Junge Amerikaner und Trump

Nach Trumps Sieg: Von Schock kann keine Rede sein

Hierzulande hatte es etwas von einer Katastrophe, die die Welt mit der Wucht eines Hammerschlags getroffen hatte. Fast aus dem Nichts kommend, aber mit verheerender Wirkung. Donald Trump hatte die US-Wahlen tatsächlich gewonnen. Nicht viele in Deutschland, gerade die Jüngeren, die ihr Politikwissen aus ihrer Facebook-Timeline ziehen, hatten jemals erwartet, dass dieser Mann, der rassistische, sexistische Äußerungen tätigt und in Deutschland irgendwo zwischen Witzfigur und schrecklicher Karikatur all dessen, was man Schlechtes erwarten kann, wenn ein Mensch mehr Macht hat als andere, angesiedelt ist.

In den Wochen nach dem Triumph der Republikaner gegen Hillary Clinton und die Demokraten wurde eine breit angelegte Ursachenforschung betrieben. „Wie konnte es dazu nur kommen?“, war die Frage, der sich Leitmedien in ganz Europa widmeten. Die Süddeutsche Zeitung besuchte den Rust Belt, jene alte Industrieregion im Nordosten, in der die Menschen, von diversen Krisen gezeichnet, Trump wählten. Und allenthalben machte man sich auf die Suche nach dem über der in Europa so unfassbar erscheinenden Wahl schwebenden Warum.

Tausende Kilometer vom Herzen Europas entfernt herrscht ein anderes Klima, das keineswegs vom Versuch, die Katastrophe zu verstehen, geprägt wird. Denn was man hier gar nicht wirklich registriert: dass in den USA Trump nicht als Irrer abgetan wird, sondern höchstens als jemand, der gerne das Extreme sucht, um zu polarisieren. In San Antonio, Texas, studiert Johanna. Die kleine Schwester einer Freundin. Seit 2013 lebt sie in den USA. Besuchte dort die High School, blieb, um auf das Alamo College zu gehen.

„Jedes Volk bekommt den, den es verdient“

 

ZEITjUNG sprach schon einmal mit ihr, damals über die Proteste in Dallas, nachdem sowohl Schwarze als auch Polizisten zu Tode gekommen waren. Nun also Trump. Der autokratisch anmutenden und verteufelte 45. designierte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. „Es wurde für uns immer absehbarer. Erst dass er eine realistische Chance hat, dann dass er ernsthafte Chancen hat, zu gewinnen“, sagt Johanna. „Clinton steht für das Establishment. ‚Sie versteht uns doch eh nicht‘, war von verschiedensten Gruppen der Konsens. Von der Landbevölkerung, von den Arbeitern aus dem Industriesektor und auch bei uns Jungen.“

Und Trump schon? „Darum ging es gar nicht. Sondern nur darum, dass da neben Clinton, die große Teile der Bevölkerung als dummen Trash hinstellte, jemand war, der zwar fehlbar ist, aber dennoch so viel authentischer wirkt als Clinton.“ Ich hake nach, versuche zu verstehen, wie Authentizität stärker wirken kann als Rassismus, Sexismus und verbale Fehltritte am Laufband. „Wir sind hier in den USA. Da herrscht eine Liebe zum Vaterland, die man sich gar nicht vorstellen kann. Da kommt einer und verspricht Arbeitsplätze und dass er die Wirtschaft nach oben bringt. Klar, dass das Volk da jubelt.“

Ich bitte Johanna, in ihrem Freundeskreis Meinungen einzuholen. Meinungen von jungen Menschen, die in den USA aufgewachsen sind und nicht diesen von Natur aus bestehenden Abstand haben. Derrick ist Johannas Freund. Auf Facebook postet er Bilder, auf denen er Football-Stadien besucht und eine Rede an der Highschool hält. „Natürlich habe ich Trump nicht gewählt, er ist ein Rassist“, sagt er. „Aber Clinton auch nicht. Das Land braucht Veränderung. Und in solche Momenten bekommt das Volk den, den es verdient.“

 

Manche wählten sogar Trump

 

Das Volk. So ein Wort, dessen Bedeutung bei Trumps Sieg eine unfassbar große Wirkung hat. Ein andere Freund von Johanna, Bradley, schreibt mir auf Facebook: „Ich war 2011 mit meinem Vater bei einem Baseballspiel. Philly gegen die Mets. Es war die Nacht, in der Obama verkündete, dass Osama bin Laden getötet wurde. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Plötzlich stand das ganze Stadion und brüllte USA, USA! Ich hatte Gänsehaut. Und so ein ähnliches Gefühl hatten viele bei Trump wieder. Er erreichte die Leute. Sie glaubten ihm in seinen Reden, dass er das Land wieder groß machen würde. Die Leute schrien wieder: ‚USA, USA!‘ Clinton kam dagegen immer so arrogant rüber. Als würde sie einen Scheiß drauf geben, wie es den Leuten geht, die sich jeden Tag den Arsch ab arbeiten.“

Man muss schlucken, dass man in westeuropäischer Arroganz automatisch davon ausging, dass die Menschen nicht so doof sein könnten, um Trump zum Präsidenten zu machen. Was man dabei nie auf dem Schirm hatte: dass auch die kleinen Leute ihren Stolz haben. Dass selbst die jungen, gebildeten Menschen Clinton nicht mochten. Trump zwar auch nicht. Aber der sei wenigstens nahbar, menschlich, authentisch.

Ob denn auch jemand von ihren Freunden Trump gewählt habe, frage ich Johanna. „Klar. Oder glaubst du, der gewinnt die Wahlen, weil den keiner unter 30 gewählt hat?“ Erst findet sich keiner, der ZEITjUNG seine Gründe verraten will. Dann doch. Alexandra, eine Freundin von Johannas Freund. Ausgerechnet eine Frau zwischen 20 und 30. „Trump mag idiotische Sachen sagen. Aber er lügt uns nicht an. Ich hatte die Lügen so satt, dass ich ihn gewählt habe. Und man wird sehen. Er wird etwas bewirken.“

In Deutschland sitzt man da und beginnt zu verstehen, dass nicht die Idioten Trump gewählt haben, sondern die Politik selbst dafür gesorgt hat, dass da nun jemand Präsident wird, der anders daher kommt als die Oberen. Und man spürt, dass der Schock lange nicht so tief sitzt wie hier. Es mag gerade unter Jungen viele Trump-Gegner geben, wie eine Katastrophe hat sich sein Sieg für sie nicht angefühlt. Was hierzulande bleibt, ist ein schaler Beigeschmack. Denn sieht man sich Trump-Reden an oder die Szenen, die Bradley beschrieben hat, sieht man die leuchtenden Augen, die alles andere als rational wirken. Sondern eher wie die Augen derer, die sich mitreißen lassen. Und gerade in Deutschland weiß man, wozu das führen kann.