Sozialsmombinismus Tragödie in drei Akten

Smombies: Eine Tragödie in 3 Akten

1. Akt

 

Berlin, Alexanderplatz: Ein Mann mit weißen Sneakern und Rundglasbrille, in der Hemdtasche eine kartonierte Ausgabe vom letzten Stuckrad-Barre Roman, in der Hand einen Ingwer-Orangensaft. Er ist jung, er ist schön; die Großstadt ist sein Kiez. Er kennt sich aus im Leben, denn er hat studiert: Master in Medienwissenschaften und Soziologie. Belesen ist er auch, und ja, er hat tatsächlich sämtliche Aufsätze in der Uni mit seinem Lamy-Füller von damals bearbeitet – Theorien von großen Denkern kennt er zu Genüge. Platon, Marx und auch Precht hat er gelesen. Master mit 1,3, ein neuer Job in der Agentur. Darwins Theorien über das Recht des Stärkeren bringen ihn zum Schmunzeln, weil hey… er gehört jawohl zur Top Spezies seiner Generation und erst heute morgen hatte er während dem Gojibeerenmüsli-Frühstück wieder ein Match auf Tinder mit einer cuten Rothaarigen. Und come on, sein Müsli hatte er selbstverständlich nicht in seinem eigenen Bett. Quantified Self, tägliches Work-Out. Been there. Done that.

Die U-Bahn rollt an. Innen passt das Muster der Sitze außergewöhnlich hervorragend zu seiner cremefarbenen Leinenhose, die hat er neulich erst im Mauerpark gekauft. Ein Selfie mit Sneakern, Ingwer-Orangensaft und Leinenbeinkleidern, die Beine überschlagen, mit dem Filter sieht der Kontrast zum Polstermuster noch pittoresker aus. Instagram. #ootd. Er sieht aus dem Fenster, Handy in der Hand. „Medien sind Körpererweiterungen“, raunt es ihm durch den Kopf. Er geht in sich. Wer hatte das gesagt? Und wieso fällt ihm das jetzt ein? iPhone an, Google, go.

 

2. Akt

Google so: „Medien sind unmittelbar mit dem Körper verbunden, sie sind nicht außen. Wir benutzen sie nicht. Sie sind ein Teil von uns. Das Medium ist eine Verlängerung des Arms“.

Marshall McLuhan hat das gesagt, ja, er erinnert sich an die Vorlesung. Das war eine Publikation, so 1960 rum. Crazy Typ.
Die U-Bahn rollt weiter. Der junge Mann ohne Namen parkt den Gedanken in seinem Kopf, denn was geht eigentlich auf Tinder, für wann soll er sich denn jetzt zum Cappuchino verabreden mit dem Redhead? Hat jemand sein OOTD geliked? Und wieso sind Medien ein Teil von uns? Er benutzt sein Smartphone ja bewusst, wieso sollte es ein Körperteil sein, wieso muss er sich dem Gerät ergeben fühlen? Und definitiv nein, das iPhone hat sein Leben halt nun mal bereichert, hat alles voran gebracht. Aber er entscheidet ja noch, wann und wie er’s benutzen will. Narzissmus und so einen Kram gab es ja schon immer und überhaupt, Socializen geht halt ohne Medium nicht. Und schreiben kann man immer von unterwegs, laufen mit dem Smartphone geht mittlerweile problemlos. Eine bessere, praktische Welt. Sorry, wer halt nicht damit umgehen kann. Darwin, Bitch. „Pragmatism!“ tippt er als Status bei Whatsapp ein.

Schon neun Herzen mittlerweile auf Instagram. Auf Facebook nichts Neues, bei welcher Station ist er eigentlich mittlerweile?

 

3. Akt

 

Er steht von seinem Sitz auf, 21 Herzen für´s U-Bahn Foto, auf Soundcloud läuft der FusionMix vom letzten Jahr über die weißen Kopfhörer.

Die Tür öffnet sich, die Bahn spuckt Menschenmassen auf den Bahnsteig, die Rothaarige hat auf ihrem letzten Bild echt tiefsinnige grüne Augen. Wow. Sie liest bestimmt gerne. Die könnte es sein, also vielleicht. Wie spät ist es denn jetzt, klappt das noch mit dem Agenturen-Projekt heute? Was sagt der Kalender? Die Rolltreppe fährt nach oben, Zeit genug für den Feed von Spiegel Online. Smombie war Jugendwort des Jahres? What the fuck is a Smombie, so redet doch kein Mensch. Er kopiert den Artikel, schickt ihn in der Threema-Gruppe weiter. „Sollen die Kids lieber mal Bücher lesen, als nur am iPhone zu hängen. Wir hatten ’ne geilere Kindheit! <3 Hashtag Neunziger!“

30 Herzen auf Instagram. Für die Arbeit etwas zu spät, er beschleunigt seine Schritte. Noch zwei Stationen mit der Bahn in die andere Richtung, wann macht die Fahrradwerkstatt eigentlich auf, das Fixie war ja in Reparatur, mal schnell nachsehen, und was sagt Yelp eigentlich über das neue Café in Neukölln, da ist ja die App, öffnen. Er übersieht, dass die U-Bahn noch nicht eingefahren ist.

Er tritt ins Leere. Die U-Bahn rollt an.

 

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Bildquelle: Pexels/ Freestock.org unter cc0