Stephan simplifiziert: Der Brexit

Das Leben ist kompliziert genug. Unser Autor Stephan macht es euch einfacher und erklärt von nun an regelmäßig, was in Sachen Politik und Weltgeschehen so abgeht und was wirklich hinter komplexen Fachbegriffen, undurchsichtigen Strukturen und verflochtenen Politika steckt.

Dieses Mal: Porno, Porno und der Brexit. 

 

Heute ist es zwei Wochen her, dass die Briten für den Brexit gestimmt haben. Aber was heißt das überhaupt genau und warum gab es eigentlich diese Abstimmung? Das Wort „Brexit“ ist ein Kofferwort, also ein Wort, das neu entsteht, wenn andere Wörter neu miteinander verbunden werden. Zuerst hat 2011 Ebrahim Rahbari das Wort „Grexit“ erfunden. Hier wurden „Greece“ (Griechenland) und „Exit“ (englisch für Ausgang, Austritt) zusammengesetzt. Gemeint war ein Ausscheiden Griechenlands aus der europäischen Gemeinschaftswährung Euro. Brexit schließt daran an. Gemeint ist der Austritt Großbritanniens aus der EU und nicht bloß aus dem Euro, bei dem die Briten ja gar nicht mitmachen. Für den Brexit haben die Briten mit 52 zu 48 Prozent gestimmt. Eine knappe Entscheidung. Aber warum durften die Briten überhaupt darüber abstimmen, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht?

 

Das Referendum hatte mit der EU eigentlich gar nichts zu tun

 

Generell kann man nicht sagen, dass es schlimm ist, wenn jemand die EU verlassen will. Alle können schließlich ihre eigene Meinung dazu haben. Aber dafür braucht man dann auch gute Gründe, die gegen die EU sprechen. Das Referendum hatte aber eigentlich mit der EU direkt gar nichts zu tun. Warum nicht? Der britische Premierminister David Cameron gehört der konservativen Partei „Tories“ an. Er ist auch ihr Chef. Innerhalb der Partei gab es schon seit vielen Jahren Streit darüber, welche Meinung man von der EU haben soll und wie man sich gegenüber der EU verhält. Cameron gehörte zu den EU-Befürwortern in seiner Partei. Die EU-Gegner innerhalb seiner Partei bekämpften aber immer wieder seine Politik – obwohl sie alle Tories sind. Deswegen wollte Cameron seine Partei einen, damit sie nicht mehr sich selbst bekämpft, sondern den politischen Gegner. Also dachte er sich ein riskantes politisches Spiel aus. Die Spielfiguren waren die Bürger*innen Großbritanniens und der restlichen EU, sein eigenes Land und natürlich seine Tories-Partei.

Das Spiel ging so: „Ich, David Cameron, komme den EU-Gegnern in meiner Partei entgegen. Ich verspreche, dass ich ein EU-Referendum abhalte, wenn ich die Wahl gewinne, bei dem das britische Volk über die EU-Mitgliedschaft selbst abstimmen kann. Das hatten die EU-Gegner ja eh schon lange gefordert. Wenn ich gewinne, wollen die Briten in der EU bleiben. Die Gegner in meiner Partei geben dann endlich Ruhe, weil das Volk ja abstimmen durfte und jetzt klar ist, dass die Briten für die EU sind. Somit ist auch klar, dass sie für mich sind und nicht für die EU-Gegner in meiner Partei. Verlieren werde ich schon nicht.“ Verloren hat er sein Spiel jetzt aber eben doch. Deswegen hat er auch seinen Rücktritt als Premierminister zum Herbst angekündigt.

 

Warum stimmten die Briten für den Austritt?

 

Aus der Werbung kennt man das ja: Es wird gerne ein bisschen geschwindelt, damit das Produkt in einem besseren Licht dasteht. Bei einem Wahlkampf versuchen Politiker auch seit jeher, ihre Positionen in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen. Gleichzeitig wollen sie, dass ihre Gegner möglichst schlecht aussehen. Beim Brexit-Wahlkampf haben die Politiker das aber hart übertrieben. Sie haben nicht mehr nur ein bisschen geschwindelt, sondern ihre Wähler glatt angelogen und teilweise sogar Horrorgeschichten über die EU erfunden, nur um diese Wahl zu gewinnen. Vor allem Boris Johnson und Nigel Farage haben mit krassen Lügen für den Brexit geworben.

