Keine Macht den Aufreiß-Künstlern!

von Lotte Martin Yuste

Fick dich, Hollywood! Du beeinflusst uns mit Filmen à la „Crazy, Stupid, Love“, „Love and Other Drugs“ und wie sie nicht alle heißen. Die Protagonisten sind waschbrettbäuchige Maßanzugträger, die mit ihren manipulativen Sprüchen an zigtausend heiße Mädchen rantreten, die wie selbstverständlich mit leicht
geöffneten Lippen und Sex im Blick „zu dir oder zu mir“ gehen. Und am Ende findet der verruchte Kerl dann noch die große Liebe, bla bla bla, das soll hier keine Rolle spielen.

Ein wichtiger Fakt an diesem Hollywood-Aufreiß-Klischee ist allerdings, dass der Zuschauer darauf getrimmt wird, das auch noch gut und witzig zu finden.
Den Frauen, die nach und nach in kurzen Kleidern durch die Szenerie
stöckeln, schenken wir höchstens sekundenlange Bewunderung für ihre perfekt geformten Brüste. Ansonsten nehmen wir das, was uns da als wünschenswerte Realität mit superhottem Casanova dargestellt wird, einfach so hin. Ohne zu hinterfragen. Ohne zu kritisieren. Sollen wir ja auch gar nicht.

 

Wenn Hollywood zur Realität wird

 

Wir alle kennen den „Date Doctor“. Ein dicker, schüchterner Mann wird gecoacht, um auch mal eine abzukriegen. Und dazu noch ’ne Heiße. Ein HB, ein Hot Babe. So würden es die Jungs von „Real Social Dynamics“ nennen. Und die gibt’s nicht nur im Film, sondern in der Realität. Jauchzt und erfreut euch eures Lebens, die Rettung für alle Typen, die noch keine Arschlöcher sind, ist gekommen!

Aber verurteilen wir mal nicht alles, was die Coaches da so fabrizieren. Zum einen geht es um Persönlichkeitstraining. Darum, das Selbstbewusstsein zu stärken. So weit, so moralisch vertretbar.

Dann geht’s auch schon bergab. Was folgt, ist die Entwicklung vom netten Kerl von nebenan zum empathielosen Bezirksbesamer. Eine Technik, um eine Frau rumzukriegen, ist folgende. Step one: Verständnis und Einfühlungsvermögen heucheln, dabei körperlich rangehen. Step two: „Push and Pull“, abwechselnd anrufen, beharrlich sein und Sympathie zeigen und dann nicht melden, zurückweisen, beschimpfen und dann wieder von vorne.

Das Wichtigste dabei ist das „Inner Game“ – das Selbstbewusstsein. Dann klappt das mit dem „Outer Game“ auch super. Und vielleicht landet man dann gleich einen SNL – Same Night Lay. Am Ende ist man dann Künstler: „Pick-up Artist“. Hach, welch wunderbarere Euphemismen.

 

The Claw und Terre de Femmes

 

Am Wochenende soll ein Seminar in Berlin stattfinden. Aktivistinnen von Terre de Femmes haben Klaus Wowereit aufgefordert, rechtlich gegen das Seminar vorzugehen. Denn nicht nur Manipulation wird gepredigt, sondern auch Gewalt. Eine Taktik der „Pick-up Artists“ ist beispielsweise „The Claw“. Hier wird das „Target“ (diese Bezeichnung stammt von Real Social Dynamics!) gegriffen und fest im Arm gehalten. Will sie gehen, so redet man auf sie ein und lässt sie nicht los, bis sie sich nicht mehr wehrt.

Auch kursierte ein Video im Internet, in dem sich einer der Coaches mit Vergewaltigung brüstete. Inzwischen ist es aus den Weiten des World Wide Web verschwunden. Dubios sind jedoch auch die anderen Videos der Coaches. „How to make her cheat on her boyfriend“ heißt eines davon. In einem anderen pusht ein Trainer seine Schützlinge mit den Worten: „Do you realize how fucking cool and successfull you are compared to some dumb girl in a bar?“

Selbstbewusstsein lehren geht anders! Denn ein gesundes Selbstbewusstsein endet da, wo der Respekt vor anderen anfängt. Und die Methoden des RSD’s basieren – nicht nur unterschwellig – auf der Herabsetzung von Frauen. Was gelehrt wird, ist kein normaler, lockerer Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, sondern eine kranke Weltansicht. Das Vorgehen der Coaches bewirkt nicht nur, dass Männer Frauen als Objekte sehen. Sondern auch, dass sie zu empathielosen Arschlöchern erzogen werden. Eine Kommentatorin auf YouTube fasst zusammen: „This is psychopath advice: No conscience, no empathy, deceit, manipulation, people only personified objects to be exploited and manipulated, corruption of other people. No respect for anyone at all. Profoundly immoral.“

Ist das das Resultat von Hollywood-Filmen? Eine Gesellschaft die Oberflächlichkeit feiert und schüchterne, nette Menschen auf der Strecke lässt? Ist das wirklich die Lösung für alle, die sich nicht trauen, Mädels anzusprechen – ein kaltherziger Egozentriker zu werden? Zumindest für einige armseligen Rächer, die immer zurückgewiesen wurden und sich jetzt auch mal stark und überlegen zu fühlen wollen, scheint es genau das zu sein.

 

Schluss mit Jagdwild

 

RSD ist das Extrem. Aber wir brauchen gar nicht mal in dubiose, scheinwissenschaftliche Seminare hineinzuschauen, um das Phänomen des Aufreißens zu kritisieren. Aufreißen. Allein das Wort impliziert: Einer ist Aufreißer, der andere Aufgerissener. Jäger und Wild. Stark und Schwach. Einer ist Ryan Gosling und die andere eine aus der Reihe von namenlosen, dümmlichen Eroberungen.

Prinzipiell ist es vollkommen in Ordnung, wenn man einvernehmlich mal eben – Knick Knack – gemeinsam verschwindet. Ist doch super. Wünschenswert. Aber wir müssen wirklich damit aufhören, unser Leben Hollywood-Klischees anzugleichen, menschliche Beziehungen als Spiel und Menschen als Objekte zu sehen.

Wir müssen den Begriff und das Prozedere des Aufreißens überwinden. Reformieren. Damit gesundes Selbstbewusstsein, gesunde menschliche Beziehungen – seien sie auch noch so kurz – und vor allem Gleichheit entstehen.
Und wenn wir das geschafft haben, dann geht endlich Jäger mit Jäger, Stark mit Stark und Ryan Gosling mit Ryan Gosling ins Bett.

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Bildquelle: pedrosimones7 unter CC BY 2.0