Wieso das Ende von „Sanft & Sorgfältig“ zum Heulen ist

Von Daniel Lukas

Als sich Mitte der Neunzigerjahre Take That auflösten, gab es eine Hotline, bei der die verzweifelten Teenie-Fans anrufen konnten, um seelischen Beistand zu erhalten. So etwas hätte ich an diesem schwarzen Montagnachmittag auch gerne gehabt: Olli Schulz hat gestern über Facebook das Ende von „Sanft & Sorgfältig“ verkündet.

 

Viele Nachrufe auf berühmte und mal mehr, mal weniger verehrte Personen mussten wir dieses Jahr schon lesen. Und das Ende dieser Radiosendung fühlt sich ein bisschen so an, als ob ein weiteres Idol verstorben wäre. Man kennt sich zwar nicht persönlich, doch sie sind einem in den letzten dreieinhalb Jahren irgendwie ans Herz gewachsen. Bestimmt wird man Olli Schulz und Jan Böhmermann auch in Zukunft mal wieder zusammen erleben dürfen, sei es im Fernsehen oder anderswo, aber die spezielle Intimität dieser kleinen, erst spät gehypten Show, wird schwer wiederzubeleben sein.

 

Nach der Staatsaffäre

 

In den letzten Monaten haben die beiden schon häufiger auf ein Ende der Sendung angespielt. Die Staatsaffäre um Böhmermanns Erdogan-Satire war sicherlich nicht der Grund – aber vielleicht doch ein Anlass für das spontane Ende von „Sanft und Sorgfältig“. Bislang kann man jedoch nur spekulieren. Als Hörer hat man sich in den letzten Wochen häufig ausgemalt, wie die erste Folge nach der Post-Skandal-Medienpause wohl aussehen könnte. Würde Olli dann Jan zu den Geschehnissen ausfragen? Und dürfte der sich überhaupt äußern? Gut möglich, dass sein Anwalt ihm dringend davon abgeraten hat. Wir werden es leider nicht mehr erfahren. Es wäre durchaus interessant gewesen zu hören, wie eine solch kleine merkwürdige Show „von Außenseitern für Außenseiter“ sich nun gestalten würde, da einer der Protagonisten nun zu einer wahrscheinlich hundertprozentigen Bekanntheit in der Bevölkerung stilisiert worden ist. Kann Böhmermann eine so launische und spontane Sendung überhaupt noch machen, oder wird dann jedes Wort am nächsten Tag in der BILD auseinandergenommen? Ist das der Preis dafür, wenn man aus Versehen doch ein klein wenig berühmter geworden ist, als man vorhatte?

 

Insiderwitze, Provokationen und Nonsens

 

Als ich vor über zwei Jahren nach Berlin zog, und mich in einer leeren Wohnung um allerlei Bürokratiekram und Einrichtungsgemurks kümmern musste, leisteten mir diese beiden merkwürdigen Herren im Radiopodcast stundenlang Gesellschaft und sorgten für schallende Lachanfälle. Dank „Sanft und Sorgfältig“ weiß ich, dass man Schlumpf nicht tätowieren kann, kenne die Anmeldefristen der VG Wort und kann auf mehrere Arten Grünkohl zubereiten. Ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt seinem Bildungsauftrag auch nach, wenn er scheinbar reinen Quatsch produziert.

Wie viele gute Kunst hat diese Sendung die Gemüter gespalten. Gelegentliche Provokationen über und unter der Gürtellinie trafen nicht unbedingt immer den Geschmack der großen Masse – Kleintiere wie Meerschweinchen oder Igel würde man jetzt eher ungern in die Obhut von Olli Schulz geben. Infantil und albern, schimpften ihre Kritiker. Dabei war die Sendung, vor allem noch zu Zeiten der Live-Ausstrahlung auf Radioeins, gerade dann am genialsten, wenn sie ins Absurde driftete. Da wäre zum Beispiel ein über fünfminütiges Telefongespräch mit dem polnischen Hörer Marek, bei dem über eine Süßigkeit mit dem skurrilen Namen „Muh Muh-Riegel“ gefachsimpelt wurde. Der resolute Marek erfreute sich so großer Beliebtheit, dass Olli und Jan bei der damals noch als Call-in-Show konzipierten Sendung ihren Lieblingshörer zukünftig einfach selbst anriefen.

