Individualität Mit Dem Strom Schwimmen

Warum wir alle mal mit dem Strom schwimmen dürfen

Mainstream“, „Die breite Masse“ oder „Durchschnitt“ sind Worte, mit denen man die Generation-Y heute jagen kann. Wir wollen einzigartig sein, wollen uns vom Rest der Gesellschaft abheben und auf keinen Fall jeden Scheiß mitmachen, der gerade so angesagt ist. Wir sind alle „perfekt unperfekt“ und stolz darauf. So zu sein wie jemand anderes, ist die schlimmste Beleidigung, die man uns an den Kopf werfen könnte. Wir wollen Individualität in unserem Arbeits- und Privatleben, Bürojobs von neun bis fünf und monogame Langzeitbeziehungen werden infrage gestellt. Individualität in unserem Aussehen, unseren Ansichten und Erfahrungen.

 

Das Märchen von der Individualität

Wir wollen die Ersten und Einzigen sein, die coole Sachen machen und Erfahrungen sammeln. Asien-Reisen finden wir schon gar nicht mehr interessant, weil mittlerweile jeder schon da war. Den neuen In-Club findet man von vorneherein schon grauenhaft, Musik aus den Charts muss naturgemäß schon scheiße sein und diese neuen Sneakers findet man zwar eigentlich ganz cool, aber die hat ja auch schon jeder jetzt. BWL studieren? Bloß nicht! Dann doch lieber Ägyptologie und Koptologie, das hört sich nach einem Studiengang an, der unseren Individualismus unterstreicht.

Chia-Samen und Quinoa? Hört sich individuell an, ab in die upgecycelten Einmachgläser damit! Wer sich abends mit Freunden zum Essen gehen verabreden will, reserviert natürlich nicht etwa im Sausalitos oder gar Hans im Glück – etwas individuelleres muss her. Etwas Veganes – Bio ist Mainstream – Unrenoviertes, irgendwas mit alten Holzkisten und Tischen aus regionaler Eiche. Bevor man sich versieht, ist man zum Hipster mutiert. Das ist die Krux mit unserer so verzweifelt angestrebten Individualität. Sie ist mittlerweile zum Mainstream geworden. Aber ist es wirklich so schlimm, den gleichen Geschmack zu haben, wie der Großteil der Gesellschaft? Wieso definieren wir uns eigentlich in der Abgrenzung zu anderen?

 

Trends als Orientierungspunkte

Was früher Inspiration war, ist heute verpönt. Sich Trends zu unterwerfen, ist strengstens untersagt, aus der Masse herausstechen, darauf kommt es an! Wenn der Freund den Trip nach Vietnam vor uns gebucht hat oder die Freundin die neuen Air-Max-Latschen schon an den Füßen hat, wenn unsere Zalando-Bestellung noch in den Händen des DHL-Mannes liegt, haben wir meistens schon gar keine Lust mehr aus Südostasien oder Turnschuhe. Wobei du für die Schuhe sowieso von irgendeinem Hip-Hop-Veteran verurteilt wirst, der die Schuhe schon zu Samy Deluxes besten Zeiten hatte, als sie noch nicht Mainstream waren. Und für die Vietnamreise von einem Möchtegern-Hippie, der von Zeiten schwärmt, in denen Vietnam noch nicht dem Massentourismus verfallen ist. Macht es uns irgendwie besser oder wertvoller, wenn wir nur das sagen, tragen oder tun, was uns einzigartig macht?

Wir haben Tausende Möglichkeiten und Optionen, aus denen wir uns unser Leben zusammenschustern können. Durch die Flut an Social Media-Kanälen sind wir einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt. Ist es nicht normal und auch notwendig, sich da irgendwelche Orientierungspunkte suchen zu müssen? Wie viel anstrengender ist das Leben, wenn man sein Leben danach ausrichtet, bloß nicht wie jemand anders zu sein?

 

Von Vorbildern und Gleichschaltung

„Wenn Leute machen können, was ihnen gefällt, ahmen sie einander nach“, wird der Philosoph Eric Hoffer im Tagesspiegel zitiert. Jeder Einzelne von uns hat sich schon an Vorbildern oder Menschen, die man toll findet, orientiert. In unserer Kindheit waren es Pippi Langstrumpf oder David Beckham, in unserer Jugend waren es Schauspieler oder Sänger und heute übernehmen diese Funktion eben die sozialen Medien, durch die jeder ein Außmaß an Aufmerksamkeit erreichen kann, das früher nur Britney und Madonna vergönnt war. Sobald wir die 20er-Schwelle überschritten haben, scheinen Vorbilder per se aber irgendwie mit unserem Individualitätsstreben zu kollidieren.

„Trends geben uns vor, was wir zu tragen, zu sagen und zu lesen haben“ „Trends sorgen für eine Gleichschaltung unserer Gesellschaft“, sind beliebte Sprüche der Über-Individualisten. Aber stimmt das wirklich? Natürlich beeinflussen uns Trends, aber können wir nicht letztendlich selbst entscheiden, welchem wir uns anschließen und welcher einfach nur Bullshit ist? Was ist so falsch daran, sich Instagram Bilder von Reise-, Mode- oder Foodbloggern anzuschauen und die dann für sich selbst zu übernehmen? Muss man automatisch alles scheiße finden, was gerade „im Trend“ ist?

Eine Freundin meinte letztens zu mir, sie wäre ein Hipster und zwar gerne. Es ging zwar nur um Schuhe, aber eigentlich steckt hinter einer solchen Aussage doch viel mehr. Zugeben können, dass man mit dem Strom schwimmt und dazu stehen. Wir alle schauen uns irgendetwas von anderen ab, bewusst oder unbewusst. Wieso dann nicht auch dazu stehen? Ja, es ist uns wichtig, wie und was andere von uns denken. Frauen schminken sich nicht nur um sich selbst zu gefallen und Männer gehen nicht ins Fitnessstudio um sich das Sixpack nur im Spiegel anzuschauen. Natürlich braucht eine Gesellschaft auch Querdenker, aber wer es als Hyper-Individualist verzweifelt darauf anlegt, ist sowieso keiner.

 

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Titelbild: Lilit Matevosyan unter CC BY-ND 2.0;