Beziehungen: Schluss mit Romantik!

Fragt man in seinem Freundeskreis herum, scheint eines ganz klar zu sein: die Liebe soll auch noch nach einigen Jahren in einer festen Beziehung ganz heiß brennen, und dafür muss man hart arbeiten. „Wir fahren nächstes Wochenende in ein Romantik-Hotel nach Tirol“, erzählt mir meine Freundin Tina und rührt begeistert in ihrem Drink. „So mit Wellnessbereich und Rosenblüten in der Badewanne. Das war Michaels Geschenk zum Jahrestag.“ Ich rühre ebenfalls in meinem Drink und denke daran, dass meine bessere Hälfte und ich zu unserem letzten Jahrestag ein chinesisches All You Can Eat-Buffet leergefressen haben. Dessen schäme ich mich nicht. Man darf einmal pro Jahr ruhig mal den Wochenbedarf an Kalorien mit Frühlingsrollen decken.

Tina hat sich für das Wochenende sogar extra neue Unterwäsche gekauft und eine Saftkur gemacht, damit sie in besagte Unterwäsche auch reinpasst. „Man kann sich ja auch mal Mühe geben“, sagt sie. „Ja, aber warum nur einmal im Jahr?“, sage ich. Tina ist beleidigt. „Ihr seid unromantisch. Rituale sind für eine Beziehung wichtig. Sonst fällt man in so einen blöden Alltagstrott rein.“ Sie verdreht die Augen und kippt den Rest ihres Caipis hinunter. „Du solltest dich mal mehr von deinem Herz leiten lassen.“

 

Gefühlsreichtum und Sehnsucht

 

Grundsätzlich ziehe ich es vor, mich von meinem Bauch leiten zu lassen, weshalb der versoffene Abend auch bei McDonald’s endet, aber ich bekomme Tinas Worte nicht mehr aus dem Kopf. Mehr Romantik soll das Leben also lebenswerter machen. Was heißt das eigentlich? Wikipedia verweist mich nur auf die gleichnamige Epoche, erklärt aber in einem Nebensatz: „Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnen die Wörter Romantik und romantisch heute meist einen sentimentalen Zustand des Gefühlsreichtums, vielleicht auch der Sehnsucht.“

Ausgehend davon stellt sich mir die Frage: Wer zum Teufel bracht noch mehr Gefühle? Diese Welt ist sowieso schon völlig überromantisiert. Flohmarkt-Besuche, um einen einzigartigen Couchtisch zu ergattern, stundenlanges Einkochen von Obst für die selbstgemachte Marmelade, kleine Anhänger mit schnörkeligen Handmade-Schriftzügen. Selbstgehäckelte Mützen für den Winter, selbstgeschneiderte Kleider für den Sommer – stopp, das Rüschenkleid der Oma passt, noch besser! – das alles schreit doch praktisch „Emotionen! Houston, wir brauchen mehr Emotionen!“

 

Qualitative Potenzierung

 

Das hat übrigens schon Novalis gefordert. Der deutsche Frühromantiker hat gleich bei sich selbst angefangen, aus seinem eher schwerfälligen Geburtsnamen Friedrich von Hardenberg den hübschen Künstlernamen Novalis gezaubert und dann geschrieben: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts anderes als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche, es bekommt einen geläufigen Ausdruck.“

Das war um 1800. Heute kommt man um gefühliges Gedöns gar nicht mehr herum. Da gehört es in einer Beziehung fast zum guten Ton, dass man sich ab und zu mit seinem Schatzi eine Badewanne einlässt, Kerzen anzündet und dem schmierigen Gedudel von Eros Ramazotti lauscht. Qualitative Potenzierung. Ist ja so romantisch! Ein Freund von mir hat seiner damaligen Angebeteten die Wohnung mit Rosensträußen vollgestellt und eine Kerzenspur zum Bett gelegt, auf dem dann eine Flasche Schampus und schokoladenüberzogene Erdbeeren lagen. Das war beim zweiten Date. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Sack damals zugemacht hat, weil bei den meisten Frauen bei derart viel Romantik die Synapsen kollabieren, aber mal ernsthaft: braucht’s das? Ist nicht ein ehrliches „Baby, ich will mit dir eine ganze Familypizza essen und dabei eine komplette Staffel House of Cards durchgucken“ viel, viel schöner?

 

So etwas wie Drogensucht

 

„Ich denke, dass die Sucht nach Romantik und Authentizität wie jede Art von Sucht zu viel Leid führt und zu keiner nachhaltigen Befriedigung“, sagt der Historiker Christian Saehrendt in Psychologie Heute. „Es ist tatsächlich so etwas wie eine Drogensucht oder Spielsucht. Man scheint einem echten Erlebnis, seiner echten Identität ein Stück nähergekommen zu sein, aber die Befriedigung darüber hält nicht lange an. Weil Authentizität oder Echtheit absolute Begriffe sind, im Prinzip unmenschlich, weil nicht alltagskompatibel. Romantik hat schon einen lebensfeindlichen Aspekt.“ Saehrendt hat ein Buch mit dem Titel Gefühlige Zeiten: Die zwanghafte Sehnsucht nach dem Echten geschrieben und stand anfangs eigentlich noch auf der anderen Seite der Medaille.

„Am Anfang der Recherchen zu meinem Buch war ich noch romantikanfällig. Ich habe gedacht: Man muss gegen diese Rationalisierung der Welt etwas tun. Man muss zu seinen Gefühlen stehen. Man muss ausbrechen aus einer Welt, die immer weiter verrechtlicht wird und überregelt ist. Aber als ich das Thema Romantik durchdrungen hatte, habe ich gemerkt, dass das ein ziemlich großer Quatsch ist und dass die neoromantische Aufwallung mehr Probleme schafft als Probleme löst.“ Die Echtheit, nach der gesucht wird, bleibt dabei oft auf der Strecke. „Bei manchen Hochzeitspaaren kann man schon absehen, dass sie sich bald scheiden lassen, aber sie ziehen die romantisch durchgestylte Hochzeit in Weiß trotzdem durch. Vielleicht gibt es auch so ein Art Trotz, dass man das Scheitern schon ahnt, aber sagt, ich möchte trotzdem diesen einen Moment erlebt haben.“

Romantik entsteht aus dem Moment heraus. Und sie liegt in den kleinen Dingen. Ein Ich liebe dich auf dem Gipfel des Kilimanjaros kann genauso romantisch sein wie ein Ich liebe dich beim gemeinsamen Zähneputzen vor dem Badezimmerspiegel. Und wahrscheinlich spielt auch Spontaneität eine wichtige Rolle – ich glaube nicht, dass man Romantik planen kann. Verkrampftes Schatz-wir-müssen-jetzt-romantisch-sein-Geklammere in der blütenblätterbefüllten Badewanne ist doch ein absoluter Abtörn. Aber ein pizza- und kuschelintensiver Abend mit deinem Lieblingsmenschen und einem gemeinsamen Netflixaccount? Das ist romantisch.

 

 

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Bildquelle: Greg Rakozy unter CC0 1.0