Beziehung Macht der Gewohnheit

Warum manche Paare nicht voneinander loskommen

In einer Beziehung sitzt man immer gemeinsam in einem Boot. Zumindest in einer funktionierenden. Steigt einer aus, kentert das ganze Ding – rette sich, wer kann! Was aber, wenn einer raus will, eventuell sogar beide, es aber keiner schafft? Dann dümpelt das Bötchen erst mal lange vor sich hin und steuert irgendwann munter auf den erstbesten Eisberg zu. Verletzte inklusive.

 

Die postpubertären Beziehungen

 

Wenn man Mitte 20 ist, dann kennt man einige Paare, die schon seit der Schulzeit zusammen sind. Das sind meist die, die nach außen hin das perfekte Paar darstellen: sie sind seit Jahren in einer Beziehung und das während einer Zeit, in der sich doch eigentlich jeder ausprobiert und seine Grenzen austestet. Daher bin ich immer vorsichtig mit meinen Aussagen, wenn es mal wieder heißt: „Schau mal, die Melanie und der Stefan sind schon seit neun Jahren ein Paar! Die sind damals auf dem Schützenfest zusammengekommen, als die Melanie gerade 15 geworden ist. Die hatten hinterm Zelt geknutscht. Wer hätte gedacht, dass das so lange halten würde!?“

Ja, wer hätte das gedacht. Wer kann sich als Außenstehender so sicher sein, dass die mittlerweile noch zusammen sind, weil sie sich lieben, oder nicht vielleicht das Bett deswegen teilen, weil sie es nicht anders kennen? Weil sie nicht mal wirklich wissen, wie es ist, alleine zu sein? Viele leben einfach so vor sich hin und nebeneinander her. Erschreckend, dass es diese Form der Beziehung nicht nur in eingerosteten Ehen gibt, sondern auch bei Mittzwanzigern. Paare in allen Altersstadien, die partout nicht voneinander loskommen, obwohl es mehr als offensichtlich ist, dass zumindest einer schon lange das weiße Tuch im Wind flattern lässt. Warum, um Himmels Willen, trennt sich dann keiner?

 

Was sagen die Experten?

 

„Die Gründe können sein, dass man sich nicht eingestehen kann, dass die Beziehung gescheitert ist.“ Das sagt zumindest Eheberaterin Sonnenholzer. „Dann ist er oder sie der Meinung, man müsse es nochmal versuchen, damit alles wieder gut wird.“
Solch ein Verhalten kann man immer wieder beobachten. Wenn zwei Menschen in ihrer Jugend zusammengekommen sind, dann haben sie wichtige Abschnitte ihres Lebens gemeinsam erlebt und durchgestanden. Das kann eine Scheidung der Eltern sein, der Tod der Großmutter, Schulabschluss und beginnendes Studium… Lebensabschnitte, die prägen. Diese gemeinsam durchlebte Zeit verbindet enorm.

Was passiert, wenn man sich dann auf einmal trennt? Ich habe eine Freundin, die mit 15 Jahren mit ihrem damaligen besten Freund zusammengekommen ist. Nach der Trennung wusste sie überhaupt nicht mehr, wie es ist, alleine zu schlafen, Entscheidungen nur für sich zu treffen oder – ganz banal gesagt – auszugehen und mal derbe zu flirten. Sie tat das Einzige, was ihr persönlich wieder auf die Beine half: Sie packte ihre sieben Sachen, zog nach abgeschlossener Diplomarbeit in eine andere Stadt und begann von vorne. Ziemlich mutig, das kann nicht jeder.

 

Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte

 

Mal abgesehen von diesen postpubertären Beziehungen, gibt es auch noch das typische Streitpärchen, von denen fast jeder eines im Freundeskreis hat. Die beiden, die irgendwie von Anfang an nicht zusammenpassten. Oder, falls sie sich früher mal gut verstanden, sich irgendwann auseinander gelebt haben. Die streiten, und zwar überall, gerne mit Publikum, und dann wird’s peinlich. Fremdscham pur, man findet sich selbst mittendrin im Zoff und fragt sich, warum sich diese Paar das eigentlich täglich antut. Beziehungen, die von Hassliebe zerfressen sind – wo bleibt dann bitte Raum für ein Kompliment, eine nette Geste, ein Lächeln?