Erfahrungsgemäß trifft Nonsens nicht unbedingt den humoristischen Nerv der Durchschnittsdeutschen. Manch einer mag sich auch an den immer wiederkehrenden Insiderwitzen gestört haben. Fans hingegen lieben die Show trotz ihrer – oder gerade für die endlosen Wiederholungen, wie den legendären Mario Basler-Einspieler oder die häufig in abgewandelter Form wiederkehrenden Anekdoten, wie Olli Schulz‘ Geschichte über seinen Großvater, der angeblich auf dem Hamburger Fischmarkt „Pearl Herbert“ genannt wurde: Schulz und Böhmermann spinnen selbst Seemannsgarn der allerbesten Sorte.

 

Fiktive Authentizität

 

Mehr Telefongespräch zwischen Freunden als gescriptete Talkshow, erreichte das Format dank der Selbstreferentialität der Moderatoren zuweilen fast therapeutische Ausmaße. Sympathie entwickelte man für die beiden vor allem aufgrund ihrer scheinbaren Privatheit. Es entstand eine einzigartige Authentizität trotz, oder gerade wegen, all der erlogenen Fakten zu den Biografien der Protagonisten. Hat Jan Böhmermann wirklich einmal von Aruba aus gesendet? Hat er diverse Exfrauen und sitzt in seiner Freizeit überwiegend vor einem Flugsimulator? Vermutlich nicht. Aber vielleicht hat er ja tatsächlich als Jugendlicher auf dem Markt in Bremen-Nord Lebendgeflügel verkauft – wer weiß das schon? So war es gerade diese Ambivalenz zwischen Lüge und Wahrheit, die es Olli und Jan erlaubte, im Radio als Privatpersonen aufzutreten und ihrem Reden freien Lauf zu lassen. Als Hörer erster Stunde hat man seit dem Übergang zum aufgezeichneten Sendeformat mit mehreren Rundfunkanstalten das spezifische Lokalkolorit zuweilen vermisst. Dank „Sanft und Sorgfältig“ kenne ich jetzt sämtliche Funktionäre und Sprecher von Radioeins mit Namen und habe eine ungefähre Ahnung von der Haschqualität in der Berliner Hasenheide.

Aber auch in den späteren Sendungen gab es Highlights. Die gelegentliche Einladung von Talkgästen hat zwar nicht immer zur Verbesserung der Sendung beigetragen, positiv zu erwähnen ist jedoch die Folge aus Amerika mit Bjarne Mädel. Als Aufhänger diente Olli Schulz‘ Aufenthalt in Malibu, wo er seine Sexsucht therapieren lassen wollte – noch so ein großartiger Schwachsinn. Neo Magazin Royale hat ohne Frage großes Potenzial, man denke nur an „Varoufake“ oder die letzte Sendung mit Anne Will. Und auch Olli Schulz ist, gerade abseits seiner Musikerkarriere, ein wunderbarer Entertainer.

Doch erst zusammen, in der vermeintlichen Abgeschiedenheit einer Sonntagnachmittagssendung im Regionalradio, laufen die beiden zur Höchstform auf. Jan Böhmermanns ambitioniertes komödiantisches Kalkül findet einen würdigen Gegenpart in Olli Schulz‘ gelassener, doch zuweilen ins Absurde eskalierenden Spontaneität. Zusammen ersonnen sie irrwitzige Parallelwelten; über mehrere Folgen hinweg entwickelten sie ihr Konzept der „Stay Stupid Academy“, der Gegenentwurf zum frühkindlichen Förderungswahn der Prenzlberg-Eliten. Nebenbei knabberten sie sich durch das komplette Supermarktangebot an Chips und Süßigkeiten, während Jan Böhmermann in der Sendung Ablage und Steuererklärung erledigte. Nun gibt es also Gerüchte um die Fortführung von „Sanft und Sorgfältig“ auf Spotify. Doch es bleibt abzuwarten, ob die Sendung dort in ihrer alten Form fortbestehen kann oder in welche Richtung sie sich entwickeln könnte. Eins ist klar: Dieses Traumpaar hinterlässt eine große Lücke in der öffentlichrechtlichen Radiolandschaft. Und das Fan-Herz, oder besser gesagt, die Fan-Füße bluten.

 

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

 

Bildquelle: Schulz und Böhmermann/ Youtube