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Selbstversuch: Ein Tag bei Scientology

Ich bin Lina Mühler, 21 Jahre alt, und wohne erst seit ein paar Monaten in München. Obwohl mir mein Lehramtsstudium in Englisch und Geschichte eigentlich ganz gut gefällt, fühle ich mich hier manchmal schrecklich einsam, weil ich in der fremden Stadt noch nicht viele Freunde gefunden habe.

Das ist meine Identität, mein neues Ich, als ich die Scientology Kirche aufsuche, um herausfinden, mit welchen Methoden und Tricks Scientologen die Menschen heutzutage ködern – in Zeiten, in denen man mittlerweile so viel Schlechtes über diese Organisation gehört hat, die ihre Mitglieder einer grausamen Gehirnwäsche unterzieht, um sie schlussendlich bis auf den letzten Cent auszunehmen. Doch trotz öffentlicher Aufgeklärtheit hält sich das Gebäude der Scientologen, das sie selbst als Kirche bezeichnen, nun schon seit mehr als 45 Jahren im Herzen Münchens – in der Beichtstraße 12 nämlich, nur ein paar Schritte von der belebten Leopoldstraße entfernt.

Obwohl oder gerade weil ich nur eine Rolle spiele, bin ich unerwartet nervös, als ich die Tür aufdrücke, über deren Rahmen in großen, blauen Lettern „Scientology Kirche“ steht. In meinen Gedanken wiederhole ich mein heutiges Mantra: „Ich bin Lina, 21, erst seit kurzem in München, fühle mich einsam…“  und dann bin ich auch schon angekommen in der Höhle des Löwen. Plötzlich fällt es mir nicht mehr schwer, das schüchterne, einsame Mädchen zu geben. Als ich sage, dass ich mich nur ein bisschen informieren möchte, nimmt sich eine ältere Frau meiner sofort an und führt mich in einen hinteren, weitläufigen Raum. Es dauert eine Weile, all die Eindrücke zu verarbeiten. Zu meiner Rechten und Linken erstrecken sich riesige Regale, vollgestopft mit Prospekten, Zeitschriften und Büchern über Scientology; dabei stürmen ungefragt Begrifflichkeiten wie „Dianetik“, „Auditing“ und „Clear“ auf mich ein.

Mit „Dianetik“ ein besserer Mensch werden

Aus unzähligen Bilderrahmen starren mich immer wieder dieselben Augen an: L. Ron Hubbard, der Erfinder und Anführer der Scientology Kirche, ist für seine Anhänger noch immer unsterblich. Er soll mit seinem Tod im Jahre 1986 einen höheren, seelischen Zustand erreicht haben, der für gewöhnliche Menschen nur schwer zu fassen ist. Auch die Frau, die mir nun gegenübersitzt, glaubt fest daran und versucht, mich mit der „Dianetik“ vertraut zu machen. Das ist die scientologische Grundlehre, die im Groben beschreibt, dass der Mensch es schaffen kann, sich von allen negativen Beeinflussungen zu lösen und damit einen ganz neuen Bewusstseinszustand zu erreichen. Dabei wird zunächst davon ausgegangen, dass der Mensch einen analytischen und einen reaktiven Verstand hat.

Der „analytische Verstand“ ist der bewusste Part des Gehirns, der die meisten Erinnerungen behält, mit dem man selbstständig denkt und Entscheidungen trifft. Im „reaktiven Verstand“ hingegen sind die schmerzvollen Memoiren gespeichert, die später Reaktionen hervorrufen können, die die Handlungen des Betroffenen ohne dessen Wissen steuern können. Diese Reaktionen sollen vermieden werden, in dem aktiv gegen sie gearbeitet wird. Dies geschieht innerhalb von acht Stufen, die mit Hilfe gängiger Methoden der Scientologen – wie dem Auditing – nach und nach erreicht werden können.  Damit wird angestrebt, dass letztendlich nur der analytische Verstand übrig bleibt. Wenn das der Fall ist – der Mensch sozusagen von allen unbrauchbaren Erinnerungen und negativen Energien, die sein Leben je beeinträchtigt haben, befreit ist – ist er selbst die Ursache seines eigenen Lebens und damit „clear“. Das ist der Zustand, auf den alles abzielt.