Stille, Wahrnehmung, Ruhe, Zuhören, Aufmerksamkeit, Luxus

Stille: Der unangenehmste Luxus der Welt?

„Halt doch endlich mal die Klappe!“ Ein Satz, der leicht von den Lippen geht, den niemand aber so richtig ernst nimmt. Und das, obwohl man ihn von klein auf bereits eingetrichtert bekommt: Babys sollen aufhören zu schreien und im Kindergarten heißt es „Nicht so laut, bitte“, damit Tante Gertrud ja keinen Gehörsturz bekommt. Um reden zu dürfen, muss man sich melden, lehrt uns die Schule. „Schreit nicht immer dazwischen!“

Ja, still zu sein ist eine Tugend. Aber wie geht das eigentlich? Und was bedeutet Stillsein überhaupt? Keine Geräusche von sich zu geben? Aber ich habe doch auch etwas zu sagen – und vor allem habe ich eine Meinung. Meinungen zu allem! Und ich will gehört werden, Aufmerksamkeit haben, eine Stimme haben, wahrgenommen werden – hört alle her, jetzt rede ich! Dabei reden alle nur noch durcheinander. Zuhören sollten wir! Zuhören?

Bin ich ein guter Zuhörer oder lässt du mich einfach nur nicht zu Wort kommen?

Wenn ich mit vielen Menschen unterwegs bin, fällt es oft schwer, überhaupt bemerkt zu werden. Meine Stimme ist leise, tief und auch ein bisschen unsicher. Schreien habe ich bereits verlernt. Also starre ich geradeaus und versinke in Gedanken. „Du bist so eine gute Zuhörerin“, heißt es dann immer. Aber bin ich das wirklich? Eigentlich lässt du mich ja nur nicht zu Wort kommen. Wer zur Hölle bist du überhaupt? Ach ja – meine Freundin. Ich versuche, das zuletzt gesagte Wort aufzugreifen und irgendetwas Sinnvolles von mir zu geben. Klappt meistens. Das klingt jetzt ganz schön fies. Und egoistisch. Aber vielleicht ist Egoismus manchmal auch ganz gut, um auf die innere Stimme zu hören, anstatt die auch noch zum Schweigen zu bringen. Die Welt ist hektisch und laut genug. Selbst auf dem Land. Da sind kreischende Vögel, zirpende Grillen, ein Traktor tuckert vorbei. Das Meer rauscht. Die Blätter rascheln vom Wind. Stille ist ja angeblich ein Luxus. Aber immer noch einer, der uns unangenehme Gefühle bereitet. Uns dazu bewegt, sie sofort beenden zu wollen. Produktiv zu werden oder die innere Unruhe wieder aufkeimen zu lassen.

Was ist überhaupt richtige Stille?

Selbst bei absoluter Stille vernehme ich zumindest meinen eigenen Atem. Es heißt, der Atem helfe einem dabei, die Stille zu ertragen. Aber ich dache, sie sei ein Luxus? Und Luxus genießt man doch, oder? Und was ist dann überhaupt richtige Stille? Ein geräuschloses Klangphänomen vielleicht. In Therapiesitzungen wird man damit konfrontiert. Schließlich ist es ja der Job des Therapeuten, dich anzuhören, dir zuzuhören, dich wahrzunehmen. Also wird viel geschwiegen. Man sitzt sich gegenüber und die fremde Person blickt dich einfach nur an. Sie wartet. Oder erwartet? Du wartest. Und jetzt? Äh, ja. Also… irgendwann fällt das leichter. Worte sprudeln, bevor man sich überhaupt hingesetzt hat. Gehört werden: ein gutes Gefühl. Am Ende dann das fragende Gesicht – war ich gut? War das plausibel? Eine Antwort wird dir nicht geliefert, aber hey, du kannst hier so laut sein, wie du willst. Inhalte sind erst einmal nebensächlich. Erstmal nur reden. Reden. Reden. Reden. Punkt. Dann die Stille. Es ist alles gesagt. Therapie beendet?

Nein. Jetzt folgt die Stille und das Aushalten – der sogenannte „Luxus“. Erst ist es ein unangenehmes Warten. Man schnalzt mit der Zunge oder knetet seine Hände. Irgendwann wagt man ein verlegenes Lächeln. Eine halbe Stunde gegenseitiges Anlächeln. Interessant. Das geht also. Ein andermal wieder funktioniert es wieder nicht so gut. Das Gegenüber hilft dir aber nicht. Es konfrontiert dich still damit. Bis du deine eigenen Inhalte leise beginnst zu reflektieren und wieder vor dich hin starrst. Dann aber beginnt der Therapeut mit dem Reden.

Nur kein Stillstand!

Die Bedeutung von Stille ist vielseitig interpretierbar. Ob man nun Ausgeglichenheit, Ruhe, Gefahr oder Luxus damit verbinden mag, ab und an sollte man wohl einfach mal inne halten. Mund zu. Genau dann, wenn es keiner vermutet. Das ist etwas, was wir alle ab und an brauchen. Gehört zu werden allerdings ebenso. Wir neigen dazu, vermeintlich Unwichtigem zu wenig Beachtung zu schenken. Höher, schneller, weiter und auch lauter! Nur kein Stillstand. Denn in dem Wort steckt sie ebenso – die böse Stille. Yogis sehen darin allerdings wiederum die innere Ruhe und Entspannung. Das Stillwerden des Geistes. Gedanken bündeln und den Frieden zu sich selbst finden. Also vielleicht doch gar nicht mal so übel, die Klappe zu halten. Oder? Also Leute! Alle mal herhören, bitte! Hört mal zu: Und seid doch mal still!

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Bildquelle: Christa Lind unter unter CC0-Lizenz