebserkrankung – rund 60 Prozent aller Menschen als resilient erweisen. Die Sinnhaftigkeit eines Resilienztraining ist daher umstritten.

Trotzdem ist die Vorstellung einer unverwundbaren Psyche verlockend. Trennung, Kündigung, Lebenskrise? Prallt alles am teflonbeschichteten Ich ab. Allerdings funktioniert die psychische Unverwundbarkeit leider nur in der Theorie – auch resiliente Menschen durchleben immer wieder Angst, Trauer und Selbstzweifel, schreibt Ulrich Schnabel im ZEIT Magazin. Sie „können diese Gefühle lediglich besser bewältigen; auseinandersetzen müssen sie sich damit wie alle anderen auch.“

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Bildquelle: Jordan McQueen unter CC0 1.0