Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #6.2

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 26 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Heute: Teil 6.2 – Zukunft.

Es ist ein bisschen wie damals, als wir Kinder waren. Eine dieser Hypothesen: Man glaubt an sie, ohne sie erklären zu können. Zu jung und zu naiv, sie zu hinterfragen. Aber erstmal machen, irgendwer hat es erzählt, muss ja stimmen! Sagen wir, man fiel aufs Knie, beim Spielen mit Freunden, die Eltern mit Sicherheitsabstand auf der Bank, die Haut aufgeplatzt, Blut rann am Schienbein herunter. Es schmerzte, ziemlich sogar. Dicke Tränen kullerten übers Gesicht. Und der Sandkastenfreund? Der holte aus und schlug kräftig gegen den Oberarm.

„Hey, was soll das?“

„Ich wollte doch nur, dass der Schmerz nicht mehr am Knie ist und Du ihn vergisst.“
Für den Moment funktionierte es. Alles war vergessen. Es tat nur am Arm weh, dazu der Schreck, der Freund hatte tatsächlich zugeschlagen! Ein neuer Trigger, nicht gerade angenehm, aber immer noch besser als das Brennen und Bluten am Knie, von denen man in dem Augenblick nicht glauben wollte, dass sie bis zur Hochzeit wirklich wieder weg sein würden.

 

Alles wird bekämpft – auch das Gute


Krebs
verändert alles. Er hat die Kraft, spielend leicht über allem zu stehen, die Wucht, alles andere zu vergessen. Aber er kommt nicht alleine. Um sich herum versammelt er eine ganze Horde von Nebenwirkungen. Die Schläge im Sandkasten, die man nicht hatte kommen sehen. Einer der härtesten und unangenehmsten ist die Unfruchtbarkeit. Chemotherapie kann nicht unterscheiden zwischen guten und bösen Zellen, sie bekämpft alles, nimmt keine Rücksicht: nicht auf den Tumor, der einen zerstören will, nicht auf die Haare, die einem das Aussehen verleihen, und nicht auf das Sperma oder die Eizellen, die für die Zukunft gedacht sind.

Es muss in den ersten Tagen gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Das Knie war noch aufgeschlagen, der Krebs schmerzte zu sehr. Nebenbei, als wäre es unwichtig, nicht einmal in einem Gespräch mit einem der Onkologen, die Stationspsychologin kam auf mich zu. Sie hätte mir einen Termin besorgt. Noch bevor die erste Therapie begann, sollte ich nach Rostock. Kryokonservierung. Wenn ich denn wollte. Das sei meine Entscheidung. „Und wieso?“, fragte ich. „Na, Basti“, sagte Nowitzki, „durch die Medikamente wirst du höchstwahrscheinlich unfruchtbar.“ Der Schlag an den Oberarm. Unfruchtbar? Wow. Okay. Müsse dann halt so sein, dachte ich mir. Ich nahm es hin, ohne große Emotionen. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich hatte in den letzten Wochen nicht den Kopf für eine hypothetische Frau, ein hypothetisches Kind. Erst recht nicht im Krankenhaus. Immerhin: Kurz existierte kein Krebs, nur der eine Satz, der in meinem Inneren arbeitete: „Du kannst auf natürlichem Wege keine Kinder mehr zeugen.“ Nowitzki sprach über Zahlen, neun von zehn Männern wären nach einer Therapie quasi sterilisiert, aber das Einfrieren hätte sich bewährt, wie viele glückliche Paare sie kenne, mit Nachwuchs trotz Krebserkrankung, ich könne mir das gar nicht vorstellen. All das erzählte sie mit einem Lächeln im Gesicht. Ihr schier unendlicher Optimismus wich nicht einmal, wenn sie schlechte Nachrichten überbrachte. „Versprich mir eines: Ich will später Deine Kinder kennenlernen.“