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„Du bist unser Schutzraum“: Ein Liebesbrief an den Club

Lieber Club,

wir möchten uns bei dir bedanken. Du bist seit Jahren nicht nur ein fester Begleiter der Nacht – du bist wie ein zweites Zuhause, das uns mit großen vertrauten Armen empfängt. Betreten wir deinen Boden, betreten wir gleichzeitig für mehrere Stunden eine vertraute Höhle, in die wir uns zurückziehen können. In der wir die alltägliche vermeintliche Unverwundbarkeit an der Haustür zurück lassen können, denn hier bei dir wollen und dürfen wir authentisch sein. Du bist viel mehr als nur ein wummernder Ort unseres gelebten Hedonismus, du bist eine Erweiterung unseres persönlichen Schutzraumes.

 

Du nimmst uns Sorge und gibst uns Freiheit

 

Auf den ersten Blick wirkst du oft zu laut, zu aggressiv, zu versifft und zu kaputt – dabei bist du viel mehr. Du bist nicht nur Absturzrampe, du bist Sehnsuchtsort und Schutzraum. Wir tanzen und zappeln, wir trinken und schreien, aber eigentlich kommen wir bei dir zur Ruhe; das schaffst du trotz deines treibenden Basses und den Stroboskoplichtern. Öffnest du deine Tore für uns, dann streuen wir die Sorgen des Alltags und die Realität mit jedem Schritt auf deine Tanzfläche weg wie Sternenstaub, der von uns rieselt. Wir umhüllen uns mit dem Schleier deiner Vertrautheit; so vertraut, dass wir beim Tanzen unsere Augen schließen können. So bekannt, dass wir uns frei fühlen in der Art uns zu bewegen, zu tanzen, zu lachen und auf fremde Menschen zu zugehen. Du erlaubst uns zu tun, woran uns das Leben immer öfter scheitern lässt: Die Augen schließen können, weil wir nicht wachsam sein müssen; tanzen können, weil wir uns frei bewegen können.

Schließen wir die Augen, dann ist es uns egal, wie wir aussehen. Du siehst uns, so wie wir sind und wie wir sein wollen, und verurteilst uns nicht dafür. Genauso wenig ist es uns deshalb wichtig, ob uns andere neben uns verurteilen. Wir sind unter Gleichgesinnten, wir sind alle verbunden durch den selben Rhythmus, der uns antreibt. Jemand hat mal gesagt, Techno sei Frieden. Du hast uns gezeigt, dass es nicht nur Techno sein muss – es ist vielmehr das Kollektiv, das sich in diesen paar Stunden wie eine Familie ein Haus teilt. Eine stillschweigende Vereinbarung im Getöse der Musik. Du bist unser Wohnzimmer.

 

Du bist politisch

 

Lieber Club, du bist mehr als Absturzrampe; du bist nicht nur ein paar Quadratmeter voller Dreck und verlorener Würde, bist nicht nur Spielwiese, du bist Schutzraum. Du bist politisch. Du bist ein Zuhause für Geflüchtete. Du beherbergst die Verlorenen, die Suchenden, die Liebenden, die Unglücklichen. Du lässt die rein, die sonst nicht aus sich herauskommen dürfen, hebelst die Realität aus, gibst denen Kraft, die sonst am Boden liegen. Wirfst dein diffuses Licht auf die, die sonst keiner sieht.

Es liegt ein Zauber inne, in jeder Vorbereitung auf eine Nacht unter deinem Dach. Während wir unser schönstes Outfit zusammenstellen und uns fragen, was morgen anders sein könnte. Oder schon diese Nacht. Ob wir vielleicht heute einen Menschen treffen, der unser Leben komplett verändert? Während wir die bequemsten Schuhe anziehen und hoffen, etwas Magisches werde uns passieren? Während wir uns die Haare zusammen binden und beten, heute zumindest nicht allzu früh schlapp zu machen, weil wir zu übermütig sind?

Du beherbergst unsere Freunde, einige von ihnen haben wir erst durch dich kennen gelernt. Vorne rechts an der Box getroffen. Die Stelle, die wir an dir besonders lieben, weil dort der Bass und das Licht am schönsten sind. Ins Lagerfeuer gucken, über das Leben sinnieren, sich alberne Witze erzählen, vielleicht einen Fremden küssen. Vielleicht reden wir über etwas Angstbesetzes, etwas Hochpersönliches oder einfach eine Idee, die in uns seit langer Zeit wabert. Oft geht es uns am Tag danach so gut wie nie zuvor. Trotz des Alkohols, trotz der Müdigkeit. Wir haben uns wieder eingependelt, uns vielleicht zu etwas entschlossen oder haben einfach Ruhe in uns, weil unser Körper ausgepowert und glücklich ist.

 

Die Geburtsstunde von Identität

 

Für manche Communities aber, und ganz besonders für die homosexuelle, sind diese Räume wahrscheinlich auch lebensnotwendig. Seit jeher finden Minderheiten Zuflucht in den Wächtern der Nacht. Für uns heißt ein Club meist: So sein, wie man gerne wäre, aber sich nicht traut. Sich verkleiden, maskieren. Für andere ist es oft die einzige Möglichkeit, so zu sein, wie sie sind. Clubs sind auch identitätsstiftende Orte und bieten Schutz für Freundschaften und Liebe. Für Neigungen, die bei Tageslicht von Mitmenschen verurteilt werden. Clubs bedeuten Freiheit. Frei sein von Angst, Verurteilung und körperlicher Bedrohung.

Lieber Club, deshalb nochmal: Danke für alles, was du für uns tust. Wir sehen uns bald wieder. Jetzt erst recht.


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