Maya Lasker-Wallfisch: „Der Schatten des Kommandanten“ lastet schwer auf der nächsten Generation von Holocaust-Überlebenden

Am 13. Juni erschien der Dokumentarfilm „Der Schatten des Kommandanten“, in dem Maya Lasker-Wallfisch auf die Nachkommen des Mannes trifft, der ihre Mutter durch die Hölle geschickt hat – Rudolf Höß, der titelgebende Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, in dem Millionen von Menschen vom NS-Regime ermordet wurden.

Wir haben mit ihr sowohl über den Film als auch über ihre Arbeit gesprochen. Denn wenn sie gerade kein Buch über ihr Leben und ihre Erfahrungen als Kind einer Auschwitz-Überlebenden schreibt, arbeitet sie als Psychotherapeutin vor allem mit anderen Menschen, die unter transgenerationalen Traumata leiden.

Das folgende Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.

ZEITjUNG: „Der Schatten des Kommandanten“ ist eine Dokumentation, die Sie zusammen mit Ihrer Mutter gemacht haben und in der Sie mit Hans Jürgen Höss sprechen, dem Sohn des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Wie kam der Kontakt zu ihm zustande? Wer hat den ersten Schritt gemacht?

Anmerkung der Redaktion: Die Schreibweise des Nachnamens Höß mit „ss“ statt „ß“ soll übrigens auf einen Fehler ausländischer Behörden in Bangkok zurückgehen. Seitdem hat er diese Schreibweise – da er damals oft im Ausland gearbeitet hat und das scharfe „ß“ nicht überall bekannt ist – für sich übernommen. Ob die Abgrenzung von seinem Großvater ebenfalls eine Rolle gespielt hat, ist nicht bekannt.

Maya Lasker-Wallfisch: Die Geschichte des Films ist in mancher Hinsicht interessanter als der Film selbst. Es begann damit, dass ich vor vier Jahren ein Buch geschrieben habe, das hier aus irgendeinem Grund sehr erfolgreich war. Eine Filmemacherin, Daniela Völker, die das Buch gelesen hatte und sich für drei Themen interessierte, über die ich schrieb, kam auf mich zu. Eines davon war mein Interesse, mit den Kindern von Tätern zu arbeiten. Ein weiteres war mein Plan, nach Deutschland zu ziehen – damals war es noch ein Plan, man sieht, wie viel Zeit vergangen ist – und ein weiteres über transgenerationales Trauma. Das waren für sie sehr interessante Themen und so trafen wir uns und begannen darüber nachzudenken, welche Art von Film wir machen könnten. Was wäre interessant und andersartig? Ich kannte einen der Höss-Brüder, Rainer Höß. Aber wir fanden auch heraus, dass Rainer Höß eine eher „komplexe“ persönliche Geschichte hat und erkannten, dass wir aus ethischen Gründen nicht mit ihm arbeiten konnten. So stießen wir dann auf einen zweiten Bruder, Kai, und natürlich darauf, dass Jürgen noch lebte. Also verbrachte die Regisseurin Daniela etwa neun Monate damit, nach Deutschland zu reisen, um sie zu treffen und sie zu überzeugen, sich zu beteiligen. So kam es dazu.

Zur Kontroverse rund um Rainer Höß gibt es diesen übersichtlichen Artikel der Deutschen Welle. Kurz gesagt soll Rainer Höß versucht haben, aus der Vergangenheit seiner Familie Kapital zu schlagen. So habe er unter anderem versucht, Familienfotos seines Vaters aus der Zeit in Auschwitz an eine Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem zu verkaufen. Rainer Höß wurde am 24. Juni 2020 wegen Betrugs zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

ZEITjUNG: Wie haben Sie und Ihre Mutter sich anfangs dabei gefühlt?

Lasker-Wallfisch: Es war immer auf meinem Radar, immer auf meiner Agenda, denn alles, was ich getan habe und was der Film beabsichtigte zu tun, waren meine Bemühungen, das Erbe meiner Mutter auf zeitgemäße Weise fortzusetzen. Meine Mutter hat zuvor bereits mit den Kindern hochrangiger Nazi-Offiziere gearbeitet. Sie war also sehr erfreut, dass ich diese Mission anging und unterstützte mich voll und ganz.

ZEITjUNG: Was haben Sie sich von diesem Treffen erhofft?

Lasker-Wallfisch: Ich denke, was ich erreicht habe, ist nichts, was man im Film sehen kann. Niemand weiß, was emotional, psychologisch oder von der Energie im Raum her geschah. Man musste dort sein, um es zu wissen. Das Einzige, wovon ich sicher sagen kann, dass ich es erreicht habe, ist, dass ich Jürgen Höss emotional und psychologisch erreicht habe, ohne Frage.

Anita Lasker-Wallfisch (l.), Maya Lasker-Wallfisch, Kai Höss und Hans-Jürgen Höss (Enkel und Sohn von Rudolf Höß) in der Dokumentation „Der Schatten des Kommandanten“
© Warner Bros. Pictures.
Anita Lasker-Wallfisch (l.), ihre Tochter Maya Lasker-Wallfisch, Kai Höss und Hans-Jürgen Höss (Enkel und Sohn von Rudolf Höß) in der Dokumentation „Der Schatten des Kommandanten“
© Warner Bros. Pictures.