Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #2

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 25 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Heute: Teil 2 – Die ersten Anzeichen. Teil 1 findet ihr hier.

 

In jedem von uns steckt ein bisschen Bayern München. Das sage ich nicht, weil ich Fan bin, sogar eingetragenes Mitglied, Nummer 199.491. Nein, ich meine diese tiefe innere Überzeugung, man könne eigentlich gar nicht verlieren. Die Misserfolge, den Schmerz, die Niederlagen; all das haben doch immer nur die anderen. Es mag arrogant sein, sicher eine große Portion Selbstschutz. Wer nur an das Negative denkt, immer den schlimmsten Fall vor Augen, wer würde noch glücklich? Vielleicht sind die Bayern gerade deswegen so erfolgreich; das Wort „Verlieren“ taucht erst gar nicht in ihrem persönlichen Duden auf. Unweigerlich kommt es zum Problem, wenn es doch einmal passiert: Wie damit umgehen, ganz ohne Definition?

Niemand ist darauf vorbereitet, schwer zu erkranken. Schon gar nicht in den eigenen Zwanzigern, dem ultimativen FC-Bayern-Jahrzehnt des Lebens, das unerschütterliche, ja naive Selbstvertrauen eines jungen Menschen, klappt schon alles, wird schon alles, am Ende steht ohnehin der Sieg. Die ersten Anzeichen des Krebs, die Hilferufe meines Körpers, ich wischte sie einfach weg; tat es ab, ein verschleppter Infekt, der Stress, zu wenige Pausen, irgendetwas wird es schon sein, aber eine Krankheit, die mein Leben bedroht?

 

Katersymptome und ein offenes Fenster

 

Der Wecker meines Handys dröhnt. Jede Sekunde ein bisschen lauter. Die gesamte Etage des Hotels muss jetzt wach sein. 8.15 Uhr, was für eine Unzeit auf einen Sonntag! Ich bewege mich ein paar Zentimeter, nicht mehr als nötig, greife blind auf den Nachttisch und stelle das Gedudel aus. Eine Choreographie, die ich jeden Morgen perfekt beherrsche. Unabhängig von meinem Aggregatzustand.

Ich fühle mich wie erschlagen, muss mich nicht einmal aufrichten, um zu merken, dass mir schwindlig ist. Der Kopf? Kurz vor dem Platzen. Jedes Schlucken schmerzt, ich friere. Kein Wunder: Die Bettdecke ist nicht gerade dick, vielleicht hält sie ja im Sommer warm. Zudem hielt ich es vor dreieinhalb Stunden beim ins Bett gehen für eine gute Idee, mich bis auf die Shorts zu entkleiden. Und das Fenster musste ich aufmachen. Auch noch ein riesiges Kippfenster, das mir den Kieler Winter frei Haus in das Zimmer liefert. Ich Idiot.

Für mein Master-Studium bin ich für das Wochenende in Kiel an der Fachhochschule. Journalismus und Medienwirtschaft im ersten Jahr. Dreimal pro Semester sind meine Kommilitonen und ich hier, von Freitag bis Sonntag haben wir Seminare, Workshops, den wissenschaftlichen Teil unserer Lehre. Eine nette Abwechslung zum Alltag in meiner Schweriner Stammredaktion. Selbst, wenn ich mein Handy samt Wecker verfluche.

Zugegeben, ganz unschuldig bin ich nicht. Die Fünftsemester unseres Studiengangs haben ihre letzte Präsenzphase, danach brüten sie nur noch über ihrer Abschlussarbeit. Das musste gefeiert werden. Wir waren in einem irischen Pub, bevor wir im Tucholsky zum Tanzen gelandet sind. Ein ziemlich heruntergekommener und schrulliger Schuppen mit Neunziger-Charme. Ich trank ein paar Bier, danach blieb ich bei Wodka mit Orangensaft. Wie eigentlich immer, wenn ich in letzter Zeit feierte.

 

Werde ich etwa krank?

 

Tatsächlich war ich der einzige Kerl in der Runde. Die anderen hatten keine Lust. Zur späteren Stunde, der DJ spielte Männer von Grönemeyer, wurde ich zum Helden: sieben Mädels um mich herum, ich in der Mitte mit dem Getränk in der Hand. Sie grölten den Text, zeigten immer wieder auf mich. Die restlichen Männer im Club verstanden die Welt nicht mehr. Ich kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Und war nur glücklich.

Die gute Laune hat den wenigen Schlaf ganz gut überstanden. Wie so häufig nach solchen Nächten: ein wohliges Kaputtsein; das Gefühl, genossen zu haben, eine neue Geschichte erzählen zu können, einfach zu leben. Den Kollateralschaden des Katers nehme ich dafür liebend gerne in Kauf. Mit wackligen Beinen tapse ich in Richtung Badezimmer. Noch eine schnelle Dusche, meine Sachen zusammenpacken und dann runter zum Frühstück. Ich mache Licht und Musik an, schmeiße mir kaltes Wasser ins Gesicht und blicke in den Spiegel. Tiefe, schwarze Ringe umranden meine Augen. Ich sehe schlecht aus, muss mich am Becken stützen, um nicht umzufallen. Werde ich etwa krank? Kann nicht sein. Selbst wenn, egal! Frei nach Oliver Kahn: Immer weiter. Überhaupt, der Alkohol ist schuld. Cocktails, Bier und vom Zigarettenrauch durchzogene Diskotheken waren noch nie eine gute Kombination. Dazu das Nickerchen.

Heute schmerzt der Blick zurück. Es ist der Beginn der Geschichte meiner Krankheit. Die Nacht vom 13. auf den 14. Februar 2016.