Manche Stimmen behaupten, dass solche Partnerschaften davon profitieren, dass sie sich nach ihrem Streit genauso lautstark und – äh… feurig? – wieder versöhnen. Andere Stimmen sagen, das sei ein urbaner Mythos. Und ehrlich gesagt sind es doch wirklich zwei paar Schuhe, ob man sich ab und an in die Haare bekommt und das dann durch wilden Sex kompensiert, oder ob man von morgens bis abends streitet. Da gehen bei jedem die Lichter aus, wer hat denn bitte dann noch Bock auf das 1mal1 des Kamasutra?

Sollte einer von beiden dann doch die Reißleine ziehen wollen, freut sich meist schon ein Dritter. Die Eheberaterin meint dazu nämlich, dass bei so einem Fall die Gefahr des Fremdgehens groß sei.
Klar, beide merken, dass etwas nicht stimmt, aber nur einer nimmt die Sache in die Hand – und schläft mit dem oder der Nächsten. Über 50 Prozent aller Männer und Frauen sind schon fremd gegangen, wenn die Beziehung zu wünschen übrig gelassen hat. Wenigstens ist der Prozentsatz auf beiden Seiten gleich. Damit sitzen wir mit diesem Problem wiedermal in einem Boot.

 

Der fehlende Mut

 

Warum ist es so schwer, jemandem, mit dem es offensichtlich keinen Sinn mehr macht, zu verlassen? Sind wir zu feige? Ist es der Druck von außen, beispielsweise den Eltern, weil sie den Partner vergöttern? Trauen wir uns erst zu gehen, wenn wir sicher vom einen ins andere Nest springen können? „Viele glauben, mit einem neuen Partner ist die Trennung leichter zu vollziehen. Manche haben schlichtweg Angst vor dem Alleinsein“, meint Sonnenholzer. Das hieße dann also, dass sich die meisten erst trennen, wenn der neue Partner schon in den Startlöchern steht. Aus der Befürchtung heraus, zu lange alleine zu sein.
Tja, die Gesellschaft redet uns leider immer wieder ein, wie unsexy es ist, ab einem gewissen Alter noch Single zu sein. Oder wieder. Wir wissen alle, dass der Prozess einer glücklichen Beziehung, einem Heiratsantrag und ein bis zwei Kindern, einige Jahre in Anspruch nimmt – falls man das denn will.

Wenn man sich nach Adam Riese das nun durchrechnet, kann man ganz gut nachvollziehen, warum manche Pärchen bis zum bitteren Ende zusammenbleiben. Oder ein Kind bekommen, das als Puffer zwischen zwei Menschen fungiert, die sich eigentlich nichts mehr zu sagen haben.

Viele Stimmen mögen jetzt behaupten, dass man um eine Beziehung kämpfen müsse und nicht bei der ersten Krise weglaufen solle. Das ist jedoch etwas vollkommen anderes und man muss beide Fälle klar trennen. Natürlich gibt es auch in funktionierenden Partnerschaften oder Ehen Durststrecken, die überwunden werden können. Kein Wunder, dass Beratungsstellen boomen wie nie. Trotzdem wird auch dort vorerst gemeinsam geprüft, ob eine Beziehung überhaupt noch Sinn ergibt. Denn der Übergang von einer schwierigen Zeit in ein verkrampftes Klammern und Festhalten passiert schleichend und oftmals unbewusst. Ein sauberer Schnitt und das Eingeständnis, dass die Beziehung in einer Einbahnstraße angekommen ist, sind schwierig. Eine Trennung seitens des Partners zu akzeptieren, ist noch viel schwieriger.

Dann lieber gemeinsam auf der Couch gammeln, die ist ja meist groß genug, sodass jeder seine Ecke für sich haben kann.

Bildquelle: Don de Bold unter cc-by-sa-2.0

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