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Terror: Ich wollte Freiheit, ich habe Angst

Reisen gehört für unsere Generation genauso dazu wie Whatsapp zum Smartphone. Und es war immer bekannt, dass so manche Länder nicht als vollkommen sicher galten, aber die Reiselust hat kurz auftauchende Zweifel meist schnell besiegt. Zu groß die Lust, Fremdes zu erleben; frei zu sein. In der Welt zu Hause. Im Deutschen haben wir sogar ein Wort für diese Sehnsucht, wir nennen es „Fernweh“. In vielen Sprachen gibt es eine Bezeichnung für„Heimweh“, aber „Fernweh“ ist ausschließlich der deutschen Sprache vorbehalten. Packte einen mal wieder das Fernweh, begab man sich, häufig aus Zeitmangel, in Länder, für die jetzt nicht unbedingt ein zwölf Stunden Flug notwendig gewesen wäre. Es ist sowieso erstmal wichtig, die unmittelbare Umgebung und ihre Schönheit zu entdecken, bevor es einen in die weite Ferne verschlägt und ganz nebenbei ist Mutter auch noch beruhigt. Muss ja nicht gleich der Irak sein, Südfrankreich ist ja auch ganz schön.

 

Terror und politische Unruhen schränken unsere Freizeitgestaltung ein

 

So war es bis jetzt. Aber nach dem Terror und den politischen Unruhen in der unmittelbaren Vergangenheit hat sich etwas verändert. Der Krieg und damit die Angst ist vom Irak bis zu uns gewandert und es ist eine Angst entstanden; eine Angst, die vor allem auf den unberechenbaren Machenschaften des IS beruht. Aber nicht nur der IS, sondern auch Geschehnisse wie die Silvesternacht in Köln können unser Wohlbefinden stark beeinflussen. Man möchte es gar nicht, aber es passiert ganz beiläufig, fast nebenbei.

Nach der Silvesternacht entschied sich zum Beispiel selbst der größte Karnevalsjeck aus dem ländlichen Umland und meinem Bekanntenkreis sein üblicherweise größtes Event im Jahr zu meiden: Den Rosenmontagszug in Köln. Verständnis hatte ich für diese Entscheidung damals wenig – ich war der Meinung, dass man sich in seiner eigenen Freiheit nicht einschränken lassen soll, egal was passiert. So schlimm kann es doch nicht sein, dass man auf etwas freiwillig verzichtet, auf das man das ganze Jahr hingefiebert hat. Wird dieses Event abgesagt, dann bestimmt eine höhere Macht die Entscheidung, aber selbst zu sagen, „Ich lasse die anderen Feiern und bleibe, zum allerersten Mal, an meinem hochgeheiligten Rosenmontag, einfach auf dem Sofa liegen – weil ich Angst habe“? Das heißt Einiges.

 

Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Reisens war einst unser Credo

 

Genauso verhält es sich nun mit dem Reisen. Fahre ich in den geplanten Surf-Urlaub an die französische Atlantikküste, soll ich die romantische Paris-Reise mit meinem Freund antreten, trotz der wiederholten Anschläge in viel zu kurzer Zeit? Vor ein paar Monaten hätte ich diese Frage noch mit einem eindeutigen, selbstbewussten „Ja“ beantwortet, denn Freiheit ist etwas, das uns niemand nehmen sollte und letztendlich ist es vielleicht auch das, was der IS anvisiert: diese Angst in uns. Sie wachsen zu lassen, bis sie größer ist als unser Durst nach Freiheit. Die #Jesuisenterrasse-Aktion nach den Anchlägen vom 13. November haben sich genau dagegen aufgelehnt: Wir müssen der Welt zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen in unserer individuellen Freiheit und weiterleben wie bisher. Je suis en terrasse hieß viel mehr als nur „Ich sitze draußen im Café“: Es hieß: Ich lasse mich nicht reindrängen, kleinmachen, einschüchtern. Ich bin frei. Wir sind alle weiter feiern gegangen, fuhren auf Großevents und Festivals.

Aber heute, nach dem Anschlag in Nizza, dem Putsch-Versuch in der Türkei und dem, im Vergleich schon erschreckenderweise „kleinem“, Geschehnis in Würzburg, bekomme auch ich langsam Zweifel. Eine Reise in die Türkei würde ich gerade wohl nicht planen, selbst ein Besuch in Frankreich würde ich nicht mehr mit der Leichtigkeit antreten wie noch ein paar Monate zuvor. Die Angst hat auch meinen  – eigentlich sehr ausgeprägten Freiheitsgedanken – angefangen zu eliminieren. Es ist passiert: Ich bin ungewollt eingeschränkt in meiner Freizeitgestaltung.

 

Wir beginnen Veranstaltungen auf Terrorpotenzial hin zu analysieren

 

Jedes Event wird inzwischen gründlich analysiert: „Inwiefern wäre es ein potenzielles Ziel für den IS? Was möchte er erreichen und welche Veranstaltung wäre prädestiniert für ihre Absichten?“ Man versucht, die getätigten Anschläge zu interpretieren, um irgendein Muster zu generieren, das uns sagt, was für Veranstaltungen als „sicher“ gelten und welche eben nicht. Kurzum, wir versuchen, dieses Gefühl der Machtlosigkeit irgendwie zu bewältigen.

Ich lebe derzeit in München, die Wiesn steht bald an und natürlich versuche ich das Muster auch auf diese Veranstaltung anzuwenden. Es ist ein internationales Event, viele Besucher aus westlichen Kulturen, Massen an betrunkenen Menschen, die nichts anderes feiern als das ungezügelte Leben und gezüngelte Küsse – also eigentlich ein idealer Ort, um möglichst viele „ungläubige“ Menschen zu beseitigen. Aber meiden möchte ich dieses Event auch nicht, schließlich habe ich es noch nie miterlebt und jetzt wäre die Chance. Doch wie wichtig ist mir dieser Spaß, wenn ich dafür mein Leben riskieren würde? Und auf der anderen Seite, wer sagt mir, dass meine Spekulationen sich bewahrheiten?

Diese aufkommende Ambivalenz in unseren Gedankengängen beunruhigt mich zutiefst. Wir werden in unserer Freiheit ganz unbewusst eingeschränkt und fangen an, Großevents freiwillig zu meiden. Obwohl wir uns noch vor ein paar Monaten geschworen hatten, „die“ nicht gewinnen zu lassen, unsere Freiheit zu verteidigen. Aber mit was sind wir bereit, das zu bezahlen – mit unserem Leben? Die Häufigkeit des Terrors schürt sie immer mehr, die Angst vor dem nächsten Anschlag. Die Leichtigkeit unseres Lebens ist derzeit, ob wir es nun wollen oder nicht, beschwert.

Ich wollte Freiheit; was ich habe, ist Angst.

 

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Bildquelle: Martin Miranda unter CC0 1.0