Sebastian Huber wolkenschloesser

Flüchtlings-Projekt wolkenschlösser: „Die meisten wollen stark sein, um zu helfen“

Junge Leute, die coole Sachen machen: Nicht lange warten, einfach loslegen. Wir stellen euch in diesem Format junge Leute vor, die wir bewundern, weil sie sich einfach getraut haben, einen Traum in die Tat umzusetzen. Sie zeigen uns, dass es sich lohnt. Dieses Mal haben wir mit Sebastian Huber vom Flüchtlings-Projekt „wolkenschlösser“ über die Motivation unserer Generation, einfach mal mitzuhelfen, gesprochen. 

 

Die Bilder der Flüchtlingsthematik brennen sich in unsere Gedanken. Ein LKW mit toten Flüchtlingen in Österreich, Tausende Flüchtlinge zusammengepfercht vor dem Budapester Hauptbahnhof, ein totes Kleinkind an einem türkischen Strand und kürzlich erst eine aggressive Meute in Clausnitz, die Flüchtlinge, die aus einem Bus steigen, mit Hasstiraden beschimpfen. Sebastian Huber, Amélie Planck und Bryan Banker haben ähnliche Bilder den letzten Schubs gegeben, ihr Projekt „wolkenschlösser“ ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit Flüchtlingen schreiben sie Geschichten, erfinden Helden und zeichnen Comics. So können die jungen Neuankömmlinge durch kreatives Schreiben spielerisch die deutsche Sprache lernen.

Im Sommer 2014 haben die drei beschlossen, ein Projekt zu starten, mit dem sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten Flüchtlingen den Neuanfang in Deutschland erleichtern können. Beruflich haben alle drei mit Literatur zu tun. Bryan ist Englisch- und Geschichtslehrer. Er hilft Einwanderern bei rechtlichen Fragen und bringt ihnen Englisch und Deutsch bei. Als gebürtiger Amerikaner engagiert er sich schon seit Jahren für Flüchtlinge. Er ist Doktorbruder von Sebastian Huber, der in der amerikanischen Literaturgeschichte promovierte. Seit letztem Jahr lehrt er Englisch und Deutsch an der Münchner SchlaU-Schule für Flüchtlinge. Seine Freundin Amélie Planck ist Pädagogin und betreut seit Mai 2014 auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Ihre Liebe zur Sprache und ihr Wunsch zu helfen, brachte die drei zusammen.

https://www.youtube.com/watch?v=Jr12Tpdb-uM

Eine neue Sprache sollte nicht mit abstraktem Bürokraten-Deutsch gelernt werden, finden Sebastian und sein Team. Sie sollte bildlich, durch das Erzählen von Märchen oder mit einem Alltagsbezug gelernt werden. Bei „wolkenschlösser“ werden die jungen Migranten darum schrittweise an die deutsche Sprache herangeführt. Zunächst müssen sie ihre Berührungsängste verlieren. In den „wolkenstunden“ lesen die ehrenamtlichen Helfer kleinen Gruppen einfache Geschichten vor, die durch visuelle Medien noch erlebbarer gemacht werden. Vor allem Erstankömmlinge sollen so behutsam mit der deutschen Sprache vertraut gemacht werden. Manche von ihnen fühlen sich animiert, auch ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Die können sie zum Beispiel in „wolkenbildern“ festhalten. Begleitet von Fotografen, Filmemachern und Künstlern können die jungen Migranten ihre Eindrücke künstlerisch festhalten. Dafür besonders geeignet sind Comics.

Wie das geht? „Naja, sie zeichnen zum Beispiel einen Helden und lernen an dieser Zeichnung – das ist die Brust, das die Faust“, erzählt uns Sebastian bei seinem Besuch in der Schreinerei. Sobald sie mit der deutschen Sprache etwas sicherer geworden sind, können die jungen Leute damit beginnen, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. „Am Ende der Workshops sollen sie etwas in der Hand haben, auf das sie stolz sein können“, sagt Sebastian. Die Ausgestaltung ihrer Geschichten soll den jungen Migranten dabei helfen, ihre oft traumatischen Erlebnisse der Flucht spielerisch zu verarbeiten, ohne sich damit konfrontiert zu fühlen.

Auch wenn viele sagen: „Wieso sollen sie kreatives Schreiben lernen? Sie sollten erst ein mal richtig Deutsch lernen“ und obwohl das Bauen von Luftschlössern umgangssprachlich heißt, idealistische Träume zu haben, die nie in Erfüllung gehen, glaubt Sebastian an die Idee. Denn genau darum geht es auch. Die Flüchtlinge sollen Luftschlösser bauen und erkennen, dass sie eben doch in Erfüllung gehen können. Ihre Kreativität wird mit Anerkennung belohnt. „Das gibt ihnen Selbstvertrauen“, sagt Sebastian.