 

Boris Johnsons Lügenspiel

 

Johnson ist wie Cameron bei den Tories. Er war eigentlich gar nicht für den Brexit. Wie Cameron hat auch er hauptsächlich Machtspiele bei den Tories gespielt. Er wollte, dass Cameron als Premierminister zurücktritt, damit er selbst dieses Amt bekommt. Deswegen hat er am Anfang des Brexit-Wahlkampfs erst mal abgewartet, ob er dafür oder dagegen sein würde und sich dann gegen Cameron entschieden. Er wollte gegen ihn gewinnen, um ihn dann abzulösen. Innerhalb der Tories aber hatte er nach der gewonnen Wahl doch nicht so viele Freunde wie erwartet. Deswegen musste er nach dem Rücktritt Camerons seine Kandidatur absagen. Im Wahlkampf war er noch mit einem roten Bus durch Großbritannien getourt, auf dem eine der vielen Lügen des Wahlkampfs stand. Es hieß, die Briten müssten jede Woche 350 Millionen Pfund an die EU überweisen und dass das Geld nach einem Austritt ins britische Gesundheitssystem fließen soll. Warum war das gelogen? Die EU gewährt Großbritannien einen Rabatt bei den Mitgliedsbeiträgen. Somit sinkt die Zahl schon mal auf 250 Millionen Pfund pro Woche. Und dann bekommen die Briten ja auch noch Fördergeld von der EU. Dadurch sinkt die Zahl noch einmal tiefer, auf rund 170 Millionen Pfund – nicht einmal die Hälfte der Summe, die in riesengroßer Schrift auf dem Bus prangte. Nach der Wahl hieß es außerdem, dass nicht genügend Geld da ist, um es ins Gesundheitssystem zu investieren.

 

Wie geht es jetzt weiter?

 

Damit ein Land tatsächlich aus der EU austreten kann, muss es seinen Austrittswunsch gegenüber dem europäischen Rat erklären. Also eine Art Antrag bei der EU stellen. Wie das genau passieren muss, regelt der EU-Vertrag. Der EU-Vertrag ist die rechtliche Grundlage der Europäischen Union, den alle Mitglieder unterschrieben haben und an dessen Regeln sie sich halten müssen. In Artikel 50 des Vertrags steht genau, wie ein Austritt ablaufen muss. Erst wenn der Antrag gestellt worden ist, beginnen die Verhandlungen über ein Ende der EU-Mitgliedschaft. Sie dürfen höchstens zwei Jahre dauern, danach endet die Mitgliedschaft automatisch. Obwohl sich die Brexit-Befürworter à la Nigel Farage und Boris Johnson wie Schnitzel über ihren Sieg gefreut hatten, wird es den Austrittsantrag aber frühestens im Herbst durch Camerons Nachfolger*in geben. Aktuell hat Torymitglied Theresa May die größten Chancen auf den Posten. Sie hat, für den Fall, dass sie gewählt wird, angekündigt, frühestens 2017 Artikel 50 aktivieren zu wollen.

Das britische Pfund ist im Vergleich zum Dollar mittlerweile um 14 Prozent gefallen. Für ein Pfund bekommt man in der „Schwesternation“, wie die USA auf der Insel gerne genannt werden, 1,29 Dollar anstatt 1,50 Dollar. Innerhalb von zwei Wochen ist nicht nur der Urlaub viel teurer geworden, sondern auch die Importe, die die britische Wirtschaft und letztlich die Menschen viel Geld kosten werden. Wirtschaftswachstum wurde vor dem Brexit prognostiziert. Jetzt sieht die Bank of England ein Schrumpfen voraus. Die Zentralbank hat deshalb schon Notmaßnahmen eingeleitet. Davor haben EU-Befürworter schon im Voraus gewarnt. Von Farage und Johnson wurden sie jedoch als Lügner diskreditiert. Das kann man auch anders sehen.

 

Plauderer und Kümmerer

 

Wer kümmert sich jetzt um das Land und den anstehenden Austritt? Die Anführer der Brexitkampagne haben mittlerweile alle hingeschmissen. Cameron, der das Referendum erst möglich gemacht hatte, Johnson, der opportunistisch den Brexit unterstützt hat und zuletzt auch Farage, der jetzt „sein Leben zurück will“, nachdem er „sein Land zurück“ erobert hat. Das erinnert ein bisschen an den Rücktritt von Andreas Kümmert. Gerade hatte der sein Ziel erreicht, den ESC-Vorentscheid zu gewinnen, da macht er schon gleich den Rückzieher. Der Brexit ist aber Weltpolitik und keine Castingshow für Politiker mit Profilierungssucht.

 

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Bildquelle: Democracy International unter CC BY-SA 2.0