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Back to the 80ies: Wie der Unirahmenvertrag uns das Lernen versauen könnte

Die Retro-Liebe der Generation Y kennt bekanntlich keine Grenzen. Wir lieben es einfach, in unsere Mom-Jeans auf einem Mid-Century-Sessel zu sitzen und Polaroidkamerafotos von unserer Altbauwohnung zu machen. Ab dem 1.1.2017 können wir das vielleicht auch in der Uni ausleben! Die Pflichtlektüre am Laptop herunterzuladen, wird von da an nämlich so was von 2016 sein. Stattdessen haben wir die Möglichkeit, mal wieder hinter dem Bildschirm hervorzugucken und am Kopierer Gespräche mit unseren Kommilitonen zu führen. Dafür werden wir dann nämlich sehr viel Zeit haben – dank der VG Wort.

 

Ein leeres Dateidepot?

 

Die hat sich mit der Kultusministerkonferenz über einen neuen Rahmenvertrag verständigt, berichtet die Landes-ASten-Konferenz Niedersachsen. Um die Urheberrechte der einzelnen Autoren zu stärken, soll ab kommendem Jahr jeder Text einzeln abgerechnet werden und nicht wie bisher in einer Pauschale. Was das in der Praxis bedeutet, testete die Universität Osnabrück im Wintersemester 2014/15 bei einem Pilotversuch. Das Ergebnis: “62% der Studierenden gaben bei der abschließenden Befragung an, dass sie einen höheren oder sehr viel höheren Aufwand bei der Literaturbeschaffung betreiben mussten, weil die Texte nicht mehr in gewohnter Weise von den Dozierenden zur Verfügung gestellt werden konnten – dem Unirahmenvertrag sei Dank. Tatsächlich wurde nur knapp ein Viertel der bisherigen Texte hochgeladen”, berichtet Philipp Neubarth, AStA-Referent der Uni Osnabrück in der Stellungnahme. Viele Hochschulen überlegen, den Vertrag zu boykottieren. Die Konsequenzen seien jedoch die gleichen – ob man dem Vertrag beitrete oder nicht, wie Claudia Riemer, Prorektorin für Lehre an der Universität Bielefeld gegenüber Deutschlandfunk sagte.

 

Mehr Aufwand – für alle

 

Was jetzt auf uns zukommt ist Aufwand – und zwar für alle. Die Lehrenden müssen jeden Text bei der VG Wort einzeln anmelden, was Zeit kostet und nicht bezahlt wird. Ist der Text so geschützt, dass er nicht online verfügbar ist, was sehr häufig der Fall sein wird, müssen sie damit rechnen, dass viel weniger Studierende vorbereitet zum Seminar erscheinen werden. Die streiten sich nämlich gerade mit 30 anderen Seminarteilnehmern um ein einziges Buch im Seminarapparat. Danach geht’s zum Kopierer. Bis man dran ist, dauert es eine Weile. Die Anzahl an Kopierern ist nämlich sehr begrenzt, hat bis jetzt jede Hochschule mit einem einfachen Online-System gearbeitet. Die Kosten tragen die Studis natürlich selbst. Wollen sie die sparen und stattdessen nur einscannen, kommen sie um den zeitlichen Aufwand trotzdem nicht drum rum. Die Universitätsverwaltungen erwartet außerdem ein hoher finanzieller Aufwand. Das Ergebnis für die Wissenschaftler, deren Urheberrechte geschützt werden sollen, ist einzig und allein, dass ihre Arbeiten viel weniger gelesen werden. Das ist für einen Forscher sicherlich kein Mehrwert.

 

Wem fehlt hier eigentlich der Realitätsbezug?

 

Die VG Wort sieht das anders. Geschäftsführer Rainer Just meint gegenüber Deutschlandfunk: „Vielleicht ist es ja auch so, dass das jetzt eine erste Reaktion ist und manche Menschen denken nach dieser ersten Reaktion dann auch noch drüber nach. Man sagt ja immer so schön: Am nächsten Tag schaut‘s ein bisschen anders aus. Vielleicht kehrt da noch etwas mehr Realitätsbezug ein.“ Der Realitätsbezug fehlt jedoch ganz woanders: bei dieser Regelung nämlich. Habt euch nicht so, früher hat’s ja auch geklappt, könnte man jetzt sagen. Klar, da war nämlich das Studium auch darauf ausgerichtet. Vor Bologna war ein Vollzeitstudium auf 20 Wochenstunden ausgelegt – heute sind es 40. Ich selbst lese pro Woche rund 100 Seiten Text. Für jedes Seminar einen Text, von einem anderen Autor, aus einem anderen Buch. Hier reicht es also nicht mehr, sich pro Semester ein paar Grundlagenwerke zu kaufen, sondern ich müsste allein für ein Seminar zehn Bücher kaufen. Da mein Name leider nicht Justus ist, bleibt mir nur übrig, zu hoffen, dass die Ausgabe im Seminarapparat gerade vorrätig ist und am Kopierer die Schlange nicht allzu lang ist. Was bei circa 10 Kopierern auf 8000 Studierende nicht unbedingt zu erwarten ist.

Bis dahin bleibt nur noch zu sagen: ladet alle Texte runter, die ihr finden könnt und vor allem: Empört euch!

 

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Bildquelle: Davide Cantelli via Unsplash cc0 Lizenz u