 

Keiner der jungen Leute ist egoistisch

 

Wir wollen wissen, ob Sebastian eine Geschichte ganz besonders in Erinnerung geblieben ist? „Alle“, sagt er. Besonders der eigene Wille zu helfen sei stark bei den jungen Leuten ausgeprägt. Fast keiner von ihnen gibt seinem Superhelden eine egoistische Kraft: „Keiner sagt, er würde gerne zaubern können, um sich super viel Geld zu zaubern, sondern die Meisten wollen stark sein, damit sie zurück gehen können, um ihren Leuten zu helfen.“

Sebastian erzählt uns von einer Geschichte, an der gerade zwei Flüchtlinge gemeinsam arbeiten: „Die Geschichte dreht sich um jemanden, der von seinem Dorf ausgestoßen wurde. Er geht in den Wald und hört eine magische Stimme. Danach kann er fliegen. Er weiß aber nicht, wie man landen kann und fliegt ins Wasser.“ Dass so eine Geschichte tatsächlich auf Papier steht, geht relativ schnell. Egal ob der Workshop eine Stunde oder 8 Wochen dauert, das Ziel steht fest: Am Ende sollen die jungen Leute etwas in der Hand haben. Sie sollen sehen, dass sie etwas Kreatives schaffen können. „Auch wenn es am Ende kein Roman wird“, sagt Sebastian.

Ein Pool an Autoren, Übersetzern, Lektoren, Lehrern und Kreativ-Schaffenden unterstützt „wolkenschlösser“ bei ihrem Vorhaben. Sie besuchen die jungen Migranten in den Heimen und versuchen, mit ihnen das Beste aus der Situation zu machen. Viele junge Leute wollen helfen. „Das hat man auch am Münchner Hauptbahnhof in den vergangenen Tagen gesehen“, sagt Sebastian. Entgegen vieler Erwartungen zeigt der aktuelle Umgang mit der Flüchtlingsthematik, wie politisch, motiviert und voller Tatendrang unsere Generation ist, etwas für Flüchtlinge zu tun.

 

Unsere Generation braucht „Wake-Up-Calls“

 

„Ich habe vor 5 oder 10 Jahren gedacht, dass unsere Generation eingeschlafen ist“, sagt Sebastian. Was sie aber in den letzten Monaten leistet, findet er bemerkenswert: „Dass Leute auf die Straße gehen, hätte ich nie gedacht, nachdem so viel Scheiße passiert ist, wie die Finanzkrise, wo gefühlt niemand auf die Straße gegangen ist. Und jetzt gibt es wieder ein Aufleben.“ Unsere politische Aktivität hat sich im Vergleich zur vorherigen Generation verändert. „Wahrscheinlich hat jede Generation mal ihre Phase, wo sie ein bisschen aktiver wird und danach schläft sie wieder ein“, glaubt Sebastian: „Es braucht oft politische Ereignisse, um uns wieder aufzuwecken. Sie sind wie Wake-Up Calls.“

Durch das Schicksal der Flüchtlinge, die in dem LKW ums Leben kamen, der auf einer österreichischen Autobahn gefunden wurde, habe er noch einmal einen Motivationsschub bekommen. „Es ist traurig, dass immer erst eine Horror-Story in den Medien auftauchen muss, damit man sich wieder motiviert“, sagt er. Leider scheinen solche Bilder nötig, denn sie verändern den Blick auf unsere Welt. Für Sebastian zählt am Ende, dass ihn seine Kindern später nicht fragen: „Warum habt ihr nichts gemacht?“

 

Wolkenschlosser werden

 

Ein Tag hat nur 24 Stunden, das spürt auch das Team von „wolkenschlösser“. Sie würden gern viel mehr machen, aber dafür sind sie zu wenige. „Momentan sind es drei Leute, auf denen die ganze Last liegt“, erzählt Sebastian, „Bisher haben wir 10 aktive Helfer. Jetzt versuchen wir zu wachsen und mehr Leute und Einrichtungen zu vernetzen.“ Dafür braucht „wolkenschlösser“ noch mehr motivierte ehrenamtliche Helfer, die nicht viel mehr mitbringen müssen, als ein bisschen Liebe zur Sprache und Nächstenliebe.

Mehr über Wolkenschlösser gibt es hier.