Generation Beziehungsunfähig: Schluss mit den Egotrips!

Der Autor Michael Nast wird für sein neues Buch „Generation Beziehungsunfähig“ in den Hipster-Himmel gehypt. Die urbanen Singles lauschen seinen Worten in ausverkauften Lesungen, sein Buch muss noch vor Veröffentlichung nachgedruckt werden und seinen Blog-Post mit demselben Titel lasen Millionen. Nast scheint den Menschen aus der Seele zu sprechen – besonders jungen Frauen. Bei einer Lesung in München entdeckt man nur vereinzelt männliche Gäste. Die offensichtlich sehr weibliche Selbstdiagnose „beziehungsunfähig“ wird durch einen Medienhype zum Lebensgefühl der ganzen Generation-Y hochgelobt. Aber ist nicht die eigentliche Frage, warum seine Idee so übertrieben abgekultet wird? Ist man up to date, wenn man unfähig ist, zu lieben? Und wenn ja: was zur Hölle soll das?

 

Selbstverliebtheit lässt keinen Platz für einen Partner

 

Die Grundidee von Michael Nast ist absolut nachvollziehbar: Unser Alltag ist bestimmt von ständiger Selbstoptimierung. Höher, weiter, schneller – wer pennt, verliert. Unser Beruf ist nicht dazu da, um damit Geld zu verdienen, sondern er muss Berufung, Leidenschaft, Erfüllung sein. Unser sexy Body wird mit Freeletics und Detox-Shakes zur ultimativen Hotness getrimmt. Und auf unseren zahlreichen Social Media-Profilen gibt es so und so nur Fotos, auf denen wir verdammt geil aussehen, mit verdammt coolen Leuten abhängen und dabei verdammt hart Party machen. Der Autor sagt bei seiner Lesung: „Wir streben nach Perfektion durch den Drang nach Selbstoptimierung“. Und diese perfektionierte Selbstdarstellung lässt uns offensichtlich glauben, dass wir wirklich diese heißen Feger sind, die wir versuchen darzustellen. In dieser Ego-Show hat ein Partner keinen Platz. Vor allem keiner, der nicht ebenso makellos ist wie man selbst. So die Theorie.

 

Komm kuscheln mit Beziehungsunfähigen

 

Seine Erklärung wird fleißig beklatscht. Die Damen im Publikum fühlen sich offenbar verstanden, vielleicht ein bisschen in die starken Autoren-Arme genommen. Wenn es eben allen so geht, dann ist die eigene Unfähigkeit halb so schlimm: ein Wir-Gefühl wird in den Raum geseufzt. Und Nast schreibt maßgeschneidert für dieses Kollektiv: ein bisschen Berlin, ein bisschen Shopping, ein bisschen One-Night-Stand. Er gibt auf der Bühne den frechen Typen von nebenan, witzelt über Barabende mit gescheiterten Anmachversuchen. Unterhaltsam, nett, aber auch tausendfach gehörte Mann-Frau-Klischee-Witze. Aber das stört niemanden im Saal. Genauso wenig wie die Tatsache, dass der Autor „unserer“ Generation 41 Jahre alt ist. Die Ladys sind amüsiert und es scheint fast so, als ob das Groupie-Gefühl der Teenagerjahre wieder in ihnen aufsteigt. Der blonde Autor mit dem netten Lächeln verzückt, obwohl – oder gerade weil – er die einsamen Herzchen so gut versteht. Was früher die Backstreet-Boys waren, ist heute Nast: „Show me the meaning of being lonely.“

 

Nackte Zahlen und Nast

 

Also erklärt der Autor den Singles dieser Welt, warum sie einsam und alleine durchs Leben stapfen: Ego-Show und Selbstverwirklichung, ihr erinnert euch. Nun muss man Nast zugestehen, dass er ein Autor ist, kein Philosoph. Er muss in seinen Texten keine sozialkritische Grundsatzdiskussion führen. Er darf ein nettes, kurzweiliges Buch schreiben und Schluss. Aber wer „GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG“ in Großbuchstaben auf sein Cover schreibt, den wird man fragen dürfen: und nu?

Dabei gäbe es Antworten von Experten die dieses Thema wissenschaftlich, ganz uncatchy, analysieren. Aber mit unsexy Fakten füllt man eben keine Hallen und bringt keine Twentysomethings zum Erröten. Die Psychologin Stefanie Stahl erklärt im Interview mit jetzt.de, dass wir keineswegs eine Generation der einsamen Herzen sind – im Gegenteil! Stahl ist sogar der Meinung, dass wir verhältnismäßig spießig sind: „Weil Bindungen in einer unsicheren Welt vielleicht wichtiger geworden sind“. Ihrer Meinung nach haben 30-40 Prozent der Menschen einen „unsicheren Bindungstil“. Diese Zahl ist generationenübergreifend konstant. Wir sind also nicht mehr oder weniger verkorkst als Generation A, B, C. Eine groß angelegte forsa-Studie zeigt außerdem, dass die 18-35-jährigen Deutschen am liebsten in einer Beziehung sind, von Kindern und Haus mit Garten träumen. 81% der jungen Singles sind nicht freiwillig allein. Von einer Generation Beziehungsunfähig kann also eindeutig nicht die Rede sein – auch wenn es so wundervoll plakativ klingt.

 

Bitte mutig lieben

 

Wenn wir also alle total normal sind: warum ist Beziehungsunfähigkeit dann so populär? Wahrscheinlich, weil es eine wunderbar bequeme Ausrede ist. Wer denkt er wäre nicht fähig zu lieben, muss es auch nicht ausprobieren. Der muss nicht riskieren, abgewiesen zu werden und auch nicht kämpfen, wenn es mit dem Partner nicht so rosig läuft. Ein einfaches: „Sorry, ich kann nicht – Ich bin leider beziehungsunfähig“ reicht aus, um sich aus dem Staub zu machen. Aber „forever alone“ ist keine Dauerlösung. Psychologin Stefanie Stahl ist der Meinung: „Wir haben ein existenzielles Grundbedürfnis nach Liebe und Bindung. Ohne sterben wir.“ Darum brauchen wir nur mehr Arsch in der Hose! Keine Ausreden mehr, sondern ran an den Speck! Im wahrsten Sinne des Wortes, denn natürlich sind da draußen Mädels und Jungs mit Makeln. Aber diese sind liebenswert. Keiner führt wirklich das weichgezeichnete Instagram-Leben, das er präsentiert. Aber deshalb ist wahrscheinlich auch keiner ein so selbstverliebter Egoist wie ihn Nast beschreibt. Also Schluss mit überspitzen Klischees. Liebt euch – auch mit Tomatensoßefleck auf dem T-Shirt.

 

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Bildquelle: Rocksana Rocksana unter CC01.0