Alkoholkonsum Gesellschaftskritik Drogen Exzess

Trinkst du noch oder hast du schon ein Problem?

Von Anna Fiedler

Alkohol ist der beste Mann am Tresen. Der Freund in guten und in schlechten Zeiten, der Begleiter, der einem das Gefühl gibt, man könne alles schaffen: „Trust me, you can dance. Vodka“. Mit Alkohol fühlt man sich schöner, sicherer, selbstbewusster. Alkohol macht vieles besser – jedenfalls für den Moment. Aber bis wann ist das flüssige Glück noch Spaß unter Freunden und wo fängt der abhängige Ernst an?

 

Abstürze sind zur Norm geworden

 

Geselliges Trinken macht Spaß, es lockert auf und irgendwie haben alle auch einen witzigeren Abend mit Alkohol als ohne. Deswegen fällt es auch nicht auf, wenn öfter mal über die Stränge geschlagen wird. Wenn Filmrisse nicht nur einmal vorkommen. Wenn Alkohol in Aggression umschlägt. Am nächsten Morgen wird nach dem Kotzen über den witzigen Aussetzer gelacht und man hat sich eben was zu erzählen. Selbst im Büro meines ehemaligen Arbeitgebers standen regelmäßige Trinkgelage an der Tagesordnung. Wer daran nicht teilnahm, der gehörte nicht dazu. War nicht Teil des kollektiven Superabsturzes unter Kollegen. Pflegte keine innigen Kollegenfreundschaften. Die aber jeweils dann auch nur den Abend über hielten.

 

Denn Doreen aus der Buchhaltung würde ja nüchtern niemand auch nur mit dem Arsch angucken. Abstürze sind zur Norm geworden. Wann haben junge Leute entschieden, dass es entschieden cooler ist, sich komplett aus dem Leben zu tackern, nur um am nächsten Tag nichts von der Nacht mehr im Kopf zu haben, anstatt bei ein paar Bier zusammen einen richtig guten Abend zu haben? Das sogenannte Komasaufen scheint die Norm geworden zu sein und dabei gibt es nix Halbes. Dabei gibt es nur Halbe, Mehrzahl, und zehn Tequila, bitte. Wenn Deutsche trinken, dann richtig.

 

„Ups, hab ich wohl dem Nachbarn gestern zwischen die Osterglocken gekotzt“

 

Es geht noch nicht einmal mehr um das Beisammensein an sich. Jeder von uns hat schon einmal gemütlich mit Freunden mehr als einen über den Durst getrunken. Es geht heutzutage mehr um die Menge an flüssigem Glück, die konsumiert wird. Nicht ein Wein reicht heute, um einen tollen Abend zu erleben. Es müssen fünfundzwanzig sein. Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass Alkohol so sehr angesehen ist. Die meisten Menschen sehen Hochprozentiges nicht als Droge an. Jedenfalls würde niemand auf die Idee kommen, Alkohol mit Cannabis zu vergleichen. Oder mit Meth. Das sind schlimme Dinge. Illegal sogar. Aber Alkohol? Stell dich nicht so an! Keinem ist so richtig bewusst, dass Alkohol bereits zur deutschen Volksdroge geworden ist und dass er mehr anrichtet als „Ups, hab ich wohl dem Nachbarn gestern zwischen die Osterglocken gekotzt“.

 

Das Phänomen der alltäglichen Alkohol-Akzeptanz ist besonders gut zu bewundern, wenn sich jemand von der trinkenden Runde ausschließt. Wieso nicht getrunken werde, ob man Medikamente nehme und was für ein Spielverderber man schon wieder sei. Das sind tatsächlich Dinge, die man zu hören bekommt, wenn man nicht trinken möchte. Man ist außergewöhnlich, etwas anders und irgendwie auch komisch. Weil man einfach grade nicht trinken möchte. Man muss sich erklären. Und zwar jedem Anwesenden in der Kneipe. Es wird nicht gefragt, ob man etwas trinken möchte, sondern wieso man nicht trinkt. Natürlich ist nicht jeder, der gerne mal etwas mehr trinkt, ein Alkoholiker. Aber die Lücke zwischen Genuss und Abhängigkeit ist nicht groß. Viele Menschen können gar nicht richtig mit anderen reden, ohne ein paar Bier getrunken zu haben. Andere spüren und versprühen einfach viel mehr Liebe, wenn sie einen Eimer Sex on the Beach intus haben. Wieder andere haben gar nicht erst Spaß, wenn nicht genug Alkohol im Spiel ist. Es wird getrunken, gesoffen, gekippt und gehoben. Und das immer zu viel.

 

Es gibt keinen Absprung, kein Limit, keine Grenze oder mal ein Wasser, damit man nicht gleich hyperventilierend am Boden des Clubs liegt. Es gibt nur „mehr davon“. Das schuldbewusste Gefühl, das einen am nächsten Morgen beschleicht, wenn man mit Pappmaul und zerlaufenem Gesicht aufwacht, gefällt keinem. Genauso wenig gefallen einem die Erinnerungen an die peinlichen SMS, das aggressive Rumgenöle und der Umgang mit dem Taxifahrer, der sogar noch dafür gesorgt hat, dass man zuhause stirbt und nicht auf offener Straße. Wenn man denn Erinnerungen hat. Keiner mag das. Diese Gefühle und Gedanken sind noch unbeliebter als der Bachelor und Peter Altmaier zusammen. Vielleicht ist auch deswegen die Zahl der trinkenden Jugendlichen im Vergleich zu den letzten Jahren etwas gesunken – immerhin. Auch ich habe ein paar Jahre, diverse Schuldgefühle und nicht wenige blaue Flecken gebraucht, um zu merken, dass 15 Bier und 9 Weinschorlen eben nicht die Norm sind und mich auch nicht unbedingt glücklicher oder besser machen. Vielleicht haben aber auch andere mittlerweile eingesehen, dass es viel schöner ist, leicht beschwipst und Arm in Arm der Nacht entgegen zu tanzen, als sich das nur in seinem komatösen, fahnenschwangeren Sufftraum auszumahlen. Schließlich macht es auch ohne mal Spaß. Nicht immer. Aber ganz schön oft.

 

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Bildquelle: John St. Louis unter cc by 2.0