„Ich bin doch nur ein besorgter Bürger!“

Von Lotte Martin Yuste

Hamburg-Farmsen. 364 Flüchtlinge. 400 sollen folgen. In leer stehende Appartments im Berufsförderungswerk einziehen. Ein Aufschrei geht durch Farmsen. „Der Anwohner-Protest gegen die große Ballung an einem Standort ist berechtigt, aber wir möchten natürlich nicht Rechtsradikalen zuarbeiten“, so der Bürgervereinsvorsitzende Hans-Otto Schurwanz.

Berlin Marzahn-Hellersdorf. Zum dritten Mal in Folge ruft die „Bürgerbewegung Marzahn“ zur Montagsdemo auf. Auch in Köpenick gehen etwa 500 Leute auf die Straße und versammeln sich, um gegen die im Bezirk geplante Flüchtlingsunterkunft zu protestieren. „Mehrere hundert Anwohnerinnen und Anwohner des Allendeviertels setzten heute ein friedliches Zeichen gegen das geplante Asylcontainerdorf im Kiez.“ Das schreibt die Bürgerinitiative auf ihrer Facebook-Seite.

 

Das innere Nazi-Schwein und die rechte Ecke

 

Am 26.10.2014 versammelten sich in Köln „Hooligans gegen Salafisten“. Gewalt, Hassparolen und ein umgeworfenes Polizei-Auto. „Salafisten“ – wohl bloß ein plumpes Synonym für Ausländer. „Gegen Salafisten“ hieß nicht nur, gegen Fanatismus und Gewalt gegenüber Andersdenkenden zu protestieren. Das beweisen Parolen wie „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ „Gegen Salafisten“ ist vielmehr gleichzusetzen mit „gegen Ausländer“, „gegen Toleranz“ und „gegen Andersdenkende“.

Vor dieser Gewaltbereitschaft schrecken viele Deutsche zurück. Und gehen doch gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften auf die Straße. Es ist kein neues, aber ein immer extremer werdendes Phänomen in Deutschland. Die Anzahl „besorgter Bürger“, der „Wutbürger“ wächst proportional zur Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Immer mehr Menschen, deren Wahlverhalten prinzipiell keinen Rechtsdrall aufweist, äußern sich argwöhnisch über Flüchtlinge. Gründen Bürgerinitiativen. Man erkennt sie lediglich an Sätzen wie „Ich hab ja wirklich nichts gegen Ausländer, aber..“ und „Man wird ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen, ohne gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden.“ Keine Bomberjacken. Keine Glatzen.

Was ist die Ursache für diese Entwicklung? Liegt es an einem inneren Nazi-Schweinehund, den wir Deutschen gut versteckt in uns tragen? Sind wir Deutschen schlichtweg empathielose Egozentriker, denen das Schicksal anderer scheißegal ist? Oder sind wir einfach nur strunzdoof? Vermutlich ein bisschen was von allem.

 

Hassparolen im feinen Kreis

 

Was das Ganze so bedenklich macht, ist, dass die dämlichsten und haltlosesten Argumente und Parolen scheinbar immer salonfähiger werden und sich so immer weiter, ohne groß Aufsehen zu erregen, in unsere Gesellschaft einschleichen. Das beweist allein die Tatsache, dass die AfD immer mehr Zustimmung bekommt. Rassistisches, nationalistisches Gedankengut. Gekleidet in Hemd, Jackett und feinen Lederschuhen.

Gekleidet in scheindiplomatische Aussagen, die implizieren, dass man ja prinzipiell nicht „rechts“ ist, und diese Ausländer ja auch wirklich gerne überall unterkommen können, nur vielleicht nicht gerade bei uns. Denn dann sinken ja die Immobilienpreise im Stadtteil und die Kriminalität steigt und all so was. Auch gerne werden die Kinder als Argument vorgeschoben. Die können ja nicht mehr auf den Spielplatz, wenn irgendwo Flüchtlinge in der Nähe sind. Das hat ja nichts mit Vorurteilen oder Rassismus zu tun. Nee, klar.

Irgendwo aufs Land können die Flüchtlinge gerne. In die Berge. Weit weg. Man ist ja kein Unmensch. Dann kann man sich auch später noch viiiiel besser drüber aufregen, wenn das mit der Integration nicht geklappt hat. Ist halt einfach schwierig, so ganz ohne Verkehrsanbindung an die Zivilisation…

 

Gnadenlos egozentrisch

 

Flüchtlingswellen schwappen nach Deutschland. Unterkünfte und Unterstützung werden so sehr gebraucht wie nie. Und so sehr wie nie verweigert sich ein Teil der Deutschen, zu helfen. „Reicht es nicht mal so langsam mit den eigenen internen Problemen?“, fragt eine Frau in Hamburg-Farmsen.

Wenn ich so etwas sehe, bin ich sprachlos. Es scheint, als hätten die Medien uns blind gemacht. Als hätten die Nachrichten über tausende Verfolgte, Tote, Misshandelte uns abgestumpft. Als würden wir nichts empfinden bei abertausenden grausamen Schicksalen. Bei so vielen Menschen, die sich mit letzter Kraft auf die Reise machen. Weg von ihrer Heimat. Weg von ihren Familien. Weg von ihrer Kultur. Die sich ein Leben ohne Angst und ohne Gewalt erhoffen.

Wie kann man da mit seinem fetten Arsch auf der Couch sitzen, die Tagesthemen gucken, sich das gute – natürlich nach deutschem Reinheitsgebot gebraute – Bier reinschütten und denken: „Wir haben selbst genug Probleme.“

 

Unverständnis für das Unverständnis

 

Ganz ehrlich, ich blick’s nicht. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass viele Menschen in Deutschland so denken. Ich verstehe nicht, wie jemand, der das Zeitgeschehen verfolgt, immer noch etwas sagen kann, wie: „Was wollen die denn in Deutschland?“

Und ich will gar keine Erklärungen für das Verhalten der „besorgten Bürger“ suchen. Denn Erklärungen dafür zu finden, würde heißen, es zu entschuldigen. Und das verdient ein so ignorantes und menschenverachtendes Verhalten ganz einfach nicht.

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Bildquelle: Mayeesherr unter CC BY 2.0